Selbsthilfegruppe Blaues Kreuz
„Nüchtern zu sein ist Pflicht!“

von Harald Frohnwieser

Das Blaue Kreuz wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von einem evangelischen Pfarrer in der Schweiz gegründet. Das ist mit ein Grund, warum es in den evangelisch dominierten Ländern, darunter auch Deutschland, relativ stark vertreten ist. Auch in Österreich steht die Selbsthilfegruppe den HilfesuchendenHermann Hofstätter mit Rat und Tat zur Seite. Ein Lokalaugenschein.

Es ist kurz vor 19 Uhr. Der diplomierte Lebens- und Sozialberater Alkoholiker Hermann Hofstetter bereitet sich in den Räumen des Blauen Kreuz Wien und Umgebung, Felbigergasse 60/1 im 14. Wiener Gemeindebezirk auf die nächsten 90 Minuten vor. Wartet ab, wie viele heute zu ihm in die Gruppe kommen werden. Hermann Hofstetter, seit Jahren trockener Alkoholiker, hat keine Ahnung, es meldet sich ja niemand an. Man muss es auch nicht. Wer kommt, ist willkommen. Im Schnitt sind es bis zu 15 Personen pro Abend. Im Jahr 2011 haben mehr als 1.600 Menschen die Gruppen besucht.
Auch Willi (Name geändert) kommt regelmäßig hierher. Er ist seit Jahren trocken und erzählt von seinem Alltag der vergangenen Tage. Erzählt, dass der Alkohol zum Glück kein Thema mehr für ihn und dass das nicht selbstverständlich ist. Früher war das anders, da hat Willi seine Tage durch gesoffen, hat keinen Sinn mehr im Leben gesehen, hat sich schon aufgegeben. Dann ist es ihm, nach vielen Versuchen, endlich gelungen, von seinem täglichen Treibstoff, der ihn freilich schon lange nicht mehr antrieb, weg zu kommen. Das ist einige Zeit her, jetzt lebt er sein Leben ohne ständigem Rausch und Dämmerzustand. „Das kann ich nur der Gruppe hier verdanken“, sagt er und ist dankbar dafür. Man sieht es ihm an, Willi ist zufrieden mit sich und der Welt.
Ehrenamtlich
Hermann Hofstätter freut sich, dass Willi da ist. Und dass es ihm heute gut geht. „Wir sind keine Ärzte oder Therapeuten, aber die Menschen, die unsere Gruppen leiten und die eine Beratung machen, haben alle eine spezielleBlaues Kreuz Österreich Ausbildung im Suchtbereich“, erzählt er. Die Gruppenleiter bekommen kein Geld für ihre Arbeit. „Die machen das alles ehrenamtlich“, sagt Hofstätter. Sind alle Gruppenleiter Alkoholiker? „Das muss nicht zwangsläufig sein“, so Hofstätter, der seit 2009 die Organisation in Wien leitet, „aber es hilft ungemein in der Argumentation, wenn man dem Betroffenen sagt, dass man weiß, wie es in ihm ausschaut.“
Hermann Hofstätter erzählt ein Beispiel: „Vor einiger Zeit war ein Mann bei mir, der um ein Beratungsgespräch gebeten hatte. Er ist in der 2. Führungsebene einer großen Bank tätig und musste eines Tages eine große Rede vor ungefähr 80 Mitarbeitern halten. Der Mann, seit einiger Zeit trocken, war in der Nacht davor vor lauter Angst fix und fertig. Also ging er schweißgebadet in den Keller seines Hauses und hat aus einer Schnapsflasche getrunken, um sich zu beruhigen. Dann hat er zu mir gesagt: ;Das können Sie sich sicher nicht vorstellen.' Und ich hab gesagt: ,Oh doch, ich weiß aus eigener Erfahrung, wie das ist.' Dadurch wurde sofort ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.“
Verschieden Gruppen
Anders als bei den Anonymen Alkoholikern gibt es in den Gruppen vom Blauen Kreuz einen Dialog. „Wir diskutieren über die verschiedensten Themen. Bei uns gibt es montags eine Frauengruppe, und jeden zweiten Mittwoch gibt es eine Gruppe speziell für Gläubige.
Aber welcher Konfession jemand angehört, ist uns egal. Wenn jemand ein Alkoholproblem hat, spielt seine Religionszugehörigkeit keine Rolle.“ Dienstags und Donnerstags sind die Gruppen gemischt und am Freitag gibt es eine Gruppe für Angehörige von Alkoholikern. „Wir haben auch eine kleine Werkstatt, wo man basteln oder malen kann“, ist Hofstätter auf seine Kreativgruppe, die immer am Freitag zusammen kommt, besonders stolz. Und auf Anfrage gibt es Einzel-, Paar- und Familienberatungen. Auch Eltern, die Angst haben, dass ihre Kinder zu Koma-Säufern werden könnten, werden von den Fachleuten des Blauen Kreuzes beraten.
Eine Nüchternheit der Gruppenteilnehmer wird vorausgesetzt. Auch beim allerersten Besuch. „Ich kann mit jemandem, der zum ersten Mal kommt, kein vernünftiges Gespräch führen, wenn er betrunken ist. Da hat niemand etwas davon. Und das sage ich auch am Telefon“, erzählt Hofstätter. Auch in den Gruppen wissen alle, dass eine Nüchternheit Pflicht ist. Aber: „Es kann in einer Ausnahmesituation schon passieren, dass jemand in der Gruppe etwas angetrunken ist. Solange er diskussionsfähig ist und sich sein Zustand im Rahmen hält, dann wird das ein Mal toleriert, ein zweites Mal aber sicher nicht“, berichtet der Wiener Obmann. Und stellt unmissverständlich klar: „Wenn er aber ausfällig wird, dann fliegt er raus.“ Freilich nur für dieses eine Mal – wenn er wieder nüchtern geworden ist, darf er jederzeit wieder kommen.
Drei Gruppenregeln
Es gibt beim Blauen Kreuz drei Gruppenregeln: Alle sind per Du, es gilt die Verschwiegenheit und es herrscht eine Diskussionskultur mit respektvollem Umgang. Zu Letzterem zählt auch, dass jemand, der einen Rückfall hatte und dann wieder kommt, von den anderen Gruppenteilnehmern nicht angegriffen oder gar ausgelacht wird.
Hermann Hofstätter wünscht sich nicht nur, dass mehr Menschen mit Alkoholproblemen in seine Gruppen kommen, er wünscht sich auch, dass Selbsthilfegruppen in Österreich generell mehr Anklang finden als zur Zeit. „In Deutschland wird die Selbsthilfe neben der stationären und der ambulanten Therapie schon lange als dritte Säule im Gesundheitssystem gesehen, bei uns leider noch nicht. Da gibt es noch einen großen Nachholbedarf.“ Deshalb sieht er auch die Anonymen Alkoholiker nicht als Konkurrenz, obwohl es natürlich große Unterschiede gibt. Hermann Hofstätter: „Die Anonymen und wir haben ja das gleiche Ziel – wir wollen die Menschen weg vom Alkohol bringen und ihnen ein schönes Leben ermöglichen.“

Blaues Kreuz Wien und Wien-UmgebungBlaues Kreuz Wien und Wien-Umgebung
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Tel.: +43 (0)699/146 519 02 (16.00 - 19.00 Uhr)
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Web-Adresse: www.alkoholhilfe.at

Infos: www.blaueskreuz.at / www.blaueskreuz.de / www.blaueskreuz.ch

Foto: Harald Frohnwieser (1)