Alkohol und Journalismus als unheilige Allianz
Tolle Stories mit dem Bier neben der Schreibmaschine
von Werner Schneider
Wer in jüngerer oder jüngster Zeit mit JournalistInnen zu tun gehabt hat, wird auf eine ehe sportlich und gesund lebende Generation gestoßen sein. Jüngere Leute, die schon am morgen ihr Jogging absolviert haben, stilles Mineralwasser trinken und selbst beim Kaffee Maß halten. Das muss nicht die Regel sein, es ist aber die größere Anzahl. Noch vor ein paar Jahren klang das anders und vor Jahrzehnten gingen Journalisten, Politiker und Wirtschaftskapitäne eine unheilvolle Alkoholallianz miteinander ein.
Eine britische Studie aus dem Jahr 2009 schreckte eine Branche und alle, die mit ihr zu tun hatten, auf. Das Gesundheitsministerium (Department of Health) konstatierte die Feuchtfröhlichkeit trocken:
„MitarbeiterInnen der Medienbranche nehmen mit 44 Einheiten wöchentlich rund die doppelte Menge an alkoholischen Getränken zu sich, die in den entsprechenden Empfehlungen des nationalen Gesundheitsdienstes vorgesehen ist. Damit liegen sie unangefochten an der Spitze, was das Trinkausmaß betrifft und übertreffen die zweitgereihte Berufsgruppe, die IT-Angestellten, um ganze zehn Einheiten pro Woche.“
Wie viel ist das nun gemessen in Gläsern? „Vier Flaschen Wein oder 19 Halbe-Liter-Bierkrüge pro Woche.“ Für mäßige Alkoholgenießer klingt das schon nach viel. Gestandene RedakteurInnen älterer Semester erinnern sich sicher noch, dass das als Untergrenze und fast schon als abstinent galt.
Aber 2009 gingen die Wogen hoch. „Dass Angestellte in Medienbetrieben, insbesondere Journalisten, einen stärkeren Bezug zu alkoholartigen Getränken haben als andere Berufsgruppen, ist eine Klischeevorstellung, die pauschal so sicher nicht zutrifft“, stellte sich Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbandes, reflexartig flott verteidigend vor die gesamte Kollegenschaft. Auch in Österreich wurde in Kommentaren und Leitartikel pro und kontra diskutiert.
Aber von irgendwoher muss der Ruf ja kommen.
Der Autor dieser Zeilen zählt mit 63 Lenzen eher schon zu den Urgesteinen im Journalismus. Und kann von bisweilen stark fortgeschrittenen Saufnächten und -vormittagen berichten. Ohne die Namen noch lebender oder bereits verstorbener Personen zu nennen. Doch kein Detail wurde erfunden – das ist auch gar nicht notwendig, das gehörte zum journalistischen Alltag der 1970er und 1980er Jahre.
* Wahlkampffahrten in Journalistenbegleitung zählten zu den ausgiebigsten Zechtouren. Ein Landeshauptmann aus einem westlichen Bundesland begrüßte den mitreisenden Redakteur samt Fotografen am frühen Morgen halb angezogen in seinem Haus und sagte zur Ehegattin: „Gib‘ den Herrn Journalisten a Schnapserl.“ Das fast randvoll gefüllte Achtelglas wurde um sieben Uhr früh geleert. Dann kredenzten in jeder angefahrenen Gemeinde die Marketenderinnen den Ehrengästen (wozu auch die Journalisten gehörten) weitere harte Sachen.
* Eine Gemeindebegrüßungstour eines Landwirtschaftslandesrates aus einem östlichen Bundesland startete pünktlich um acht Uhr früh, um halb neun wurde eine Pause am Straßenrand eingelegt, der Chauffeur packte Campingtisch und Hocker aus und bei zwei Flaschen Wein wurde die „Vorbesprechung“ gemacht.
* Die Monatspressekonferenz eines auch aus den östlichen Bundesländern stammenden Landeshauptmannes begann ebenfalls am frühen Morgen mit einer Schlachtjause aus eigener Produktion, dazu gab es Wein (rot und weiß) bis zum Erbrechen (was auch passierte – Ungeübten, versteht sich).
* Ein Landesparteisekretär der SPÖ (damals noch Zentralsekretär genannt) schien vom Spruch des Victor Adler: „Ein denkender Arbeiter trinkt nicht, ein trinkender Arbeiter denkt nicht“ nicht überzeugt worden zu sein. Er lud zu „Zehnerjause“ auf ein Bier und einen Klaren und verlegte dann das eigentliche Informationsgespräch in ein Nobelrestaurant, edel Soupieren mit Weinbegleitung, versteht sich. Heute würde dieses wenig sozialdemokratische Ritual schon unter Bestechung fallen.
* Der Bürgermeister einer Großstadt schaffte es mit seinen schon bedenklichen Trinkgewohnheiten sogar bis in die anzügliche, zotige Witzparade einer Faschingsgilde („Welches ist der sauberste Platz von Österreich? Na der von …, weil der Bürgermeister … immer mit einem Fetzen (volkstümlich für Vollrausch Anm.) drübergeht.“)
* Ein Landeshauptmann erlaubt einem Redakteur und einem Fotografen unter einer Bedingung an seinem 60. Geburtstag dabei zu sein, wenn diese mit jeder Glückwunschdelegation das Pflichtglas Barack (Marillenschnaps) mit tranken. An diesem Vormittag kamen 16 (sic!) Gruppen, die alle dem Landesfürsten ihre Aufwartung machten. Landeshäuptling und Journalisten kippten demnach 16 Klare … Die Geschichte erschien selbstredend. Sie war, so wurde am kommenden Tag in der Redaktionskonferenz gelobt, „sehr gut geschrieben gewesen“.
Man könnte diese Anekdotenliste beliebig fortsetzen. Vom Bankgeneral, der Bilanzpressekonferenzen zu Sektfrühstücken umfunktionierte (die Zahlen gaben damals immer etwas zum Feiern her). Vom Gewerkschaftschef, der Spritzer (Weinschorle) ganztägig als Erfrischungsgetränk servierte usw.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: JournalistInnen waren nicht die armen verführten Opfer. Der jeweilige Nachtdienst in der Redaktion pflegte die ruhige Zeit mit ein paar Bieren in der Kantine und die hektische Zeit der Produktion mit zwei Doppellitern Wein in der Setzerei zu verbringen. Der gemeinsame Umtrunk mit den Metteuren (Setzer an der fertig in Blei gegossenen Seite, die zur Korrektur und zum Beseitigen von Überlängen da waren) gehörten zum Ausklang eines arbeitsreichen Tages. Redaktionsfeste endeten bei einem Großteil der Belegschaft in veritablen Besäufnissen. Bei runden Geburtstagen musste Alkoholfreies in letzter Sekunde rasch aus der Kantine herbeigeschafft werden, weil es vom Einladenden schlicht nicht vorgesehen war. Eine Flasche Bier vor sich neben der Schreibmaschine regte niemanden auf.
Eine jüngere Generation (um die Jahrtausendwende, aber noch vor der oben genannten Veröffentlichung britischen Untersuchung von 2009) brachte erfrischende Nüchternheit in diesen Alkoholstrudel.
Im Vollrausch nach Ostberlin
Diesen KollegInnen war eine Zukunft, die in der Alkoholabhängigkeit endete (wie bei einigen Journalisten), nicht egal. Die Menge dessen, was man vertrug und trotzdem noch schreiben konnte, galt nicht mehr als Qualitätsmerkmal. Da kamen junge Damen und Herren, die um neun Uhr morgens keine zwei Biere in der Leber hatten, sondern zehn Kilometer in den Beinen. Das Verbessern des Morgenkaffees nach einer durchzechten Nacht mit einer gewaltigen Portion Wodka zählte zu den Gewohnheiten, die auf Ekel stießen.
Die langsam aussterbende (in Pension gehende) Generation wurde vielleicht nicht nüchterner, aber man trug die Trinkfestigkeit nicht mehr wie eine Fahne (im wahrsten Sinne des Wortes) vor sich her.
Das Vorbild vieler „Teufelsreporter“, Ernest Hemingway (siehe auch „Der Nobelpreisträger, den man auf Cocktails reduziert“), erschoss sich in tiefe Depression verfallen. Ein Kollege des Autors verschwand während eines Dienstes am Wochenende spurlos – er war im damaligen Ostberlin gelandet und wusste nicht mehr, wie er dort hinkam. Burnoutsituationen, wie sie heute zu mehrmonatiger Pause zwingen, wurden in Meeren von Alkohol weggeschwemmt, bis das Herz versagte (eine häufige Todesursache).
Es war die alte Zeit, sie wird manchmal in Anekdoten verklärend hervorgeholt – eine gute war es nicht.
Grafik: Thomas Frohnwieser (1)