Plattform für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
Der geradlinige Weg der Achterbahn
von Werner Schneider
Menschen, die ein psychiatrisches Krankenhaus verlassen, stehen oft vor dem Problem, sich in der Welt „draußen“ wieder zurecht finden zu müssen. In den Psychiatrien herrscht Ordnung, es gibt regelmäßig Therapien, der Tagesablauf ist gegliedert, es stehen immer Ansprechpersonen zur Verfügung. Nach der Entlassung erwartet die PatientInnen bisweilen Stigmatisierung, für Depressive ist es schwer, den Alltag selbst zu strukturieren, niemand überwacht mehr die Einnahme der Medikamente. Und die Gefahr, wieder aufkommende Angst- und Panikattacken mit Alkohol zu bekämpfen, ist groß. Der Verein Achterbahn in Graz, der inzwischen Steiermark weit aktiv ist, versucht Hilfestellung zu geben. Betroffene, also „Experten in eigener Sache“ helfen Betroffenen.
Früher – noch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts – galten Menschen mit psychischen Auffälligkeiten als „narrisch“. Psychiatrische Anstalten hießen „Narrenhaus“ und psychisch Kranke wurden als „deppert“ (verrückt) oder „hysterisch“ abgetan. Die Namen dieser Institutionen wurden zu Synonymen fürs weggesperrt gehören. In der Steiermark galt der „Feldhof“ (heute Landesnervenklinik Sigmund Freud - LSF) als Anstalt für „Irre“, in Wien war es der „Steinhof“, in Niederösterreich „Gugging“ (heute eine Eliteuniversität).
Der Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud, hatte zwar prominente Patienten, am Vorurteil gegenüber den Patienten konnte der große Mann aber nichts ändern. Unter den Nazis waren die psychiatrischen Kliniken oft Mordfabriken.
Hätten sich nicht Prominente zu ihren Depressionen bekannt, wäre nicht das Phänomen des Burnouts in aller Munde, es hätte sich bis heute nicht viel geändert. Außer, dass psychisch Kranke bereits das Gros der Invaliditätspensionisten stellen.
Michaela Wambacher (eine Architekturabsolventin), beim Verein Achterbahn für Öffentlichkeitsarbeit, Onlineredaktion und Projektmanagement zuständig, ist Mitbegründerin von Achterbahn und kennt die Probleme der psychisch Erkrankten aus eigener Erfahrung. „Es ist ja so, dass man sehr plötzlich aus der Klinik entlassen wird und dann vor einem großen Loch steht“, weiß sie aus leidvoller Erfahrung. Es gibt psychosoziale Stellen in der Steiermark, doch dort findet man – oft mit Wartezeiten verbundene – professionelle Beratung, hingegen keinen Austausch mit Gleichgesinnten, keine Möglichkeit, sich aktiv einzubringen. Genau das bietet Achterbahn.
1998 war Wambacher in der Psychiatrie und trug sich schon damals mit dem Gedanken, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. „Ich habe gedacht, ich kann anderen meine Erfahrungen mitteilen und ich habe für mich einen psychotherapeutischen Effekt, wenn ich mich mit anderen psychisch Kranken austauschen kann“, erinnert sie sich zurück.
Auf Augenhöhe
Im Zuge einer Coaching-Ausbildung lernte sie Kurt Senekovic kennen, den heutigen Obmann und Geschäftsführer von Achterbahn. Das war 2004, zwei Jahre später, 2006, wurde der Verein dann gegründet. Senekovic hatte gute Connections zu Entscheidungsträgern, etwa aus der Politik, so gab es auch Förderungen und man konnte ein Büro in der Grazer Plüddemanngasse 45 einrichten. Begonnen hat es dann mit Kaffee- und Frühstücksrunden Dienstag und Donnerstag, heute bietet der Verein ein umfassendes Programm, auch in den steirischen Bezirken. Dabei kam der Plattform zu Hilfe, dass die Steiermark Vorreiter bei den Tageskliniken ist, also weg von der stationären Behandlung hin zur ambulanten Betreuung. So entstand der in Deutschland schon länger gängige „Trialog“, wo Betroffene, Angehörige und Experten sich austauschen. „Wobei hier alle auf Augenhöhe agieren“, betont Wambacher. Das entwickelte sich so gut, dass bei einschlägiger Gesetzgebung auch Mitsprachemöglichkeit herrscht.
Entspannungsabende, Kochgruppe…
Wie muss man sich nun die Treffen bei Achterbahn vorstellen? Wambacher: „Die Frührunden am Dienstagvormittag und die am Donnerstagnachmittag sind eher lockere Zusammenkünfte von Betroffenen. Zwei Betroffene aus dem Team der Achterbahn, das inzwischen auf zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsen ist, organisiert diese Runden. Da gibt es gegen einen kleinen Unkostenbeitrag Kaffee und dann kann man locker plaudern und sich austauschen. So kann man ein paar Stunden in der Achterbahn verbringen. Entweder man tauscht sich in der Gruppe aus oder geht ins Büro und spricht mit der „Guten Seele“ der Achterbahn, die auch für die Administration zuständig ist.“ Daneben gibt es ein Angebot mit einer Psychotherapeutin, die geleitete Selbsthilfegruppe. Hier werden Themen behandelt, die gerade aktuell sind. Es gibt Entspannungsabende mit einem Energetiker, ebenso eine Kochgruppe, deren Schwerpunkt auf gesundem Essen liegt, außerdem gibt es eine Aktivgruppe, die unternimmt etwas in der Umgebung von Graz, und nicht zuletzt gibt es eine Kreativgruppe, bei der man sich handwerklich und künstlerisch betätigen kann.
Michaela Wambacher würde gerne eine Gruppe für Angst- und Panikpatienten einführen, weil bei diesen doch besondere Bedürfnisse vorhanden sind. Hier kennt sich Wambacher gut aus, denn sie haben die Angst- und Panikattacken in die Depression hineingeführt.
Neueste Errungenschaft ist eine Wohnung in Graz für Betroffene, die dem Verein Achterbahn von der Gesellschaft für seelische Gesundheit (GFSG) übertragen wurde. „Das ist jetzt unser Achterbahn Clubhaus“, freut sich Warmbacher, „dort sollen Betroffene selbst verschiedenste Aktivitäten organisieren.“
Alkohol gegen Angst und Panikattacken
Die Onlineredakteurin bringt viel Erfahrung ein, über die sie auch offen spricht. Zur Überwindung ihrer Angstattacken – etwa vor einem Zahnarztbesuch – mussten früher zwei Viertel Wein her. Bei größeren Anforderungen konnte es auch schon einmal Gin sein. Nach dem abgeschlossenen Studium begann die Panik vor den Vorstellungsgesprächen. Hier kam der Griff zum Cognac. Wambacher kennt den Leidensdruck aus eigener Erfahrung bestens. Und kennt die Vorurteile der Gesellschaft. Psychisch Kranke gelten als lebensuntüchtig oder gefährlich oder als suchtgefährdet – man traut ihnen schlicht nicht über den Weg. Der Grund dafür ist zu wenig Aufklärung in der Öffentlichkeit. Das zwingt jene, die sich mit ihrer Situation aktiv auseinandersetzen, zu Entscheidungen. Wambacher: „Ich war bei meiner ersten Depression 1998 an einem Punkt, an dem ich mir gesagt haben, ‚du trinkst jetzt gegen deine Angst- und Panikattacken an, bis es der Magen nicht mehr aushält, oder du hörst auf‘. Ich habe aufgehört.“ Das klingt unpathetisch, ist aber eine gewaltige Leistung. Viele, die heute bei den Anonymen Alkoholikern sind, haben mehrere Entzüge gebraucht, haben die Hölle der Rückfälle mitgemacht. Wambacher hat erlebt, dass die Depressionen mit und ohne Alkohol nicht aufhörten. Und sie entschloss sich trotz einer Angstphobie vor Ärzten und Krankenhäusern zu einer stationären Behandlung im LSF – denn es hatten bereits Selbstmordgedanken sich breit gemacht.
Michaela Wambacher war auch bei der Angehörigengruppe der Anonymen Alkoholiker, bei Al-Anon. Denn in ihrer Familie waren Alkoholsucht und Co-Abhängigkeit jahrelang Thema.
Schauspieler August Schmölzer ist Testimonial
August Schmölzer, der im gesamten deutschen Sprachraum bekannte Schauspieler und neben Franz Küberl (ehemaliger Caritas Obmann), Thomas Klein (Almdudler-Produzent) und Markus Hirtler (Kabarettist) Testimonial der Achterbahn, hat gemeinsam mit Mitinitiatoren den „Gustl 58“ (siehe www.herzensbildung.at) Preis zur Herzensbildung ins Leben gerufen, 2013 wurde er der Achterbahn verliehen. Schmölzer dazu: „Wer sich mit den Lebensläufen von psychisch Kranken auseinander setzt, wird so wie ich Bewunderung dafür empfinden, mit welcher Beharrlichkeit und Energie sich die Betroffenen aus ihren Krisen herausarbeiten mussten und mit welchen Widerständen sie dabei vielfach konfrontiert waren. Insofern sehe ich mein Engagement für Achterbahn als kleinen Beitrag dafür an, dabei zu helfen, was wohl jeder von uns als sein Grundrecht ansehen würde: Im Falle von Krankheit und Ausgrenzung auf Solidarität hoffen zu können und der Planung der individuellen Hilfe mitbestimmen zu können.“
Dass der Verein Achterbahn mit Visionen aber unpathetisch und ohne falsche Illusionen unterwegs ist, verdankt er auch jenen Aktivistinnen wie Kurt Senekovic oder Michaela Wambacher, die den Weg schon gegangen sind und in ein engagiertes Leben zurück gefunden haben.
Verein Achterbahn
8010 Graz, Plüddemanngasse 45, 1. Stock
Tel.: +43 (0)316/483 474
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Web-Adresse: www.achterbahn.st
Foto: Werner Schneider (1) Logos: Verein Achterbahn (1), Gustl 58 (1)