Nebst Job wird psychologische Hilfe angeboten
Mit der Alkoholfahne zum Arbeitsamt
von Werner Schneider
Arbeitslosigkeit verändert das Leben eines Menschen vollkommen. Da ist einmal der Geldmangel, der Einschränkungen fordert. Es tritt eine gewisse Vereinsamung ein. Man meidet seinen gewohnten Umgang oder man wird gemieden. Sehr oft trifft man sich mit Schicksalsgenossen und redet sich in Selbstmitleid. Nicht selten stellen sich familiäre Probleme ein. Manche/r greift dann zur Flasche. „Alk-Info“ hat mit der Medienbeauftragten des Arbeitsmarktservice (AMS) Österreich, Dr. Beate Sprenger, darüber gesprochen, wie das AMS helfen kann, wenn es noch Hilfe gibt. Es kommt aber auch Uschi M.* zu Wort, eine trockene Alkoholikerin, die vier Jahre lang Arbeit gesucht und zuletzt auch eine gefunden hat.
„Ich kann nicht quantifizieren, wie viele Arbeitslose in den Alkohol abrutschen“, zerstört Dr. Beate Sprenger jede Hoffnung auf konkrete Statistiken, „da gibt es keine konkreten Untersuchungen.“ Uschi M. will sich auch nicht auf Größenordnungen festlegen: „Die, denen du es gleich ankennst, sind wenig. Aber Spiegeltrinker sind bekanntlich Weltmeister im Tarnen und Täuschen.“ Für jene, die der Alkoholismus in die Arbeitslosigkeit getrieben hat, weiß Sprenger nur einen Rat: „Wenn eine Person krank ist, folglich nicht arbeitsfähig, wird das vom Amtsarzt beurteilt. Dann ist vorrangig, dass diese Person das Problem der Alkoholkrankheit löst. Sich also in Behandlung begibt, um wieder arbeitsfähig zu werden.“
Uschi kennt den Weg aus eigener Erfahrung. Sie hat ihren Job wegen des Trinkens verloren – zwei Chancen hatte ihr ihre Vorgesetzte gegeben, dann trennte man sich einvernehmlich. „Beim AMS war ich nie fett (betrunken), nur immer ein, zwei Achterl, dass ich ruhig geworden bin.“ Man habe sie nie auf den Alkoholkonsum angesprochen, erinnert sie sich. Nur einmal: „Da hat mein Betreuer gesagt: ‚Zum Vorstellungsgespräch gehen S‘ aber bitte ohne Fahne.‘ Ich hab‘ mich in Grund und Boden geschämt.“ Uschi schrieb schöne Bewerbungen und wurde öfter zu persönlichen Gesprächen geladen. Sie kam ohne Fahne – sie war von ihrem geliebten Wein auf Korn und Wodka umgestiegen. „Das Zeug habe ich überhaupt nicht vertragen. Wenn ich schon nicht meilenweit gestunken habe, dann muss man es beim Reden bemerkt haben, glaube ich wenigstens. Job habe ich keinen bekommen. Ich glaube, ich hätt‘ auch gar nichts mehr geschafft.“
Lokale rund um Arbeitsämter sind gut besucht
Dass dem so ist, ist Dr. Beate Sprenger ebenfalls klar. „Alkoholkrankheit ist immer eine fließende Geschichte. Ab einem gewissen Grad ist es wohl schwierig einer Arbeit voll nachgehen zu können. Das entscheidet dann der Amtsarzt, ob die Person arbeitsfähig ist oder nicht. Wenn sie nicht arbeitsfähig ist, wird sie auf jeden Fall eine Behandlung machen müssen.“
Rund um Arbeitsämter gibt es auch Lokale – und die sind nicht schlecht besucht. „Da treffen die Trankler (Trinker) zusammen und erzählen große Geschichten von früher oder tun sich gegenseitig leid“, erinnert sich Uschi, „für Bier und Spritzer (Weinschorle) ist immer ein Geld da, egal wie viele Kinder zuhause warten.“ Auch der teure Zigarettenkonsum ist beträchtlich. „Bei manchen habe ich mich wirklich gefragt, wie die das machen, wahrscheinlich mit Pfuschen gehen (Schwarzarbeit). Ich jedenfalls war immer pleite.“ Diese sichtbaren Trinker sind laut Sprenger aber kein „Massenphänomen“.
„Da war nur noch Korn und Wodka“
Aber die Einzelschicksale können grausam genug ausfallen. Viele Partner lassen sich die Kombination von Arbeitslosigkeit und Alkohol nicht gefallen. Die Trennung stürzt den Trinker/die Trinkerin in ein noch größeres Loch. Oft sind noch Schulden da von einem Wohnungskauf oder einem Hausbau, eventuell hängen Kinder in dieser Malaise mit drinnen. „Mein Mann hat mich verlassen – nicht wegen der Trinkerei, wegen einer Jüngeren – und ich bin auf der Straße gestanden“, denkt Uschi unsentimental an ihre jüngere Vergangenheit. „Wenn mich meine Mutter nicht aufgenommen hätte, wäre ich auf einer Parkbank gelandet.“ Da kam ihr erstmals der Gedanke an einen Entzug. „Da war ich nur noch auf Korn und Wodka, je nachdem wie viel Geld ich gehabt habe. Irgendwie muss das aufhören, habe ich mir gedacht. Da waren auch schon die Selbstmordgedanken da.“ Denn Bewerbungsschreiben verfasste sie keine mehr und der Betreuer beim AMS kündigte nüchtern an, dass er kaum vermittelbare Stellen wisse. „Er hat mich nicht konkret auf die Sauferei angesprochen, er hat mir nur gesagt, dass er keinen Job wüsste, den ich einen ganzen Tag lang durchhalten würde. Und für die diversen Teilzeitarbeiten war ich überqualifiziert.“ (Uschi hatte zuletzt eine Abteilung selbständig geleitet.)
Nicht mit offenen Karten gespielt
Dabei hätte man der Frau unter die Arme greifen können. Dr. Sprenger weiß: „Natürlich gibt es psychologische Hilfen dazu. Wenn sich jemand diesbezüglich (Alkoholproblem, Anm.) bei uns äußert und sich erkundigt, wird man ihm Beratungseinrichtungen empfehlen.“
Im Fall von Uschi haben zwei über ein Problem so getan, als ob man es nicht sehen könnte. Sie fragte nicht um Hilfe an, der Betreuer redete nicht Tacheles. Was bei Beate Sprenger so klingt: „Wenn jemand das im Griff hat, wird man ihn nicht bevormunden wollen. Es liegt in der Eigenverantwortung der Person, ob sie Hilfe in Anspruch nehmen will.“
Diese „Eigenverantwortung“ hatte der Alkohol Uschi längst abgenommen.
Veränderung ist positiv aufgefallen
„Irgendwann hat mich die Polizei im Zentrum von Graz aufgegriffen und mich ins LSF (Landesnervenklinik Sigmund Freud) gebracht, weil ich herumgeschrien habe, dass ich mir die Pulsadern aufschneide.“ Uschi entschied sich, dort zu bleiben. „Der körperliche Entzug war nicht so schlimm, es war der Gedanke ‚du darfst nie wieder trinken‘, der mich fertig gemacht hat.“ Aus ursprünglich fünf Tagen wurden acht Wochen (siehe auch „Alkoholiker stellen die größte Gruppe in der Klinik“).
Frau M. ist seit zwei Jahren wieder trocken und hat einen Beruf, der ihr Freude macht: „Beim AMS muss mein Betreuer nach dem ‚Krankenstand‘ die Veränderung bemerkt haben. Er hat mir wieder sehr interessante Angebote vorgelegt. Ich habe an die 30 bis 40 Bewerbungen an einem Tag geschrieben.“ Uschi ist 38 Jahre alt und attraktiv, sie hat von ihrem letzten Dienstgeber trotz der Alkoholprobleme ein gutes Zeugnis bekommen.
Beate Sprenger weiß ebenfalls von positiven Fällen: „Es kommt auf die Person an, ob sie das Problem für sich selber als Problem identifiziert oder herunterspielt, da ist die Bandbreite sehr groß. Aber es gibt das Angebot der Hilfe von unserer Seite und es wird angenommen.“
* Name von der Redaktion geändert