Canisibus der Caritas: Suppe für Wiens Obdachlose
Wenn der Alkohol die Schmerzen nimmt

von Harald Frohnwieser

Wie viele Menschen in der österreichischen Bundeshauptstadt obdachlos sind, weiß niemand so genau. Darüber gibt es keine Statistiken. Aber egal, wie viele es sind, sie werden jeden Abend von den freiwilligen Helfern an den verschiedensten Plätzen aufgesucht, um ihnen Suppe und Brot zu bringen. Und Taschentücher. Die Menschen, die in Wien keine Adresse besitzen und in deren Leben der Alkohol oft eineSuppenausgabe von Canisibus große Rolle spielt, wissen das zu schätzen. Bis zu 350 stellen sich im Schnitt Abend für Abend um Suppe und Brot an. „Alk-Info“ fuhr mit einem der beiden Canisbusse mit.

Die Augen des bärtigen Mannes mit undefinierbarem Alter strahlen. „Danke“, murmelt er, „danke, danke.“ Er hat soeben etwas in die Hand gedrückt bekommen, womit er nicht wirklich gerechnet hatte. Zumindest nicht mit so viel. Nein, es ist kein teures Geschenk, es ist keine wertvolle Uhr oder etwas Ähnliches. Es sind nur ein paar Papiertaschentücher, die ihn glücklich machen. Denn der Mann steht auf der Straße, hat kein Dach über dem Kopf, ist obdachlos. Er wartet jeden Abend darauf, dass der Canisibus von der Caritas vorbeikommt und Suppen ausschenkt. Und zudem gibt es für jeden, der sich Suppe und Brot holt, Taschentücher. „Gerade in dieser Jahreszeit wenn der Schnupfen grassiert, sind sie für die Menschen wichtig“, sagt Stefan, der regelmäßig einenKüche für die Essenszubereitung der beiden Busse zu fünf Stellen in Wien lenkt, wo so manche Obdachlosen der österreichischen Bundeshauptstadt bereits mit einem Hunger im Bauch darauf warten, zumindest eine warme Mahlzeit am Tag zu bekommen. Damit lässt sich die lange Nacht auf der Parkbank oder in einem Abbruchhaus besser überstehen.
Es ist kurz nach sieben Uhr, als die beiden Behälter mit der Gemüsesuppe samt Pilzen und mehreren Kisten Brot in den Bus gebracht werden. Dann startet Stefan das Auto, in dem neben einer jungen freiwilligen Helferin die beiden „Alk-Info“-Reporter sitzen. Draußen ist es schon seit zwei Stunden finster und es nieselt in dieser beginnenden Nacht, die sich abzeichnet, eine eher kalte zu werden. Stefan, seit einigen Jahren in Pension, fährt den Bus in Richtung des Bahnhofs Wien-Meidling, wo die erste Station sein wird. In einem kleinen Park hinter dem Bahnhof angekommen, warten etwaGeschnittenes Brot für die Essensausgabe 30 Menschen, die meisten davon Männer, schon sehnsüchtig auf ihre Suppe. Dennoch drängt sich keiner vor, auch wenn der Hunger noch so groß ist. Im Gegenteil, sie stellen sich ruhig an, bedanken sich dafür, wenn Stefan die Suppenschüsseln angefüllt hat und nehmen das Brot dankbar aus den Händen des Reporters. Und freuen sich, wenn sie anstatt zwei drei Stücke bekommen. Es ist schon eigenartig. Da leben wir in einer Zeit, in der so viel Überfluss gibt, was viele gar nicht mehr schätzen können, und die, die wirklich nichts mehr haben, die keine Adresse nennen können, die sagen aufrichtig Danke für eine Schüssel Suppe und ein paar Stück Brot.
Aus der Gesellschaft gespritzt
Die nächste Station ist eine Nebenstraße des neu errichteten Hauptbahnhofes. Unter den Wartenden ist auch Fredi, ein arbeitsloser Spengler, der sich mittels Heroin aus der Gesellschaft gespritzt hat. Jetzt lebt er seit einigen Monaten auf der Straße, aber erKochende Großküchen Suppentopf ist clean, wie er stolz erzählt. Fredi ist optimistisch, dass er es wieder schaffen wird, einen Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft hat er jedenfalls schon in Aussicht. Er ist noch keine vierzig Jahre alt, da kann der Wiedereinstieg in jenes Leben, das wir als normal bezeichnen, noch ganz gut gelingen. Voraussetzung natürlich ist, dass er nicht rückfällig wird.
Fredi zählt zu den Stammgästen des Canisibusses. Ihm wird, wie allen anderen auch, mit viel Respekt und Höflichkeit begegnet. Eine Haltung, die sich schon ab etwa 16 Uhr, wenn die Suppe gekocht wird, abzeichnet. Die Suppe wird von mehreren Helfern unter unter der Anleitung eines gelernten Kochs, der bereits in so manch guten Häusern für eine erlesene Kundschaft aufkochte und nun hier seinen Zivildienst absolviert, mit viel Liebe zubereitet. Und tatsächlich – sie schmeckt hervorragend. Kompliment!
Alkohol wärmt und lässt die Sorgen vergessen
Drogen und Alkohol spielen bei vielen Gestrandeten eine große Rolle, weiß Mag. Sonja Meznaric, die für die Koordination der beiden Canisibusse, die jeden Abend die selbe Route fahren, zuständig ist. „Wobei man oft nicht weiß, was zuerst da war, der Alkohol oder die Obdachlosigkeit“, sagt sie. Meznaric weiß auch, warum so viele Menschen, die auf der Straße sehen, Zuflucht in den Alkohol suchen: „Er wärmt und lässt einen die Sorgen für einen kurzen Zeitraum vergessen. Und er nimmt die Schmerzen weg.“ Die physischen und die seelischen.Ein Zivildiener bereitet die Zutaten vor Denn das Leben auf der Straße ist hart, bereitet Schmerzen. Offene Wunden, die aufgrund des Alkoholkonsums oft kaum mehr zuheilen, zeugen davon. Schlechte Erfahrungen mit Behörden lassen vielen keine Hilfe annehmen. „Manche finden schneller wieder aus ihrer misslichen Situation heraus, weil sie die Hilfe, die man ihnen bietet, annehmen können, andere wieder haben mit den Institutionen so schlechte Erfahrungen gemacht, dass sie lieber auf der Straße leben. Der einzige Mensch, auf den sie sich verlassen können, sind sie selbst“, umreißt Sonja Meznaric die Situation, in der sich viele befinden.
Die Luft riecht stark nach Schnaps
Die Obdachlosigkeit hat in Wien in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Vor allem bei den Jungen ist die Zahl derer, die kein Dach über den Kopf mehr haben, stark gestiegen. Meznaric kennt auch hier die Gründe: schlechte Familienverhältnisse, Arbeitslosigkeit, keine Ausbildung, Alkohol und Drogen sowie psychische Erkrankungen. Aber auch die Zahl der Migranten, die in den Wiener Parks, Bahnhöfen oder Abbruchhäusern schlafen, nimmt zu. Auffallend ist, dass unter ihnen viele Menschen aus Ungarn sind. „Offensichtlich ist es besser, in Wien obdachlos zu sein als inCanisibus Budapest“, bringt es Stefan auf den Punkt und spielt damit auf die Politik von Ungarns Parteichef Viktor Orban an, der alle Obdachlose aus der Hauptstadt Budapest am liebsten vertreiben würde.
Die Fahrt geht weiter zum Karlsplatz, dessen U-Bahn-Passage vor ihrem Umbau ein beliebter Treffpunkt für Junkies war. In der Nähe des Platzes wartet auch hier schon eine Handvoll Menschen auf den Bus. Die Luft riecht diesmal stark nach Alkohol, nach Schnaps, doch es niemand darunter, der lallt oder schwankt. Ein Mann um die Fünfzig erzählt, wie er eines Nachts zwei Mal überfallen wurde. Das bisschen, dass er noch bei sich hatte, wurde ihm genommen. Warum er keine Bleibe hat? „Der Alkohol und die Scheidung“, sagt er nur kurz. Dann wärmt die Suppe für kurzen Zeit seinen Bauch. Die Seele freilich wird sie nicht wärmen.
Dankbar für drei Stück Brot
Dann geht es weiter zur letzten Station, die sich in der Nähe des Westbahnhofes befindet. Auch hier das gewohnte Bild: Die Menschen stellen sich diszipliniert um ihre Suppe an, bedanken sich höflich dafür und freuenDie fertige Suppe wird für den Transport mehrere Behälter eingefüllt sich auch hier, wenn sie ein zusätzliches Stück Brot erhalten. Manche verzichten sogar auf ein zweites Stück, sie nehmen nur das an, was sie wirklich brauchen. Das Bild, das sich nun bietet, bekommt der „Alk-Info“-Reporter nur schwer aus seinem Kopf. Menschen, denen man kaum ansieht, dass sie auf der Straße stehen, setzen sich mit ihren Suppenschüsseln in den Händen auf den kalten Boden und essen sich satt. Vielleicht zum ersten Mal an diesem Tag, der nun schon zur Nacht geworden ist. Schlechtes Gewissen keimt auf. Während man selbst weiß, dass man bald zu Hause in seiner warmen Wohnung eintreffen wird, wo man in einem bequemen Bett schlafen wird, werden diese Menschen hier nach einer halbwegs erträglichen Bleibe suchen müssen. In der es nicht allzu kalt sein wird. In einem Abbruchhaus, in einer U-Bahn-Station, in einem öffentlichen Klo. Und die, die im Freien nächtigen werden, werden hoffen, dass sie niemand von ihrer Parkbank vertreibt.
„Niemand lebt freiwillig auf der Straße, egal, welche Gründe ihn dazu brachten“, hat Fredi noch gesagt, bevor er sich aufgemacht hat in eine Nacht, die ihm außer Kälte nicht viel bieten wird.
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Caritas der Erzdiözese Wien
BIC: RZBAATWW
IBAN: AT163100 0004 0405 0050
Kennwort: Canisibus

Fotos: Thomas Frohnwieser (6)