Alk-Konsum in Sachsen & Co
Im Osten nichts Neues
von Harald Frohnwieser
Dass in den neuen Bundesländern von Deutschland mit Abstand am meisten Alkohol getrunken wird, hat laut Suchtexperten mehrere Gründe: Die Trinkkultur in der damaligen DDR, die bis in den Arbeitsplatz hineinging. Doch auch die Wende in den 1990er Jahren wird dafür verantwortlich gemacht, dass in Ostdeutschland mehr Alkohol getrunken wird als in den westlichen Bundesländer.
Dass im Osten von Deutschland besonders viel Alkohol getrunken wird, hat leider eine traurige Tradition. Suchtmedizinerin Gitta Friedrichs von der Rehaklinik „Alte Ölmühle“ in Magdeburg in Sachsen-Anhalt, nennt in einem MDR-Interview drei Gründe, die ihrer Erfahrung nach dafür verantwortlich sind: „Die DDR-Trinkkultur ging damals bis in den Arbeitsplatz hinein, zudem gab es kaum illegale Drogen. Und drittens kam auch noch die Wende in den 1990er Jahren, die starke soziale und gesellschaftliche Probleme mit sich brachte.“ Die Bilanz davon ist, dass sich „ein Verhältnis zum Alkohol von Generation zu Generation weitervererben kann.“ Und nicht nur das. Lag der Anteil der trinkenden Männer in Sachsen-Anhalt vor fünf Jahren noch bei 22,6 Prozent, so ist diese Zahl mittlerweile auf 26,7 Prozent angestiegen. Auch die Frauen greifen hier gerne zum Glas: Mit einem Anteil von zwölf Prozent belegen sie hinter ihren Geschlechtsgenossinnen in Bayern (13,8 Prozent) deutschlandweit den zweiten Platz.
Drei Flaschen Schnaps und zehn Flaschen Bier am Tag
Ein ostdeutscher Alkoholiker namens Pit, der seit mehr als 20 Jahren ein Suchtproblem hat und nun in eine Suchtklinik eingecheckt hat, erzählt einem Reporter vom MDR, wie seine Suchtkarriere begann: Mit Chrystal Meth, Kokain und Marihuana hat alles angefangen, und als er davon loskam, stieg er auf Alkohol um. „Es ist schleichend mehr geworden. Die Höchstmenge, die ich getrunken habe, waren drei Flaschen Schnaps und acht bis zehn Flaschen Bier täglich“, blickt er zurück. Und weiter: „Das Schlimme ist, du kannst noch gerade laufen, kannst noch sprechen.“ Nach und nach wandten Angehörige und Freunde sich von ihm ab, bis er niemanden mehr hatte, dem er sich anvertrauen hätte können. „Du hast dann depressive Verstimmungen und in den wenigen nüchternen Phasen wird dir dann bewusst, was du alles gemacht und wen du alles verloren hast.“ Die Folgen solcher – meist nächtlichen – Grübeleien sind für einen Alkoholiker leider normal: er trinkt wieder.
Alkohol als Belohnung vom Betrieb
Auf die Frage des MDR-Reporters, warum gerade im Osten Deutschlands so viel getrunken wird, berichtet Pit von seiner Familie: „Ich kann nur von meinem Opa erzählen, das war ja damals noch in der DDR. Da gab es im Betrieb schon Schnaps. Die haben zur Belohnung ihre zwei Pullen Schnaps gekriegt. Mein Opa hat gesagt, dass das damals gang und gäbe war. Fürs Wochenende hast du die mitgekriegt und das hast du getrunken.“
Die meisten Alk-Toten in Sachsen-Anhalt
Erschreckend sind auch die Zahlen jener Menschen, die im Osten ihren Alkoholmissbrauch mit dem Leben bezahlen müssen. So sterben in Sachsen-Anhalt 40 Menschen pro 100.000 Einwohner jährlich an den Folgen ihres Alkoholkonsums, hier führt das ostdeutsche Bundesland die bittere Statistik an. Auf den zweiten Platz liegt Mecklenburg-Vorpommern, Platz drei belegt Brandenburg. Nur zum Vergleich: In Bayern – dem Land der Biergärten und des Oktoberfestes – sterben statistisch gesehen 14 von 100.000 alkoholkranken Menschen an den Folgen ihrer Sucht.
Viele Sachsen haben ein Alkoholproblem
Besorgniserregend ist auch, dass die Zahl der Alkoholabhängigen in den neuen Bundesländern immer weiter ansteigt. So hatten im Jahr 2020 mehr als 75.000 Sachsen ein krankhaftes Alkoholproblem. Nur vier Jahre zuvor waren es um 13 Prozent weniger. Und der Anteil der weiblichen Alkoholkranken stieg von 2016 um sogar 16 Prozent, wie eine umfangreiche Studie der Barmer-Krankenkasse in Sachsen ans Tageslicht bringt. Dazu Axel Wiedemann von der Barmer-Krankenkasse: „Alkoholismus manifestiert sich in der Regel über viele Jahre und kommt vor allem in der Generation der Babyboomer der 1950er- und 60er-Jahre vor.“
Anstieg auch in Thüringen
Was die Suchterkrankung der Babyboomer betrifft, wird auch in Thüringen bestätigt. Von den 36.700 Alkoholikern im Jahr 2020 war der Großteil zwischen 55 und 56 Jahre alt. Auch der Anstieg der Alkoholiker, die sich in eine ärztliche Therapie begaben, gibt Anlass zur Sorge – stieg die Anzahl der Menschen, die chronisch abhängig von Bier, Wein oder Schnaps waren, innerhalb von vier Jahren um zwölf Prozent. Aber nicht nur ältere, auch jüngere Menschen bis zu 30 Jahre greifen in Thüringen zur Flasche – von den rund 2,1 Millionen Einwohnern wurden 2020 mehr als 1.600 Suchtkranke in dieser Altersgruppe registriert.
Alkohol gesellschaftlich akzeptiert
Warum so viele Menschen, und das nicht nur in Ostdeutschland, regelmäßig um ein Vielfaches mehr Alkohol trinken als ihnen guttut? Dazu Landesgeschäftsführer Dr. Fabian Magerl von der Barmer-Krankenkasse: „Das hat auch damit zu tun, dass Alkohol in Deutschland ein Kulturgut ist und gesellschaftlich akzeptiert wird.“ Dabei, gibt Magerl zu bedenken, sei Alkohol ein Zellgift und für die Entstehung von mehr als 200 Krankheiten mitverantwortlich ist. Sein Kollege Axel Wiedemann blickt dennoch leicht optimistisch in die Zukunft: „Heute stehen in der Gesellschaft die Risiken des Alkoholkonsums stärker im Vordergrund.“
Grafiken: commons.wikimedia.org / Herbert Gute und Martin Hänisch (1), Sachsen-Anhalt (1)
Zum Thema: „Bundesland Sachsen-Anhalt“