Prof. David Nutt bekämpft Alkohol höchst unorthodox
Der Rausch aus der Retorte, der eigentlich keiner ist
von Werner Schneider
Er ist Brite, 62 Jahre alt, und er ist Neuro-Psychopharmakologe. Er war sogar einmal britischer Drogenbeauftragter. Trotzdem hat ihm die renommierte Wissenschaftszeitschrift „Science“ den wenig rühmlichen Titel „der gefährliche Professor“ verliehen. David Nutt eckt überall an. Nun bewirbt er eine Chemikalie, die wirkt wie Alkohol, nicht aber süchtig macht. Mit einem Gegenmittel, das der Professor gleich mitentwickelt hat, wird die Wirkung schlagartig aufgehoben. Man könnte sich also nach dem „safer Schwips“, wie das Magazin „profil“ den Zustand betitelte, gleich ins Auto setzen oder zur Arbeit gehen. Es kam, was kommen musste: Protestgeheul aus allen Ecken … Das ist Nutt gewöhnt.
Der studierte Psychiater hatte am Downing College in Cambridge seinen Abschluss 1972 gemacht, das Klinikum schloss er 1975 ab. Er war in den USA in Washington DC tätig und trat nach seiner Rückkehr nach Großbritannien als Direktor am psychopharmakologischen Institut an der Universität Bristol an. Es folgten Aufgaben in London und schließlich wurde er 2008 zum Vorsitzenden des Beirates über Drogenmissbrauch (ACMD) bestellt.
Alles in allem nicht die Karriere eines spinnenden, gefährlichen Subjekts. Aber Nutt liebt den drastischen Vergleich. So schockte er die Briten und seine Brötchengeber zum Beispiel damit, dass er den in England so beliebten Reitsport mit dem Ecstasy-Konsum verglich. Der Psychopharmakologe kam zu dem für Briten unhaltbaren Schluss, dass es nur nach jeder 10.000. bunten Pille, die in Discos so beliebt sind, zu „nachteiligen Auswirkungen“ käme. Aber nach jedem 350. Ausritt käme es zu kritischen Unfallsituationen. Nicht nur die Queen war „not amused“. Nutt wollte unbedingt eine rationalere Drogendebatte als die ständige Keule mit der noch härteren Strafe für Konsumenten. Damit musste er unbedingt an die Öffentlichkeit.
Alkohol gefährlichste Droge
Innenminister Alan Johnson vermochte den aufmüpfigen Thesen des Drogenbeauftragten nicht soviel abgewinnen. Denn die Regierung hatte just zu diesem Zeitpunkt die Höchststrafe für Cannabis-Besitz von zwei auf fünf Jahre erhöht. Nutts Querschüsse ließen Innenminister Johnson im „Guardian“ sagen: „Er wurde gebeten zu gehen, weil er nicht sowohl ein Regierungsberater als auch ein Kämpfer gegen die Regierungspolitik sein kann.“ Das war dann das Ende für den Drogenbeauftragten.
Aber Nutt kämpfte weiter. Er wollte nicht hinnehmen, dass Heroin, Crack und Metamphetamine unwidersprochen als tödlichste Drogen bezeichnet würden. Er rechnete in einer Studie alle Faktoren hinein, die auch soziale Auswirkungen haben, die Familien zerstören und den Straßenverkehr gefährlich machen – siehe da, in der Hitliste des Psychopharmakologen stand plötzlich der Alkohol an erster Stelle. Was die Alkohollobby nur bedingt zu Jubelschreien hinriss. Sein Buch „Drogen – ohne heiße Luft“ wurde kein Bestseller. Nutt fordert ein Klassifikationssystem der einzelnen Drogen. Nur das sei eine Voraussetzung für wissenschaftlich fundierte Gesetze.
Nein zu Drogen, dafür mehr Zeit zum Trinken
Und weil der Alkohol in seinem Wertesystem gar so schlecht abschneidet, lässt der Brite auch bei Vorträgen keine Gelegenheit aus, nach drastischen Beispielen zu greifen.
Im Vorjahr hielt er bei einer Rede über Drogenpolitik ein Werbeplakat der Brauerei „Budweiser“ in die Höhe. Darauf war zu lesen: „Sagen Sie Nein zu Drogen, dann haben Sie mehr Zeit zum Trinken.“ Nutt führt so drastisch vor Augen, wie manipulativ die Alk-Lobby nichts unversucht lässt, sich selbst außerhalb der gängigen Drogen-Maßstäbe zu positionieren. Dabei stehen in Nutts Ranking die legalen Drogen Alkohol und Nikotin ganz oben.
Doch zurück zu seinem Abgang als Drogenbeauftragter. Der kämpferische Professor ließ sich nicht ins Out drängen. Er gründete das „Independent Scientific Committee on Drugs“. Mit dieser, wie der Name schon sagt „unabhängigen“ Institution, blieb er in der politischen Diskussion. Und erntete plötzlich wieder Lob. „Es gibt keine andere Droge, die so viele schädliche Folgen für so viele Organe in unserem Körper hat wie Alkohol“, heißt es in seinem Buch und das renommierte „Economist“-Magazin spendete Beifall: „besonnen, erquicklich klar“ ist dazu zu lesen.
Dass der britische Wissenschafter nur zu recht hat, belegen nackte Zahlen. Weltweit sterben jährlich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich 2,5 Millionen Menschen an den Folgen von Alkoholgenuss. In Österreich sind es 8000. Dass er die Volksdroge Nummer eins ist, belegen 1,2 Millionen MitbürgerInnen, die laut Anton-Proksch-Institut alkoholgefährdet sind.
Chemiecocktail statt Alkohol
Österreich wäre also für Nutts Substitutionsdroge ohne Nebenwirkungen geradezu ein herrlicher Absatzmarkt. Davor graut dem Leiter des Anton-Proksch-Instituts Michael Musalek. „Wenn man das Mittel als angenehm empfindet, dann verleitete es ja dazu, dass man es wieder nimmt. Wenn diese Substanz gleichzeitig nur über eine kurze Dauer wirksam ist und es entsprechend rasch auch wieder zu einem Abfall kommt, möchte der Konsument diesen Zustand natürlich wieder herstellen. Er wird also mehr davon nehmen. So kommt es erneut zu einer Suchtentwicklung“ warnt der österreichische Suchtexperte.
Er weiß sich in guter Gesellschaft. Dass in Bars, Cafés und Gasthäusern der Chemiecocktail statt Bier, Wein und Wodka konsumiert würde, schreckt auch Alcohol Concern, eine Hilfsorganisation, die gegen Alkoholmissbrauch kämpft.
Das wiederum schreckt den Psychopharmakologen wenig. Er sucht Investoren, die seine Forschungsarbeit mit Geldmitteln unterstützen.
Foto: Imperial College London (1) Logos: Alcohol Concern (1), Independent Scientific Committee on Drugs (1)