Wie Rettung und Feuerwehren ihre Mitglieder pschychologisch betreuen
Keine Flucht in den Alkohol nach der Katastrophe
von Werner Schneider
Man kennt sie als liebenswürdige NachbarInnen, die neben ihren Berufen wertvolle Dienste für die Allgemeinheit leisten: Die Damen und Herren von den Rettungsdiensten oder von den Freiwilligen Feuerwehren. Was man dabei weniger bedenkt oder verdrängt: Diese lieben NachbarInnen haben oft Fürchterliches Erlebt. Sie mussten aktiv mithelfen Schwerstverletzte aus Wracks zu schneiden. Sie habenOpfer jeden Alters – oft auch Kinder – erstversorgt. Kurzum: Sie sind mit dem Tod konfrontiert. Wie verarbeitet man das? Welche Hilfen gibt es, damit diese helfenden Menschen in ihrem Elend nicht zur Flasche greifen und Trost im Alkohol suchen?
Hans-Peter Polzer vom Roten Kreuz Burgenland und zuständig für den Rettungsdienst: „Wir haben bei der Krisenintervention auch Leute, die für die eigene Mannschaft zuständig sind. Die sich um die Eigenen nach belastenden Einsätzen kümmern. Es ist oft eine Katastrophe für junge Menschen, wenn sie bei einem Einzelschicksal dabei sind und helfen müssen. Es gibt da Peers, die sich derer annehmen.“ Wobei ganz wichtig ist, dass diese Hilfe rasch erfolgt und nicht erst nach Tagen. Denn nach nicht verarbeiteten Ereignissen ist die Flucht in den Alkohol ungleich größer. Wobei das System so funktioniert, dass die „erfahrenen Sanitäter sehen, dass die weniger erfahrenen da ein Problem haben und koordinieren dann, dass jene, die betreuen können mit jenen, die zu betreuen sind, zusammen kommen.“, so beschreibt Polzer die gängige Praxis.
Die sich bewährt hat. Niemand muss zugeben, „überfordert“ gewesen zu sein, oder „zu schwach“. Niemand muss um Hilfe rufen. Niemand muss aber mit der Last Unvorstellbares gesehen und erlebt zu haben, nach Hause gehen. Alleine im österreichischen Bundesland Burgenland gibt es rund 100 Kriseninterventionshelfer. Was dazu führt, dass man in der jüngeren Vergangenheit auch niemanden in den eigenen Reihen hatte, der oder die mit einem Alkoholproblem aufgefallen wäre. Polzer: „Ein Alkoholproblem kriegen mehrere Leute, aber ich kenne niemanden, bei dem das in Zusammenhang mit den Einsätzen stünde. Der Alkohol ist im Süd-, im Mittel- und im Nordburgenland ein Problem. Aber mir ist keiner bekannt, der wegen der Tätigkeit beim Roten Kreuz zum Alkoholiker geworden wäre.“ Aufgearbeitet wird insofern, als die Einsätze nachbesprochen werden. Dabei hat jede/r Betroffene die Möglichkeit, sich alles Belastende von der Seele zu reden. Dort, wo Bedarf besteht, werden diese Gespräche wiederholt. Das Rote Kreuz sieht seine MitarbeiterInnen psychologisch rundum betreut.
Stressverarbeitung nach belastenden Einsätzen
Und wie schaut es bei der Freiwilligen Feuerwehr aus? Auch hier sind Frauen und Männer im Einsatz, die nicht „gewöhnt“ sind, verkohlte Leichen zu bergen oder Verstümmelte aus Autowracks zu schneiden. Und doch gibt es solche Einsätze. Hier heißt des Zauberwort „Stressverarbeitung nach belastenden Einsätzen“, kurz: SvE. Auch hier war Österreichs jüngstes Bundesland, das Burgenland, Vorreiter. Mag. Dr. Peter Stippl schildert in einem Fachartikel, wie es dazu kam und wie die Sache funktioniert. Mit der Gründung des SvE wurde bereits im Jahr 2000 begonnen. Federführend war dabei der evangelische Landesfeuerwehrkurat Martin Schlor. „Ich kann mich noch gut an seinen Besuch bei mir in Loretto erinnern, wo er mein Angebot zur Mitarbeit als Psychotherapeut und langjähriges Mitglied der Ortswehr Loretto (seit 1984, Anm.) sehr begrüßt und mich gefördert hat“, schildert Peter Stippl heute. Auch er hat, nachdem er 2007 das Amt als Trainer für SvE übernommen hatte, zuvor die Krisenintervention durch das Rote Kreuz abgeschlossen.
Herz dieses Dienstes ist, dass gut ausgebildete KameradInnen aus den eigenen Reihen die Unterstützung für die Feuerwehrmitglieder nach den Einsätzen erfolgt. Sie sind nicht nur geschult, sie kennen viele Situationen aus eigener Erfahrung. Und was ganz wichtig ist: „Ihre absolute Verschwiegenheit über im Kameradschaftsgespräch Ausgetauschtes, ist die Basis für das schnell entstehende Vertrauen“, versichert Stippl.
Projekt Prävention
Als Psychotherapeut, Supervisor und Trainer&Coach ist ihm daran gelegen, dass die Schulungen immer auf dem neuesten Stand sind: „Wir haben beispielsweise die Empfehlungen und Ergebnisse der größten Studie über notfallpsychologische Maßnahmen für Feuerwehrmitglieder ‚Projekt Prävention' im Einsatzwesen, wichtigste Ergebnisse und Empfehlung für eine Gesamtkonzeption‘ eine Studie der Ludwig-Maximilian-Universität München, die an 2960 Feuerwehrmitgliedern durchgeführt wurde, im Burgenländischen Landesfeuerwehrverband sofort nach ihrem Erscheinen umgesetzt und uns so Fehlentwicklungen bei Gruppenmaßnahmen erspart.“ Bei den burgenländischen Florianijüngern (und –frauen) gibt es acht psychosoziale Fachkräfte und 50 Peers.
Auch bei den Feuerwehren ist man überzeugt, dass niemand stressbedingt zur Flasche greifen muss. Wo es dennoch geschieht, seien andere Gründe dafür maßgeblich.
Wer ist nüchtern wenn es brennt?
Da wäre noch zu erwähnen, dass die Freiwilligen Feuerwehren im ländlichen Raum einen wichtigen sozialen und gesellschaftlichen Faktor darstellen. Bei den Festen der Damen und Herren von der löschenden Zunft geht es in der Regel hoch her, weil diese sensationell gerne besucht werden. Große Frage: Wer bleibt nüchtern, falls es plötzlich Alarm gibt? Stefan Hahnenkamp vom Burgenländischen Landesfeuerwehrverband beruhigt: „Es sind immer genügend Frauen und Männer dabei, die wenig oder gar nicht trinken.“ Da stelle die Feuerwehr eben einen Querschnitt durch die Bevölkerung dar, die bekanntlich auch nicht aus nur Trunkenbolden besteht. „Jedes Mitglied weiß von sich aus, ob es einen Einsatz mit Atemschutz mitmachen kann oder nicht. Kein Fahrer setzt sich alkoholisiert hinters Lenkrad. Einen eigenen Alarmplan für solche Fälle gibt es nicht“, so Hahnenkamp.
Eine Recherche ergab: In der jüngeren Vergangenheit gab es keinen Unfall, an dem ein alkoholisierter Feuerwehrmann (-frau) beteiligt gewesen wäre.
Fotos: Rotes Kreuz Burgenland (1), Dr. Peter Stippl (1), ÖRK / Markus Hechenberger (1), Thomas Frohnwieser (1)
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