Alkoholismus in Asien
„…dann reichen tausend Tassen nicht aus“
von Harald Frohnwieser
Nicht nur die westliche Welt kennt das Alkoholproblem, auch in asiatischen Ländern wie China, Japan, Indien oder in der abgeschiedenen Mongolei trinken die Menschen mehr, als ihnen guttut. So gehörtes etwa im Reich der Mitte zum guten Ton, sich mit den Kunden besinnungslos zu saufen, in Japan greifen immer mehr Frauen und Senioren zur Flasche und in Indien wird weitaus mehr Whisky getrunken als in jedem anderen Land der Erde. Ein Überblick.
Denkt man ans Komasaufen, so fallen einen automatisch Jugendliche europäischer Länder ein, die sich solange mit Wodka oder Alkopos zuschütten, bis sie in einem Krankenhaus wieder zu sich kommen. Doch Komasaufen gibt es auch in China. Wenngleich es sich hier nicht um vergnügungssüchtige Kids handelt, die einen Kick erleben wollen, sondern vor allem um Erwachsene. Denn im Reich der Mitte trinken sehr viele Angestellte nach der Arbeit Schnaps – aber nicht um sich zu entspannen oder um Spaß zu haben, sondern um die Karriereleiter nach oben zu besteigen. Ein chinesischer Beamter, nennen wir in Li, berichtet, dass er beim Trinken keine große Wahl habe, wenn es darum geht, Karriere zu machen. „Wenn ich trinke ist es noch nicht sicher, dass ich wirklich befördert werde“, sagt Li, „aber wenn ich nicht trinke, dann ist es so gut wie sicher, dass ich beruflich nicht weiterkommen kann.“ Trauriger Nachsatz: „Also muss ich trinken, auch wenn ich es nicht als angenehm empfinde.“
Dass trinkfeste Kandidaten bevorzugt werden, steht in so mancher Stellenausschreibung. So suchte eine Firma, die Überwachungsanlagen herstellt, einen leitenden Angestellten, der vor allem für die Kundenbetreuung zuständig hätte sein sollen. Und, man ahnt es bereits: Trinkgelage mit potentiellen Kunden stellen einen wichtigen Teil dieser Arbeit da. Deshalb verlangt der Personalchef von allen, die sich um diesen Job bemühen, dass sie bis zu einem halben Liter Schnaps pro Kundenkontakt vertragen.
Durch wirtschaftlichen Aufschwung wird mehr getrunken
In China setzt man schon seit vielen Jahren auf das Trinken von Alkohol, um Beziehungen zu festigen. Nicht nur im beruflichen Bereich, auch privat greifen die Chinesen sehr gerne zum Schnaps. „Wenn einer mit einem Freund trinkt, dann reichen tausend Tassen nicht aus“, lautet ein altes Sprichwort. Doch unterlag in früheren Jahren das Trinken von Alkohol bestimmter Rituale wie etwa Trinkspiele oder Toasts auf jemanden, so hat es durch den wirtschaftlichen Aufschwung beängstigende Ausmaße angenommen. Die Sucht-Fachzeitschrift Addication stellte vor Kurzem in einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie fest, dass 57 Prozent aller Männer und 27 Prozent aller Frauen viel zu viel Alkohol trinken, und zwar regelmäßig. Was sich auch auf den Straßenverkehr auswirkt – allein in einem Jahr werden mehr als eine halbe Million Chinesen betrunken hinter dem Lenkrad erwischt.
Trinkkultur der Russen wurde übernommen
Auch in der benachbarten Mongolei ist Alkoholismus längst zu einem Massenproblem geworden. Hier sind es vor allem Männer, die oft nichts mit sich anzufangen wissen und deshalb Tag für Tag zu harten Getränken greifen. Ein knappes Viertel der mongolischen Männer sind bereits chronisch an Alkoholismus erkrankt und trinkt regelmäßig bis zur Besinnungslosigkeit. Und weitere 27 Prozent der erwachsenen Männer kommen diesem Status bedenklich nahe. Die Frauen sind diesbezüglich klar in der Minderheit – nur acht Prozent halten mit den Männern in puncto Alkohol bedenkenlos mit. Einer der Gründe, warum so viele Männer dem Alkohol verfallen sind, ist die hohe Arbeitslosigkeit, egal ob am Land oder in der Hauptstadt Ulaanbaatar. Aber auch hier gibt es wenig Arbeit, was viele Männer aus Verzweiflung zur Flasche greifen lässt.
Ein weiterer Grund ist, dass die Mongolei, die lange zu Russland gehört hatte, die Trinkkultur der Russen übernommen hat. Wodka zählt somit zu den Lieblingsgetränken der erwachsenen Männern. Die Folgen davon sind fatal: zerrüttete Familien, Obdachlosigkeit, bittere Armut und Kriminalität. Die Regierung kann dem wenig entgegenzusetzen. Immerhin hat sie den Verkauf von Alkohol an bestimmten Tagen verboten. Aber Suchtkliniken, wie wir sie kennen, gibt es in der Mongolei nicht.
Alkoholproblem in Japan nimmt zu
In Japan hingegen gibt es Suchtklinken. Zum Glück, denn die sind mittlerweile bitter nötig. In den letzten 50 Jahren ist durch den wirtschaftlichen Aufschwung die Zahl der Alkoholkranken um das Sechsfache gestiegen. Zwar ist mit 0,6 Prozent der Anteil der chronischen Alkoholikern im Vergleich zu Europa oder den USA sehr gering - 4,4 Millionen sind nahe an der Grenze zur Abhängigkeit, 800.000 Japaner gelten gelten offiziell als alkoholkrank. Vor allem Frauen und ältere Menschen trinken aber seit einiger Zeit vermehrt so viel Alkohol, dass es gesundheitlich bedenklich ist. So ist die Zahl der Senioren, die aufgrund ihres Alkoholkonsums in Kliniken behandelt werden mussten, seit 1997 um 40 Prozent gestiegen. Doch auch die männlichen Angestellten und die Arbeiter greifen nach Feierabend regelmäßig zu alkoholischen Getränken, denn der Umtrunk mit dem Chef und den Kollegen nach getaner Arbeit gehört zum festen Ritual fast jeder Firma.
Dass es in Japan ein Alkoholproblem gibt und dass dies zunimmt, wird von den Politikern jedoch gerne verschwiegen. Ein Mitarbeiter einer Klinik zur Behandlung von Alkoholkranken berichtet, dass keine staatliche Stelle auf die Gefahren des Alkohols aufmerksam macht. „Es gibt keine Prävention, und daher sieht auch niemand Alkoholismus als Krankheit an“, klagt er. Doch es gibt eine private Organisation, die sich mit dem Alkoholismus der Japaner auseinandersetzt. Dazu der Leiter, Tomomi Imanari: „Wir haben es hier mit einer Gesellschaft zu tun, die sich mit Alkoholvergehen sehr nachsichtig zeigt. Versagt man aber in unserer Gesellschaft, wird man ausgeschlossen.“ Der wirtschaftliche Schaden, den der Alkohol in Japan anrichtet, ist enorm und wird mit 73 Milliarden US-Dollars beziffert.
Südkorea: Komasaufen der Studenten
Auch in Südkorea kennt man das Problem mit dem Alkohol. Vor allem die Jungen, und hier ganz besonders die Studenten, lassen sich regelmäßig volllaufen. Eine Umfrage ergab, dass sich jeder dritte männliche Student drei Mal die Woche besinnungslos betrinkt. Wobei die Südkoreaner es besonders stark mögen: Bei mehr als 80 Prozent des konsumierten Alkohols handelt es sich um Spirituosen.
Stark mögen es auch die Inder. So wird in Indien mehr Whisky getrunken als sonst wo in der Welt, einschließlich Schottland. Doch nicht nur der Whisky-Konsum wird mehr und mehr zu einem Problem, es sind vor allem die vielen Todesopfer von gepanschtem Alkohol, die der Regierung Sorge bereiten. Jedes Jahr sterben weit mehr als 1000 Inder nach dem Konsum von Alkohol, der in den Hinterhöfen illegal zusammengebraut wird und eine oft tödliche Dosis Methanol enthält. Dabei ist in Indien das Trinken von Alkohol offiziell verpönt, sowohl der Hinduismus als auch der Islam verbieten ihren Mitgliedern den Genuss von alkoholischen Getränken.
In Thailand wiederum gibt es viele Tage – zum Beispiel der Geburtstag des Königs oder wenn diverse Wahlen angesagt sind – an denen das Trinken von Alkohol generell verboten ist, dennoch kennt man auch hier das Problem mit dem Alkohol. So wird im ländlichen Gebiet ebenso gerne getrunken wie in den Ferienregionen. Dazu Kajohnsak Kaewjarus, Vorstand des Gesundheitsamtes der bekannten Urlauberinsel Phuket, in einem Zeitungsinterview: „Phuket ist eine Provinz mit einer der höchsten Alkoholkonsumenten in unserem Land. Viele Menschen, Thais und Ausländer gleichermaßen, genießen das Nachtleben auf unserer Insel und trinken viel zu viel.“
Massenbesäufnis bei Vollmondparty
Ein Nachtleben der besonderen Art findet einmal im Monat auf der Insel Kho Phangan statt. Bei jedem Vollmond betrinken sich unzählige Touristen bei lauter Rave Musik am Strand. Wobei die Touristen alle Hemmungen verlieren, Unfälle, Diebstähle, Schlägereien und sogar Vergewaltigungen sind dann keine Seltenheit. Die meisten der etwa 30.000 Urlauber, die an diesem Massenbesäufnis teilnehmen, kommen aus Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Australien. Nun haben die Behörden diesem Treiben den Kampf angesagt, es wird strenger kontrolliert.
Handelt es sich hier also hauptsächlich Touristen, die in Vollmondnächten zu Alkohol und auch Drogen greifen, so kann dennoch nicht verleugnet werden, dass der zunehmende Alkoholismus nur ein Problem der westlichen Zivilisation wäre. Die Asiaten halten hier ganz schön mit, obwohl sie von Natur aus weniger Alkohol vertragen als die Europäer oder die Amerikaner. Diese Alkoholunverträglichkeit geht auf das Essen ihrer Vorfahren zurück, die sich hauptsächlich mit Reis ernährten. Um diesen haltbar zu machen, wurde er mit Hilfe von Hefepilzen vergoren, wobei auch Ethanol, also Alkohol, entstand. Dadurch entwickelte sich im Zuge der Evolution ein gewisser Schutzmechanismus, sind sich Forscher einig.
Doch viele Asiaten pfeifen mittlerweile auf diese natürliche Abwehr – und trinken Alkohol bis zum Umfallen. Wie viele andere Menschen in Europa oder Amerika auch…
Foto: commons.wikimedia.org / Andrew Poynton (1) Grafik: Thomas Frohnwieser (1)