Nicht nur Toronto kennt trinkende Politiker
Die Millionenstadt mit dem Vollrauschbürgermeister
von Werner Schneider
Die kanadische Metropole Toronto hat etwa fünf Millionen Einwohner und einer von ihnen, Rob Ford, 45, war bis 2014 ihr „Mayor“, also der Bürgermeister. Und der machte viel von sich reden. Er war Alkoholiker, er hat Crack in der Pfeife geraucht und er leistet sich allerhand politische Skandale. Der Stadtrat hatte ihm deshalb einen Großteil seiner Machtbefugnisse entzogen und dem Vizebürgermeister übertragen. Auch durfte Ford nicht mehr frei über sein Budget verfügen – auch das hat seinen Grund, wie noch zu lesen sein wird. Der gewichtige Ex-Mayor wollte einer Entziehungskur unterziehen. Doch nachdem ein Tumor bei ihm diagnostiziert wurde, trat er als Bürgermeister zurück. Rob Ford, der 2016 verstarb, ist freilich kein Einzelfall: Politiker mit Alkoholproblemen sind gar nicht so selten.
Wäre Rob Ford ein US-Amerikaner hätte er ruhig bei der Tea Party Fraktion der Republikaner Karriere machen können, sogar mit Trinkfestigkeit – nur ohne Drogenexzesse. Er stammte aus einem Vorort, in dem es vor allem arbeitende Bevölkerung gibt. Der Studienabbrecher propagierte früh einen fundamentalen Konservativismus und lebte den auch. Ford war Vater zweier Kinder, fuhr einen überdimensionierten Geländewagen, ernährte sich mit Begeisterung von Fastfood (Kentucky Fried Chicken) und stand auf dem Standpunkt, dass Radfahrer, wenn sie im Straßenverkehr verunglücken, selbst daran schuld seien. Er war Coach des Football-Teams der Don Bosco Catholic Secondary School. Und ließ Linienbusse stoppen, wenn der Bus seiner Mannschaft Vorfahrt benötigte.
So nebenbei nannte er einen Oppositionspolitiker im Rausch eine „Schwuchtel“.
In seinem Programm waren Sozialkürzungen fest verankert. HIV-Positiven ließ er ausrichten, sie sollten nicht schwul sein und nicht an der Nadel hängen.
Dabei bewies der trinkfeste Mann immer auch eine Portion Volksnähe. So ließ er die Beschwerdehotline in sein Büro umleiten und kümmerte sich gerne persönlich um die Probleme. Eine gewisse Trinkfestigkeit gestattete man dem Bürgermeister schon. Sogar Ausraster. Am St. Patricks Day 2012 schlug Ford bei einer der traditionellen Parties einen Mitarbeiter nieder. Und weil’s so schön war, ging er danach ins Rathaus und verprügelte den nächsten. Immer wenn Skandale in die Öffentlichkeit kamen, leugnete und log der Mayor, dass sich die Balken bogen.
Crack-Pfeife und viel Alkohol
Bis das Rauchen der Crack-Pfeife via Handyvideo den Medien zugespielt wurde, zusammen mit im Vollrausch getätigten Schimpfkanonaden. Rob Ford versuchte es nochmals mit dem, was er unter Charmeoffensive verstand. Er sagte zum Reporter: „Sie haben mich im Mai etwas gefragt, fragen Sie mich nochmals.“ – „Sie meinen, als wir Sie fragten, ob Sie Crack geraucht haben?“ – „Ja, fragen Sie mich das nochmal.“ – „Haben Sie Crack geraucht, Herr Ford?“ – „Äh, ja, ich glaube, ich habe Crack geraucht.“
Aber Rob Ford ist kein Einzelfall.
EU-Parlamentspräsident als bekennender Alkoholiker
Da ist der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz aus einem ganz anderem Holz geschnitzt. Auch er ist Alkoholiker, hat sich aber solche Eskapaden wie Rob Ford nie geleistet. Schulz steht zu seiner Vergangenheit und gibt offen seine Erfahrungen weiter. „Als Jugendlicher zwischen 18 und 24 Jahren hatte ich große Probleme mit dem Alkohol“, gestand der 1955 geborene Politiker der BILD-Zeitung, „ich hatte damals nicht gedacht, dass ich nochmal auf die Beine komme und mich beruflich und politisch verwirklichen kann.“ Tatsächlich stand es um den gelernten Buchhändler trist, da er seine Arbeit aufgrund des Alkoholmissbrauchs verlor und kein Geld mehr hatte, um seine Miete zu bezahlen. Als er kurz vor der Zwangsräumung stand, rief der verzweifelte junge Mann seinen Bruder zu Hilfe, der ihn in eine Klinik brachte. Mit Erfolg: Martin Schulz hat seit mehr als 30 Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt.
Auch Schulz' politischer Gegenspieler Jean-Claude Juncker soll ein Alkoholproblem haben, doch anders als der ehemalige Parlamentspräsident dementiert der gebürtige Luxemburger die Gerüchte. „Ich habe kein Alkoholproblem“, stellte er fest, als ihn der neue Chef der Euro-Gruppe, der Niederländer Jeroen Dijsselbloem, in der TV-Talk-Show vorwarf, „ein verstockter Raucher und Trinker“ zu sein. Was so mancher seiner Weggefährten anders sieht. Bei manchen Sitzungen soll er einen erratischen, sprich verwirrten Eindruck vermittelt haben, sagen manche, andere wiederum sprechen von einer Alkoholfahne, die sie mehr als einmal bei ihm gerochen haben wollen. Wiederum andere berichten, dass sich der EU-Politiker schon zum Mittagessen zwei Gin Tonic und ein Bier genehmige. Und ein Journalist schrieb, dass Juncker tatsächlich kein Problem mit dem Alkohol habe, nur ohne.
Trinkfestigkeit als Markenzeichen
In Österreich sind die hemdsärmeligen Politiker (manche auch nicht ganz so bürgernah, wie wir noch sehen werden), die von Händeschütteln zu Händeschütteln und von Spatenstich zu Bauteneröffnungen eilen und bei jedem Durchschneiden eines Bandes von der Marketenderin mit einem „Schnapserl“ begrüßt werden, ebenfalls Legende. Nur leben sie in trauter Kumpanei mit den Medien und alkoholbedingte Ausrutscher finden nicht den Weg in die Öffentlichkeit.
Manche haben eine gewisse Trinkfestigkeit sogar zu ihrem Markenzeichen gemacht. Wiens legendärer und 2008 verstorbener Bürgermeister Helmut Zilk verlegte Gespräche gerne in sein Stammlokal „Bauer-Gustl“ und ward dort nie mit Cola oder Kaffee gesehen. „Hörst, alter Freund, da red‘ ma jetzt bei an Spritzer (Weinschorle, Anm.)!“ war einer seiner Lieblingsgesprächseinstiege. Auch der jetzt regierende Michael Häupl lebt ganz gut mit dem Ruf, dass der Spritzwein sein Lieblingsgetränk sei. Man redet ja nur Augen zwinkernd darüber.
Ein früherer Wiener Stadtchef brachte es mit seinen Trinkgewohnheiten sogar bei einer traditionellen Karnevalsveranstaltung (Villacher Fasching) in die Büttenrede: „Welches ist der sauberste Platz in Wien?“ – „?“ – „Der Rathausplatz, weil der Poldi Gratz immer mit einem Fetzen (Wortspiel: Vollrausch und zugleich Tuch zum Säubern, Anm.) drüber geht!“ Dabei war besagtes Stadtoberhaupt keinesfalls das, was man hemdsärmelig oder leutselig nennen konnte.
Noch Alkohol geeichter müssen Politiker auf dem Lande sein. Wer im Dorf oder in der Kleinstadt amtiert – als Bürgermeister, Gemeinderat, Landtags- oder Parlamentsmandatar – muss gewärtig sein, bei jedem Gasthausbesuch angeredet zu werden: „Geh‘, setz dich her auf ein Glasel.“ Heutzutage hilft oft der Satz: „Es ist noch zu früh, ich muss noch arbeiten.“ Oder „Ich bin mit dem Auto da.“
Früher gab es kein Pardon. Da wurde schon am Vormittag eingeschenkt und politisiert. Beschwerden oder Lob, alles wurde begossen. Und die Gendarmerie (heute Polizei) ließ keine öffentliche Persönlichkeit ins Röhrl blasen.
Politiker mit Dauerspiegel
Über Wahlkampffahrten mit entsprechenden Alkoholexzessen ist hier schon im Zusammenhang von Journalismus und Alkohol berichtet worden (siehe auch „Tolle Stories mit dem Bier neben der Schreibmaschine“). Aber oft waren es gar nicht die Vollräusche. Manche Politiker lebten mit dem Dauerspiegel und es wurde toleriert. Leopold Figl, der VP-Spitzenpolitiker, der Österreich den Staatsvertrag gebracht hatte, fand schon 1955 den Weg in eine absolut positiv gemeinte Karikatur, die ihn mit Julius Raab, damals Bundeskanzler, zeigt, umgeben von unter den Tisch gesoffenen Sowjetpolitikern. Noch ein Wienerlied, dann seien sie unterschriftsreif, flüstert der trinkfeste Figl dem Zither spielenden Raab ins Ohr (siehe Bild). Man kannte den lockeren Griff zum Wein, den der Niederösterreicher gar so liebte. Seine Nachfahren im Landesparlament – ob sie nun aus dem bäuerlichen Bereich kamen oder aus dem Arbeiterflügel – hielten an Figls Tradition fest, dass man vor einem Gesprächstermin anstoßen müsse. Spätestens aber danach.
Fragwürdige Berühmtheit
Doch auch die Sozialdemokratie brachte trinkfeste Leute hervor. Abgesehen von den schon erwähnten Wiener Bürgermeistern (alle SPÖ) schaffte es ein burgenländischer Landeshauptmann zu fragwürdiger Berühmtheit. Eine Polizeistreife fand den Dienstwagen mit dem etwas derangierten Spitzenpolitiker nachts auf der Autobahn – ein ziemlicher Totalschaden. Landeshauptmann Karl Stix meinte anfangs, er sei mit seinem Chauffeur unterwegs gewesen und wisse nun nicht, wo dieser sei. Der gute Fahrer war aber schon am frühen Abend nach Hause geschickt worden. Danach gab es noch „Empfänge“ auf einem Ausflugsschiff am Neusiedler See. Also fiel dem Landeshauptmann doch ein, dass er selbst gefahren war. Er kam für zwei Tage zur Beobachtung ins Spital – und von dort kam die erfreuliche Nachricht, es sei keine Alkoholisierung festgestellt worden… Die Medien berichteten mehr oder minder süffisant über den Ablauf. Einige Journalisten hatten den Landeshäuptling tagsüber sogar mehrmals mit dem obligaten Weinglas gesehen. Aber es stellte keine/r Fragen. Die antworten hätte niemand wissen wollen. Und der Böse wäre der Überbringer der Nachricht gewesen, niemals aber der Landesvater.
Fotos: City of Toronto (1), Martin Schulz / Copyright Susie Knoll (1), Simplicissimus, 1955Jg. Nr. 17, S. 3. (1)