Alkoholiker haben hohes Suizid-Risiko
Ich bin dann mal weg – und zwar für immer!

von Harald Frohnwieser

Hinter jedem Selbstmord steckt eine menschliche Tragödie, soviel ist klar. Bei 70 bis 90 Prozent ist eine psychische Erkrankung die Ursache, in den meisten Fällen war es eine ausgeprägte, langanhaltende Depression, die den Betroffenen jeglichen Lebenswillen nahm. In Österreich nahmen sich im Jahr 2012 insgesamt 1275 Menschen das Leben, in Deutschland waren es in diesem Zeitraum 9890 Personen, die nicht mehr weiter leben wollten oder konnten. Obwohl die Deutschen eine geringere Suizidrate haben als die Österreicher, sterben zwischen Flensburg und Bad Tölz immer noch mehr Menschen durch eigene Hand als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und Aids zusammen. Besonders gefährdet, „freiwillig“ aus dem Leben zu scheiden, sind Menschen, die eine ausgeprägte Depression haben und Alkoholabhängige. Ein Alkoholiker, der zwei Selbstmordversuche hinter sich hat, erzählt aus seinem Leben.

Die gute Nachricht zuerst: Sowohl in Österreich als auch in Deutschland und der Schweiz war die die Suizidrate im Jahr 2012 leicht rückläufig. Doch einen Grund, die Hände in den Schoß zu legen, gibt es freilich nicht. Noch immer sind psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch, und wer an einer Depression erkrankt, hat ein um ein 20-faches höheres Risiko, mehr oder weniger freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Dazu Assoc. Prof. Priv-Doz. Dr. Nestor Kapusta von der Medizinischen Universität in Wien: „Die Ursachen sind vielfältig und reichen von psychischen über kulturelle bis hin zu sozialen Faktoren, die auch eng miteinander verbunden sind.“ Kapusta weist auch darauf hin, dass seit Ausbruch der Wirtschaftskrise in vielen Ländern ein Anstieg der Suizidraten zu verzeichnen ist. Ältere Menschen sind ebenfalls gefährdet, bei den über 65-jährigen sterben fünfmal so viele Menschen durch Selbstmord als jüngere Personen. „Die Senioren sind eine große Risikogruppe, auf die man leicht vergisst“, ist es Nestor Kapusta ein großes Anliegen, auch die Älteren zur Seite zu stehen, wenn der Lebenswille schwindet.
Alkoholiker sind ebenfalls sehr stark von Suizidgedanken betroffen. „Alkoholabhängige haben ein um ein siebenfach höheres Risiko, sich das Leben zu nehmen“, weiß Nestor Kapusta aus seiner langjährigen Erfahrung.
Tiefschläge nahmen den Lebenswillen
Einer von ihnen ist Johann Bauer, obwohl er erst in späteren Jahren zum Alkoholiker wurde. Der heute zweifache Großvater fühlte sich schon als Kind als Außenseiter. Er wurde von Schulkameraden ebenso gemobbt wie später als Lehrling. Freunde fand er als Jugendlicher keine, und so ist es kein Wunder, dass er früh das Vertrauen in die Menschen verlor. Während seiner Zeit beim Bundesheer lernte der junge Mann seine erste Frau kennen, die er 1979 heiratete, zwei Jahre später kam der gemeinsame Sohn zur Welt. „Während dieser Zeit fühlte ich mich zum ersten Mal wohl. Ich verdiente gut und hatte zumindest die ersten zwei Jahre der Ehe keine seelischen Probleme“, erzählt Bauer. Doch dann kamen die verschiedene Tiefschläge: „Mein Vater verließ meine Mutter, die nun hohe Schulden hatte. Ich musste mein Haus verkaufen, und meine Mutter verlor ihren ganzen Besitz.“ Was folgte, waren Probleme am Arbeitsplatz, der Verdienst verringerte sich und zu Hause kam es immer öfter zum Streit mit seiner Frau, die bald Affären mit anderen Männern einging.
„Gleich nach der Scheidung musste ich mehrere staatliche Prüfungen im Zuge meines Dienstverhältnisses absolvieren, und so stieg der seelische Druck“, blickt Johann Bauer auf diese Zeit zurück, in der sich die ersten Selbstmordgedanken bei ihm einschlichen. Bald darauf sah er einen Ausweg aus seiner angespannten Situation nur darin, sich mithilfe von Tabletten aus dem Leben zu verabschieden. Weg sein, und zwar für immer. Johannes Bauer: „Ich wurde rechtzeitig gefunden und gerettet, erhielt aber keine weiterführende psychische Behandlung.“ Weiter wursteln also, und zwar alleine.
Seelische Probleme und viel Alkohol
Trotz weiterer Schicksalsschläge wie ein Jahr Krankenstand aufgrund eines schweren Sportunfalls und der Tod seiner Mutter, machte sich Bauer nicht nur selbständig, er fand auch eine neue Lebensgefährtin, mit der er bald einen kleinen Sohn haben sollte. „Es ist zwar mein Traum im Erfüllung gegangen“, erzählt er, „aber meine seelischen Probleme nahmen wieder zu, und so begann ich erstmals zu trinken.“ Kaum mehr nüchtern, trieb ihn der Alkohol zu beruflichen unüberlegten Handlungen und letztlich in den Konkurs.
Bauer: „Da meine Alkoholprobleme immer schlimmer wurden, steuerte ich im Jahr 2007 auf eine wahre Katastrophe zu. Im Mai verließ mich meine Lebensgefährtin. Zwei Monate später verlor ich wegen Trunkenheit am Steuer meinen Führerschein.“
Im November konnte der Mann, der am Land lebt, sein Leben nicht mehr ertragen. Zunächst schluckte er mehrere Tabletten, dann setzte er sich ins Auto, um mittels Auspuffgase nun endgültig Adieu zu sagen. Um es kurz zu machen: Johann Bauer konnte, nachdem er nachts viele Stunden lang durch einen Wald irrte, wieder gefunden und in ein Krankenhaus gebracht werden. „Durch die Einnahme von Medikamenten und Besuchen bei einem Facharzt und einer Psychotherapeutin habe ich nach einigen Hochs und Tiefs wieder ins Leben zurück gefunden, auch wenn der Weg schwierig war. Ich musste von vorne beginnen und Vertrauen in die Menschen und ins Leben aufbauen“, erzählt Johann Bauer. Und will allen, die sich in einer vermeintlichen ausweglosen Situation befinden, Mut machen. „Ich bin froh, dass ich noch am Leben bin. Auch wenn es manchmal etwas schwer ist, so gibt es doch viele schöne Momente, die ich nicht missen will. Es ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass es Hilfe gibt“, sagt Bauer, der nun seit einigen Jahren trocken ist.
Mehr Behandlungsakzeptanz
„Die gesellschaftliche Aufklärung über psychische Erkrankungen und die Akzeptanz von ambulanten und stationären psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsangeboten steigt stetig und dies obwohl manche Behandlungen selbst zu bezahlende Leistungen darstellen und für sozial unterprivilegierte Menschen schwerer zugänglich sind“, berichtet Nestor Kapusta.
Interessant dabei ist, dass es in Österreich große regionale Unterschiede in der Suizidmortalität gibt. Die Bundesländer Steiermark und Kärnten weisen die höchsten Suizidraten auf, in manchen steierischen Bezirken in der Steiermark sind die Werte zum Teil doppelt so hoch wie in anderen Regionen. „Noch in den 1970er Jahren waren die Städte bei den Selbstmorden führend, das hat sich verändert“, macht Kapusta auf eine Trendumkehr aufmerksam. Als Grund nennt er die vielen psychologischen Beratungsstellen – wie etwa die Psychosozialen Dienste – von denen es mehr in den urbanen als in den ländlichen Gebieten gibt (siehe auch „Hier sieht mich keiner schief an, nur weil ich trinke…“).
Falsche Eigenbehandlung mit Alkohol
Doch es gibt nicht nur Stadt/Land-Unterschiede, auch das Geschlecht spielt beim Suizid eine nicht unwesentliche Rolle. Männer haben ein dreifach höheres Suizidrisiko als Frauen. „Bei Männern bis zum 40 Lebensjahr ist Suizid sogar die zweithäufigste Todesursache“, macht Univ.-Prof. Dr. Christian Haring vom Landeskrankenhaus Hall in Tirol auf eine erschreckende Tatsache aufmerksam. Als Therapieziel bei depressiven Menschen nennt er die Wiederherstellung einer normalen Schlafarchitektur, Herstellung der Konzentration sowie die Reduktion von Schuldgefühlen und Hoffnungslosigkeit. Grundsätzlich müssen, so Haring, alle bestehenden Symptome deutlich gebessert werden, da sie sonst von den PatientInnen selbst „behandelt“ werden. Wie eine solche „Behandlung“ aussieht, ist dem Mediziner klar: „Dies erfolgt häufig durch Alkohol- und Medikamentenmissbrauch, wodurch die Gefahr der Entwicklung einer zusätzlichen Abhängigkeitserkrankung besteht.“ Das Resultat daraus ist für Haring nur eine logische Entwicklung: „In diesen Fällen steigt die Suizidgefahr nochmals erheblich.“
Doch nicht nur eine Suchterkrankung spielt bei Selbstmorden eine große Rolle, auch wenn man vom Alkohol nicht abhängig ist, spielt der Konsum von zu viel Wein oder Wodka bei einem Suizid eine große Rolle, weil er enthemmt. Das Wienerlied „Es wird ein Wein sein, und mir wern nimmer sein“ kann so zu einer traurigen Realität werden – vor allem für die Hinterbliebenen.

Infos über die Suizidprävention des österreichischen Bundesministerium für Gesundheit unter: www.suizidpraevention.at

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