Nicht immer rückt das Rote Kreuz zu lieben Menschen aus, die sich über Hilfe freuen
Statt Dankbarkeit nur Aggression
von Werner Schneider
In TV-Spots und auf Plakaten wird oft signalisiert, dass die Rettungsorganisationen nur zu lieben älteren Damen ausrückten, die auf „ihre“ Helfer so gar nicht verzichten wollen. Die Praxis sieht bisweilen – zum Glück nicht allzu oft – wesentlich brutaler aus. Betrunkene, die eben erst in Schlägereien, Messerstechereien oder häusliche Gewalt verwickelt waren, müssen ebenso versorgt werden. Kann man solche Extremsituationen eigentlich in den umfangreichen Schulungen einplanen oder kommt es da auf rasches eingehen auf die jeweilige Situation an? „Alk-Info“ sprach dazu mit Hans-Peter Polzer, MBA, MSc, dem Leiter des Rettungsdienstes des Roten Kreuzes, Landesverband Burgenland.
„Alk-Info“: Herr Polzer, nicht immer rückt das rote Kreuz zu kranken und verletzten Menschen aus, die dankbar für die rasche Versorgung sind. Bisweilen erwarten die Einsatzkräfte auch aggressive und randalierende verletzte Betrunkene, die behandelt und transportiert werden müssen, wie geht ein/e SanitäterIn oder Notarzt/-ärztin mit solchen Situationen um?
Hans-Peter Polzer: Zuerst müssen wir natürlich deeskalierend wirken und versuchen, die Leute, die sehr aufgeregt sind, wieder zu beruhigen. Man versucht zuerst sie zu überzeugen, dass es g’scheiter ist, wenn sie ins Krankenhaus mitfahren. Sollte das aber keinen Erfolg bringen oder vom Patienten nicht gewünscht sein, dann lassen wir uns einen Revers unterschreiben und ziehen uns zurück. Da sind wir nicht weiter aktiv – außer es ist Gefahr in Verzug, dann fordern wir über die Leitstelle die Polizei an, damit sich die von ihrer Seite mit der Situation befasst.
Ist es schon passiert, dass Alkoholisierte auf Sanitätspersonal oder NotärztInnen losgehen?
Das kommt nur ganz selten vor, aber passiert ist es schon. Im vergangenen Jahr haben wir keinen einzigen solchen Zwischenfall gehabt.
Was macht man, wenn sich ein betrunkener, verletzter Randalierer nicht beruhigen lässt, fährt dann ein Polizist mit in der Rettung?
Da wird in der Regel ein Amtsarzt oder der Polizeiarzt zu Hilfe gerufen, der weist dann den Patienten gegen seinen Willen zu einer Behandlung ein, nach dem Unterbringungsgesetz, das macht einen großen Stress normalerweise.
Und zum Schutz des Rettungspersonals fährt da ein Polizist oder eine Polizistin im Rettungsauto mit?
Ja, in so einem Fall natürlich.
Unter welchen Umständen darf man eigentlich so einen Randalierer sedieren?
Das dürfen wir überhaupt nicht, wenn überhaupt geschieht das nur vom Amtsarzt selbst. Oder von einem Arzt, der mit dem Fall beauftragt ist, ein Kreisarzt zum Beispiel, das muss nicht der Amtsarzt von der Bezirkshauptmannschaft sein.
Wie kann man im Zuge der Ausbildung solche Krisenfälle wie eben aggressive Alkoholisierte einbauen?
Schwer, ganz schwer. Wir versuchen schon immer wieder an Beispielen die Möglichkeiten aufzuzeigen, was es alles gibt. Aber in der Regel heißt es in der Ausbildung: Wenn so etwas passiert, dann Rückzug, wir sind nicht die Helden, wir sind auch gar nicht befugt dazu, Rückzug und das Ganze der Exekutive überlassen. Denn die Watschen, die dir einer runterhaut, die nimmt dir kaner mehr oba.
Wie viele Stunden Ausbildung hat ein/e SanitäterIn?
Für den Sanitätsdienst sind es 100 Stunden Theorie und 160 Stunden Praktikum und dann Prüfung. Dazu 16 Stunden Weiterbildung in zwei Jahren und Rezertifizierung, ebenfalls alle zwei Jahre. Da haben Fälle wie die vorher besprochenen nur punktuell Platz. Im ländlichen Raum kommt das eher seltener vor. Wenn es eine Rauferei gibt und einer sitzt mit der blutigen Nase da und der Täter ist oft auch noch anwesend, dann sagen wir: ‚Komm, beruhig‘ dich, sonst rufen wir die Polizei, das zahlt sich nicht aus.‘ Oft reicht das. Auch häusliche Gewalt, bei der Alkohol im Spiel ist, ist eher in den Städten zu finden als bei uns.
Bei Zeltfesten und Kirtagen ist es auch nicht mehr so häufig?
Die Zeiten sind vorbei, wo ein Kirtag nur dann ein Kirtag war, wenn’s fest g’rauft haben. Was wir immer wieder antreffen, sind die Alkoholleichen. Aber die liegen in der Weltgeschichte herum und rühren sich nicht.
Was ist, wenn so eine Alkoholleiche den Wagen verschmutzt, wer muss dafür aufkommen?
Dann haben wir Pech gehabt, das gehört auch zu unserem Einsatz dazu, dass wir den Wagen danach wieder sauber kriegen. Dafür gibt es keine zusätzliche Vergütung oder dafür wird auch nicht gestraft. Wenn der erbricht oder sich anmacht, dann haben wir voll Pech gehabt. Aber auch das ist selten der Fall.
Hans-Peter Polzer, MBA, MSc, 56, ist seit mehr als 30 Jahren beim Roten Kreuz und ist derzeit Leiter des Rettungsdienstes für das Burgenland. Er hat lange in Oberwart die Bezirks-Dienststelle geleitet und ist gleichzeitig leitender Flugrettungssanitäter am Notarzthubschrauber Christophorus 16 in Oberwart.
Fotos: Rotes Kreuz Burgenland (1), ÖRK / Anna Stöcher (1), ÖRK / Markus Hechenberger (1)
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