Experten-Tipps für trockene Weihnachten
Süßer der Rückfall nie lockt
von Harald Frohnwieser
Weihnachten ist für viele Alkoholiker, auch wenn sie es geschafft haben, trocken zu sein, oft ein wahrer Gefühls-Tsunami. Da werden alte Erinnerungen wach, in denen die stillste Zeit des Jahres auch tatsächlich eine solche war. Zeiten, wo es noch eine Familie gab, wo man mit dem Partner, der Partnerin feierte. Zeiten, in denen Kinderaugen unter dem Weihnachtsbaum glänzten oder wo man mit den Eltern oder guten Freunden das Fest harmonisch feierte. Unzählige leergetrunkene Flaschen später ist dann alles anders: die Beziehung in Brüche, die Kinder längst fort und wollen nichts mehr von einem wissen und die guten Freunde von damals weggeblasen wie der Schnee von einst. Um das Fest aber dennoch einigermaßen gut – und vor allem trocken – zu überstehen, geben zwei Experten, Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota vom Psychosozialen Dienst in Wien und der ehemalige Leiter des Suchtkrankenhauses Maria Ebene in Frastanz in Vorarlberg, Prof. Dr. Reinhard Haller, „Alk-Info“-Lesern wertvolle Tipps.
„Der Monat Dezember mit seiner gesellschaftlich scheinbar erwünschten alkoholangereicherten Dynamik ist für Alkoholkranke in unseren Breiten zweifelsohne eine besondere Belastungsprobe“, weiß Prim. Dr. Georg Psota aus seiner langjährigen Erfahrung als Experte für psychische Erkrankungen. Wie aber kann man dem als Betroffener entgehen, ohne weitgehenden sozialen Rückzug? „Abgesehen davon, dass man sich klar machen kann, dass die überwiegende Zahl der alkoholischen Punschgetränke unglaublich grausliches Zeug liefert und derartige Angebote nicht einmal einen Rückfall verdienen, abgesehen davon kann man auch darauf bestehen, alkoholfreie Punschgetränke zu konsumieren. Und etliche davon sind tatsächlich gut“, ist Psota überzeugt, dass man auch ganz ohne Alkohol in eine festliche Stimmung kommen kann.
Was den Chefarzt des Psychosozialen Dienst (siehe auch „Hier sieht mich keiner schief an, nur weil ich trinke…“) besonders ein Anliegen ist: „Es ist auch erlaubt sich diese Frage zu stellen und diese Frage auch anderen zu stellen, ob kollektives Punsch trinken für irgendwelche mehr oder weniger guten Zwecke wirklich die adäquate Aktivität des Advent ist.“ Doch der Experte ist sich natürlich bewusst, dass die Weihnachtszeit eine besondere Herausforderung für Alkoholkranke ist. „Diese Zeit mit ihren zahlreichen Möglichkeiten der zusätzlichen Spannung und Komplizierung in Beziehungen und intra- und interfamiliärer Konflikte ist noch einmal ein anderes Thema an möglichen Stolpersteinen für Alkoholkranke.“ Aber: „Es gibt keine Jahreszeit, zu der man einen Rückfall erleiden kann, aber in der Advent- und Weihnachtszeit schon gar nicht.“
Nicht-alkoholisches Getränk seiner Wahl bestellen
Doch wie kann man dem von der Gesellschaft und auch von der Werbung vorgegebenen Druck, zu Glühwein, Punsch oder Sekt zu greifen, umgehen? Psota: „Es ist leider so, dass gerade im Dezember vermehrt alkoholische Getränke angeboten und fast schon aufgezwungen werden, umso mehr ist es für Alkoholkranke wichtig ein klares Konzept zu haben. Einige Tipps dazu: Wenn man ausgeht oder eingeladen wird, dann sollte man ein nicht-alkoholisches Getränk seiner Wahl bestellen, am besten eines, dass einen schmeckt. Dabei sollte man klar und beharrlich sein. Es geht niemanden auf der Welt etwas an, warum man keinen Alkohol trinkt, dass braucht nicht das Problem des Betroffenen sein.“
Beratende Hilfe holen
Es ist in der Natur der Sache, dass gerade in der Weihnachtszeit Beziehungen zu einem noch stärkeren Thema werden als sie es sonst ohnehin schon sind. Dazu Dr. Psota: „Generell muss niemand gerade vor Weihnachten die Beziehungskonfliktsituationen suchen, auch nicht im Sinne des ,Sich-hineinziehen-lassens'. Wenn das sehr schwer fällt und es auf der einen oder anderen Weise misslingt, dann sollte man sich beratende Hilfe holen, es gibt einige Möglichkeiten dazu. Dabei kann das Telefon eine gute Unterstützungsressource sein.“ Freilich sollte man rechtzeitig zum Hörer greifen: „Am besten bevor der große Rausch oder die große Depression kommt.“ Nachsatz: „Viele alkoholkranke Menschen haben beträchtliche Energien, dessen sollte man sich bewusst sein und diese Energien auch verwenden.“
Abstinenz als Elitäres präsentieren
Auch der ehemalige Leiter des Suchtkrankenhauses Maria Ebene (siehe auch „Motivation muss schnell genützt werden“) in Frastanz in Vorarlberg, Prof. Dr. Reinhard Haller, weiß um die Rückfallgefahren rund um Weihnachten Bescheid. „Das Risiko ist um diese Zeit besonders hoch, denn Weihnachten ist emotional sehr belastet, weil es ein Fest des Gemüts ist. Das berührt, da kommen Wehmut, Trauer, alte Kränkungen auf. Deshalb gibt es hier auch mehr Rückfälle als sonst“, bringt er die Stimmungslage vieler Alkoholkranken auf den Punkt. Wichtig ist für ihn, dass die Krankheit am Arbeitsplatz nicht verheimlicht wird, denn „da fällt ein großer Druck weg“. Und: „Man sollte seine Abstinenz als etwas Elitäres und nicht als etwas Defizitäres präsentieren.“ So wie Dr. Georg Psota rät auch Haller davon ab, sich zurückzuziehen: „Das wäre fatal.“ Um an Weihnachten nicht alleine zu sein, nimmt das Krankenhaus Maria Ebene auch ehemalige Patienten, die Angst vor einem Rückfall haben, auch kurzfristig für ein paar Tage auf, damit sie während der Feiertage nicht ganz alleine sind. Selbstverständlich kann man auch in der Klinik anrufen und sich telefonisch die Seele etwas freier reden.
Wie ein Tunnel, durch den man durch muss
Wichtig ist für den Suchtexperten, der auch als Buchautor erfolgreich ist, sich rechtzeitig auf die Weihnachtszeit einzustellen, damit man gewappnet ist. „Man sollte Kontakte suchen. Wertvolle Gespräche sind in dieser Zeit besonders wichtig“, rät er. Und wenn ein Rückfall dennoch passiert? „Dann sollte man sofort Hilfe suchen. Ich vergleiche das mit einem Auto, das in einem Schneehaufen gelandet ist. Wenn man dann noch Gas gibt, dann steckt man nur noch tiefer fest.“ Eines sollte man sich, so Haller, besonders bewusst sein: „Ein Rückfall ist keine Schande!“ Auch für den anerkannten Psychiater ist es wichtig, dass man Hilfe sucht: „Man sollte schon vorher schauen, dass man ein Selbsthilfenetz zur Verfügung hat. Viele unserer ehemaligen Patienten rufen andere Patienten, mit denen sie gemeinsam auf Therapie waren, an. Es kann eine sehr große Hilfe sein, sich jemandem anzuvertrauen, der ebenfalls in einer solchen Lage ist oder zumindest einmal war.“ Einen Trost für alle, deren Stimmungsbarometer vor und während der Feiertage ein Tief anzeigt, hat Reinhard Haller noch: „Weihnachten ist wie ein sensibler Tunnel, durch den man durch muss. Wenn das Fest vorbei ist und man aus dem Tunnel wieder raus kommt, dann schaut es wieder besser aus.“
Fotos & Grafik: Thomas Frohnwieser (3)