„Ich trinke selbst nur ein Probierglas“
Wie ein Winzer mit dem Alkoholproblem umgeht
von Werner Schneider
Mit einem Weinbauern über Wein zu reden, ist keine Kunst. Man stößt aber sofort auf eine Mauer des Schweigens, wenn man das Thema Alkohol anspricht. Um es kurz zu machen: Keiner der namhaften niederösterreichischen oder steirischen Winzer wollte dazu etwas sagen. Im Burgenland fand sich schließlich im Raum Neusiedlersee-Seewinkel einer, der aber auf absolute Anonymität und Autorisierung des Interviews Wert legte. Dafür äußerte es sich dann sehr offen. Wir nennen ihn Walter Müller, er stammt aus einer Winzerdynastie und ist als Mittfünfziger seit Jahrzehnten im Geschäft.
„Alk-Info“: Herr Müller, wie wird der Jahrgang 2014?
Walter Müller: Von der Menge her hab‘ ich sicher eine Einbuße von einem Drittel bei gewissen Sorten. Der Sommer war viel zu nass, es hat viel Fäule gegeben. Mit der Qualität bin ich zufrieden. Der trockene und warme Herbst hat speziell bei den späten Sorten sehr geholfen. Da würde ich schon von überdurchschnittlich sprechen.
Um wie viel wird der Wein heuer teurer?
Bei mir gar nicht, das kann ich mir ohne Vorwarnung überhaupt nicht leisten. Ich habe viel Stammkundschaft, auch aus der gehobenen Gastronomie, diese Leute bestellen lange im Voraus. Denen kann ich nicht eine Rechnung hinlegen und sagen: ‚Sorry, aber jetzt kostet die Lieferung um zehn Prozent mehr.‘ Dass es sein kann, dass gewisse Weine früher ausverkauft sind, das glaube ich schon. Wir werden bei den Schankweinen geringfügig aufschlagen. Im Centbereich pro Liter oder Bouteille (0,7 l. Weinflasche, Anm.).
Wie viel wird pro Gast getrunken? Gibt es da so etwas wie einen Richtwert?
Nein, woher denn. Der eine vertragt ein bisserl mehr, der andere weniger. Man geht zu Heurigen, weil man eine gelockerte Stimmung sucht. Wir zählen da sicher nicht nach, wer wie viel trinkt. Man kann aber sagen, dass es allgemein ein bisschen weniger wird. Das liegt am Autofahren und auch an den allgemeinen Sparmaßnahmen. Die Umsätze steigen nicht in luftige Höhen, sagen wir einmal so. Früher hat man kontinuierlich mit Steigerungen gerechnet. Da bin ich jetzt vorsichtiger, wenn es sich nicht verschlechtert muss man dankbar sein.
Wann sagen Sie einem Gast, dass es genug ist?
Also ich muss sagen, dass ich wenig im Lokal bin. Bei uns arbeitet die ganze Familie mit und wir haben Angestellte. Ich bin im Weingarten, im Keller oder bei den Kunden. An Wochenenden, wenn ich mithelfe, dann stehe ich hinter der Theke. Ich muss mich darauf verlassen, dass die Bedienung ein Gespür dafür hat, wann nicht mehr ausgeschenkt wird. In erster Linie gehen die Leute in ein Schenkhaus (Weinschenke), weil sie lustig sein wollen. Dafür trinken sie ja auch den Wein. Lautes Lachen gehört dazu. Natürlich schenken wir nicht mehr aus, wenn andere Gäste belästigt werden, weil irgendjemand zu randalieren beginnt. Auch nicht, wenn das Lokal beschmutzt wird, aber sonst? Wir sind keine Erziehungsanstalt. Dass der Jugendschutz eingehalten wird, darauf schauen wir natürlich auch streng. Aber ehrlich: Wenn eine Runde einem 15-Jährigen, dem man die Jugend nicht ansieht, mittrinken lässt, was soll man da machen? Wenn eine Gruppe Jugendlicher hereinkommt und einen Liter bestellt, dann verlangen wir schon die Ausweise.
Wie sieht es mit dem Autofahren aus? Sagen Sie oder Ihre Angestellten einem Gast, dass er oder sie nicht mehr fahren soll?
Schauen sie, wir haben mehr als hundert Sitzplätze. Wie kann man da im Auge behalten, wer wie viel getrunken hat und wer fährt. Das ist graue Theorie. Wenn einer bei mir an der Budel (Theke) steht und sein zehntes Achtel intus hat, dann sage ich schon: ‚Pass auf, du fahrst jetzt nicht mehr, ich ruf‘ ein Taxi.‘ Aber an den Tischen geht gar nix. Wir können nicht aufpassen, ob einer nur einen Spritzer (Weinschorle) trinkt und der ist dann der Chauffeur. Oft ist es ja so. Es kann aber auch sein, dass alle zu viel haben. Soll ich vielleicht in die Gaststube rufen: ‚Achtung, heute gibt’s Polizeikontrollen!‘? Dann kann ich gleich zusperren und mein eigener bester Gast sein. Schauen Sie, die richtigen Alkoholiker fahren nicht zum Heurigen. Die holen sich ihr Quantum im Supermarkt oder nachts bei der Tankstelle. Zu uns kommt viel gehobenes Publikum, da kann ich mich schon auf deren Selbstverantwortung verlassen.
Wie steht es mit Ihrem persönlichen Alkoholkonsum?
Ich muss natürlich verkosten und auch mit den Gästen einmal ein Glas mittrinken. Aber alle, die mich kennen, wissen, dass ich nur Probiermengen mittrinke, mich hat man in der letzten Zeit nicht aufgefordert, mehr zu trinken. Ich sage allen, dass ich mir einen Rausch nicht leisten kann. Nicht im Geschäft und nicht außerhalb. Außerdem brauche ich meinen Führerschein wie einen Bissen Brot. Unsere Kunden sind auf ganz Österreich und auch im umliegenden Ausland verstreut. Ich fahre bis zu 80.000 Kilometer im Jahr. Nein, nein, ich trinke selten mehr als ein Glas.
Wann kommt es doch vor?
Bei Familienfeiern oder wenn ich mit den Kolleginnen und Kollegen nach einer Besprechung beisammen sitze und wir noch gemütlich plaudern. Wir sind eine Winzergemeinschaft mit gemeinsamem Marketing, da muss man zu Verkostungen, da wird’s auch schon einmal länger. Aber da gehen alle zu Fuß nach Hause, wir sind ja ein Dorf, da geht das.
Sie glauben, dass keiner Ihrer Kolleginnen oder Kollegen ein Alkoholproblem hat?
Die oder der wären schlagartig weg vom Fenster. Heutzutage kommst ohne dauernde Weiterbildung nicht mehr mit. Ein besoffenes Hirn studiert nicht. Außerdem sind die Jungen schon ganz anders aufgewachsen. Mein Sohn, der einmal den Betrieb übernehmen wird, hat in Klosterneuburg die Weinbauschule absolviert, er war in den USA, in Südafrika, in Chile, in Frankreich und in Italien – alles Studienaufenthalte. Den habe ich noch nie mit einem Tropfen zu viel gesehen. Wir müssen alle am Computer fit sein, uns mit der internationalen Gesetzgebung beschäftigen, die EU macht Auflagen … Da bist in erster Linie Manager. Wie ich schon gesagt habe, wir sind auch eine Winzergemeinschaft, da sollst auch kreativ sein und Ideen einbringen. Das geht alles nicht, wenn man an der Flasche hängt. Ich lege für niemanden die Hand ins Feuer, aber unter meinen Kolleginnen und Kollegen kenne ich keinen, der so ausschaut, als ob er ein Alkoholproblem hätte. Die Frauen schon gar nicht. Man glaubt gar nicht, wie viele tüchtige Winzerinnen es heutzutage schon gibt.
Würden Sie jemanden auf ein Alkoholproblem ansprechen?
Ich glaub‘ schon, dass ich so ehrlich bin und sage: ‚Pass‘ auf, du saufst zu viel.‘ Bei guten Bekannten oder jemandem aus der Familie würde ich das machen. Ich habe Kunden, die reißen sofort eine Flasche auf, wenn ich komme. Ich trink‘ mein Probierschluckerl und dann weiß ich, dass der den Rest alleine austrinkt. Da denk ich mir auch, der macht das nicht zum ersten Mal. Aber da kann ich nichts sagen. Erstens weiß ich nicht, wie oft der das macht und selbst wenn er täglich seine fünf Bouteillen austrinkt, mir steht da kein Urteil zu. Von mir aus kann man auch sagen, ‚der ist feig, wenn es um sein Geschäft geht‘. Aber Kunden und Gäste sind tabu.
Kennen Sie die Anonymen Alkoholiker?
Vom Namen her, die trinken gar nichts, soviel ich weiß.
Fotos: Werner Schneider (1), Thomas Frohnwieser (1)