Alarmierend: Ein Drittel der Ärzte ist suchtkrank
„Alkohol als willkommenes Ventil“

von Harald Frohnwieser

Der Druck, immer helfen zu müssen, lange Arbeitszeiten im Krankenhaus, Stress bis hin zum Burnout. Eine neue Studie aus Deutschland belegt, was schon lange vermutet wurde: Ärzte haben ein sehr hohes Risiko, im Laufe ihrer Karriere an einer Abhängigkeit zu erkranken. Doch was die Therapiebereitschaft der Mediziner betrifft, sieht es leider mager aus. Nur ein kleiner Prozentsatz absolviert erfolgreich ein Therapieprogramm. In den vergangenen Jahren waren es in ganz Deutschland lediglich 400 Ärzte, die sich ihrer Suchterkrankung stellten. Das sind Schätzungen zufolge lediglich drei Prozent der Betroffenen. Erschreckend dabei ist auch, dass viele Ärzte an den Folgen ihrer Sucht sterben.

Dr. Wolfgang Hagemann„Unter uns Ärzten ist die Alkoholsucht sehr verbreitet, ich glaube, dass wir damit sogar an der Spitze aller Berufsgruppen liegen“, sagt resignierend ein Spitalsarzt aus Wien zum „Alk-Info“-Reporter. Als Grund nennt er die langen Dienste im Krankenhaus, die schon mal 72 Stunden am Stück betragen können. „Einmal“, blickt der Mediziner zurück, „habe ich sogar 96 Stunden durchgehend gearbeitet.“ Geschlafen hat er in dieser Zeit nicht. „Ab und zu konnte ich mich zwar ein wenig hinlegen, aber nur für 20 oder maximal 30 Minuten, dann ging es wieder weiter“, so der Arzt, der nicht genannt werden möchte. „Dass man dann irgendwann einmal zum Alkohol greift, um diesen enormen Stress abzubauen, ist irgendwie normal“, zieht der Familienvater resignierend sein Resümee. Zu all dem Stress kommt auch noch das schlechte Gewissen, die Familie zu vernachlässigen. „Zeit für die Ehefrau oder die Kinder bleibt da nicht viel übrig. Wenn man zu Hause ist, will man dann nur eines – endlich einmal lang und ausgiebig durchschlafen.“
Dass Problem von alkoholkranken Ärzten ist freilich nicht auf Wien oder Österreich beschränkt, auch in Deutschland gibt es zahlreiche Helfer in Weiß, die zu Wodka, Cognac oder Wein greifen, um – und sei es auch nur für eine kurze Zeit – mal ordentlich ausspannen zu können. Die Röher-Parkklinik in Eschweiler in Deutschland hat nun eine Studie veröffentlicht, deren Ergebnis die Ärztekammer in Alarmbereitschaft versetzen müsste. Demnach ist rund ein Drittel der Ärzte süchtig oder zumindest stark suchtgefährdet. Im Interview mit dem ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ sprach der Leiter der Klinik, Dr. Wolfgang Hagemann, von einem „Fanal-Charakter“. „Wenn wir diese Entwicklung, diese hohe Zahl, fast ein Drittel, als ein Signal nehmen, was fast schon Fanal-Charakter hat, dann ist es ein strukturelles Problem, was diesen Berufsstand betrifft“, so der Klinikleiter.
Mehr als 100.000 sind suchtkrank
Wolfgang Hagemann und sein Team haben für die Studie 1387 Ärzte anonym oder online befragt, wie sie ihren Stress abbauen. Mittels einer sechsstufigen Antwortskala mussten sie angeben, ob es zutrifft, dass sie zu AlkoholÄrzte bzw. Mediziner und Alkoholsucht oder Medikamente greifen, um ihren beruflichen Stress abzubauen. Während zehn Prozent zugaben, dass das auf sie zutrifft bzw. stark zutrifft, gaben 20 Prozent an, dass sie entweder teilweise oder sogar überwiegend zu Medikamenten und/oder Alkohol greifen, um den Stress zu reduzieren. Im Klartext bedeutet das, dass weit mehr als 100.000 deutsche Ärzte ein Suchtproblem haben, das heißt, dass ihr Umgang mit Alkohol und Medikamenten riskant ist, oder bereits chronisch an einer Suchterkrankung leiden. Wolfgang Hagemann bezeichnet diese Zahlen als alarmierend und spricht von einer deutlichen Zunahme seit den 1990er Jahren. Laut dem Studienleiter sind Ärzte weit stärker von einer Suchterkrankung betroffen als die sogenannte Normalbevölkerung. Hagemann zu „Report Mainz“: Die Politik ist nun gefordert, da gegenzusteuern.“
Viele sterben an den Folgen ihrer Sucht
Es ist auch höchste Zeit. Denn es sterben mehr Ärzte an den Folgen ihrer Sucht als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Ruhr-Universität in Bochum. So sind allein am Missbrauch des starken Narkosemittel Propofol in den vergangenen Jahren mehr als 80 Menschen in Deutschland gestorben. Man braucht wohl nicht besonders darauf hinweisen, dass die meisten davon Ärzte waren. Doch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sieht keinen besonderen Handlungsbedarf. Das Ministerium verweist lediglich auf die Therapieprogramme, die inzwischen von nahezu allen Landesärztekammern angeboten werden. „Report Mainz“ hat alle 17 Kammern befragt. Das Ergebnis ist ernüchtern: Lediglich 400 Ärzte haben sich ihrer Sucht gestellt und ein Therapieprogramm erfolgreich absolviert. Zwar kann die Bundesärztekammer die aktuellen Zahlen der abhängigen Ärzte (mehr als 100.000) nicht nachvollziehen und spricht von etwa 15.000, dennoch muss es zu denken geben, dass demnach nur etwas mehr als drei Prozent eine Therapie in Anspruch genommen haben.
In einem Interview mit der „Bild-Zeitung“ nahm der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Franz König, zu diesem Problem ebenfalls Stellung. „Ich behandelte Kollegen, die zu mir kamen, weil das Zittern so stark geworden ist, dass sie bei einer OP die Instrumente nicht halten konnten“, so der ehemalige Chefarzt und Buchautor. Und weiter: „Viele können ihr Problem über Jahre kaschieren, weil sie den einfachsten Zugang zu Beruhigungsmitteln (z. B. Benzodiazepine) haben: Sie können sich selbst ein Rezept über Angehörige ausstellen oder gehen einfach zum Medikamentenschrank.“
Hohe Anforderungen an sich selbst
Das Deutsche Ärzteblatt nimmt zu dieser besorgniserregenden Thematik ebenfalls Stellung. „Viele Ärzte stellen zu hohe Anforderungen an sich selbst. Sie wollen dem Ideal des selbstlosen Helfenden entsprechen, der zu jeder Zeit mit maximalem Einsatz arbeitet. Überbelastung und scheitern sind so programmiert“, analysiert das Blatt, „andere setzen sich unter emotionalen Druck, weil sie die Schicksale ihrer Patienten zu nahe an sich heranlassen. Dazu kommen wirtschaftliche Belastungen. Alkohol wird da leicht zum willkommenen Ventil. Häufig kommt auch eine Medikamentensucht dazu. Pharmaka sind für Ärzte leicht zu haben. Mit ihrer Wirkung kennen sie sich aus. Gerade deshalb aber unterschätzen die meisten aber das Suchtpotential der Mittel.“ Weiters schreibt das Ärzteblatt, dass die meisten der betroffenen Ärzte nicht wahrhaben wollen, dass sie süchtig sind. Zudem scheuen sich sowohl die Kollegen als auch die Patienten davor, den Arzt auf seine Sucht anzusprechen. Begibt sich aber ein Mediziner in eine therapeutische Einrichtung, so hat er meist Probleme, sich in der Rolle des Patienten einzufinden. „Sie sind in der Klinik, weil sie Hilfe brauchen, und nicht, weil sie sich unter Kollegen einmal über ihre Krankheit unterhalten wollen“, wird ein Chefarzt einer Suchtklinik im „Ärzteblatt“ zitiert.
Interessant ist auch, dass Ärzte meist viel länger süchtig sind als Vertreter anderer Berufsgruppen, der Unterschied kann bis zu zehn Jahren plus betragen. Die Ärztekammer Hamburg spricht von „prolongierten Krankheitsverläufen mit katastrophalen sozialen und körperlichen Folgewirkungen“. Bei Süchtigen aus Berufsgruppen mit hohem Sozialprestige ende die Krankheit erschreckend häufig mit dem Selbstmord des Betroffenen. „Das dürfte auch für Ärzte zutreffen“, stellt die Ärztekammer fest. Schon dieser Tatbestand alleine müsste genügen, um den Helfern endlich das anzubieten, was sie dringend benötigen – Hilfe!

Privatklinik Eschweiler
52249 Eschweiler, Röher Straße 59
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Foto: Röher Parkklinik GmbH (1) Grafik: Thomas Frohnwieser (1)