Prim. Dr. Harald David rechnet mit System ab:
„Ich habe mit meinen Patienten einen Vertrag!“
von Harald Frohnwieser
„Den Alkoholkranken weht ein rauer Wind entgegen“, schlägt der ehemalige Leiter (1995 bis 2011) des Otto-Wagner-Spitals in Wien, Prim. Dr. Harald David, Alarm. Der Grund dafür: „Es wird bei einer qualifizierten und fundierten Versorgung gespart. Es ist immer weniger Geld für eine ausreichende Alkoholtherapie vorhanden.“ Im Gespräch mit „Alk-Info“ erzählt der engagierte Psychiater und Psychotherapeut, der u. a. auch Alkoholkranke ambulant betreut, warum er aus dem Krankenhaus ausgeschieden ist, bekräftigt seine Sorge um eine ausreichende Therapie für Alkoholiker in Österreich und kritisiert Alkohol trinkende Politiker in der Öffentlichkeit.
„Alk-Info“: Herr Dr. David, warum sind Sie im Jahr 2011 vom Otto-Wagner-Spital ausgeschieden?
Dr. Harald David: Ich habe die Station 1995 übernommen, weil ich mich immer schon für Randgruppen interessiert habe und weil ich da nicht nur im Einzelfall sondern im System strukturierend und behandelnd tätig sein konnte. Insgesamt habe ich 25 Jahre lang für das Krankenhaus gearbeitet und war davon 24 Jahre lang ganz begeistert. Aber im letzten Jahr hat sich dann gezeigt, dass diejenigen, die für die Finanzierung und Gestaltung zuständig sind, eine Meinung hatten, die ich nicht mehr vertreten konnte.
Was meinen Sie damit genau?
Man hat mir gesagt, dass in meinem Bereich 28 Tage für einen Therapieaufenthalt ausreichend wären. Nachdem aber die Station für alkoholkranke Männer spezialisiert war für Langzeitarbeitslose, für Obdachlose und für sozial Ausgegrenzte, die sehr oft von Kindheit und Jugend an eine sehr schwierige Geschichte hinter sich haben, habe ich diese Einschränkung für sinnlos gehalten. Weil genau diese Menschen oft sehr lange brauchen, bis sie sich auf eine therapeutische Beziehung einlassen. Das heißt, die brauchen ungefähr sechs Wochen, bis sie irgendetwas von sich preisgeben und sich selbst etwas zugestehen, wo auch nur ein Körnchen Wahrheit enthalten ist. Denn eine wesentliche Grundlage des Alkoholismus ist die Verleugnung. Bis man die einmal überwunden hat, dauert es meist sehr lange.
Das heißt, der Patient, die Patientin, wird entlassen, obwohl er/sie noch gar nicht soweit ist?
Genau. Der Entzug geht zwar meist sehr geschwind, der dauert längstens bis zu zwei Wochen. Aber alles das, was dann anfängt, dauert länger. Es hat daher keinen Sinn, jemanden zu entlassen, der erst ein bisschen stabilisiert wird. Der sich dann um seinen Tagesablauf kümmern muss, um eine Wohnung. So ein Patient ist damit überfordert, der kann das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dazu kommt, dass man doch nicht so einfach eine Beziehung abbrechen kann. So nach dem Motto: „Jetzt sind Sie bei uns fertig und jetzt gehen Sie zu einem anderen, der ist auch ganz nett.“ Das funktioniert nicht und das ist auch nicht mein Arbeitsstil. Das ist auch nicht der Vertrag, auf den ich mich mit meinen Patienten eingelassen habe.
Waren die Kosten das Ausschlaggebende für die Kürzung?
Wir haben keine andere Erklärung bekommen, als dass die Langzeittherapie jemand anderer machen soll. Ich sehe leider, dass alles, was in der Therapie mit einer Langzeitbeziehung und dem dementsprechenden Kosten verbunden ist, im Sinne einer zunehmenden Modularisierung immer mehr gefährdet ist.
Wo sollen Patienten im Raum Wien nun hin, die eine längere stationäre Therapie brauchen?
Das ist eine gute Frage. Wir haben natürlich hier in Wien das Anton-Proksch-Institut in Kalksburg. Aber da wird man nach längstens zwei Monaten entlassen. Nichts gegen Kalksburg. Ich habe immer gesagt, dass ich es sehr schätze, dass es zwei so unterschiedliche Einrichtungen gibt. Ich habe uns nie als Konkurrenz gesehen. In Kalksburg legt man viel Wert auf Gruppentherapie, die Einzelbetreuung ist dort nicht so dicht wie sie auf unserer Station war. Auch der Therapieplan von Kalksburg ist nicht so dicht, wie es der unsrige war. Es gab Patienten, die sind nach fünf Tagen von uns weg und haben gesagt, bei uns wäre es wie in einem Kindergarten. Dauernd sagt ihnen jemand, was jetzt zu tun ist. Und es gab welche, die haben uns gesagt, dass sie nach Kalksburg nicht mehr gehen, weil sie dort den ganzen Tag nur herum spazieren. Die Wege sind eben verschieden, deshalb braucht man auch unterschiedliche Einrichtungen.
In Kalksburg werden auch Spielsüchtige und Burnout-Patienten behandelt. Geht das auf Kosten der Alkoholkranken?
Die in Kalksburg müssen selbst wissen, wie sie ihre Aufgaben bewältigen. Ich möchte es so sagen: Es gibt in Kalksburg keine Bettenvermehrung und auch keine Personalvermehrung. Wie sie das lösen ist ihre Sache.
Wir haben in Österreich extrem lange Wartezeiten bei den Therapieplätzen.
Leider ist das so. Man wartet bei manchen Therapieeinrichtungen bis zu drei, vier Monate lang, bis man aufgenommen wird. Noch schlechter aufgestellt sind wir bei der ambulanten Betreuung der niedergelassenen Psychiater und Psychotherapeuten. Der Grund dafür sind die extrem niedrigen Kassenhonorare. Selbst wenn jemand einen ambulanten Therapieplatz hat kommt bald der Kontrollarzt der Krankenkasse und versucht Gründe zu finden, warum eine Behandlung nicht weitergeführt werden soll. Eine Ambulanz gibt es zwar in Kalksburg, aber nur, wenn man sich auf eine stationäre Therapie einlässt. Eine reine ambulante Therapie gibt es sehr selten in Österreich.
Woran liegt dass?
Wir haben bei uns generell arge Defizite in der Prophylaxe. Wenn ich denke, wie viel Geld in die Alkohol-Werbung fließt und wie viel in die Information über ein alkoholfreies Leben oder für einen kontrollierten Umgang mit dem Alkohol, dann fragt man sich schon, wie sinnvoll das ist. Es wurde ja erst vor Kurzem veröffentlicht, dass die Alkoholkrankheit viel mehr kostet als der Staat durch die Alkoholsteuer einnimmt.
Das heißt, dass die Politiker gefordert sind?
Solange wir Politiker haben, die bei jeder Eröffnung eines Gebäudes, bei jeder Einweihung einer Brücke oder so uns etwas vortrinken, wird sich, so glaube ich, leider wenig ändern. Das ist eine Unsitte, von der man sich noch lange nicht entfernt hat.
Sollte man die Alkoholwerbung verbieten?
Man sollte zumindest Alternativen anbieten. In TV-Kochsendungen gibt es am Schluss oft Werbung für ein alkoholisches Getränk, das gut zu dem Gericht passt, das man soeben zubereitet hat. Es wäre ganz einfach die Firmen dazu zu verpflichten, mit der gleichen Intensität ein nicht alkoholisches Getränk zu bewerben.
Kommen wir nochmals zur Prävention zurück. Auch auf diesem Gebiet sind wir nicht sehr gut aufgestellt.
Eine Alkohol-Prävention ist in Schulen leider sehr selten. Wenn sie passiert, dann nur auf Eigeninitiativen von engagierten Lehrern und Schuldirektoren oder von kompetenten Eltern. Ich hatte bisher in meiner gesamten Laufbahn nur zwei Mal die Gelegenheit dazu, vor Schülern zu sprechen. Eine strukturierte Prävention gibt es leider nicht. Aber wenn man die Kinder sachlich und ohne erhobenem Zeigefinger über die Gefahren des Alkohols informiert, dann kommt das schon ganz gut an. Derzeit wird nur dann etwas gemacht, wenn es einen Vorfall gegeben hat, wenn ein Schüler betrunken im Klassenzimmer war oder wenn es zu einem Eklat am Schulskikurs kam.
Ab welchem Alter wäre eine Prävention sinnvoll?
Bei den 16-, 17-Jährigen ist es meist schon zu spät. Ich denke, man müsste spätestens bei den Zwölfjährigen beginnen.
Woran liegt es Ihrer Meinung, warum das Einstiegsalter beim Alkohol – derzeit liegt es bei etwa elf Jahren – sinkt?
Einerseits kann das mit dem Leistungsdruck der Gesellschaft zu tun haben, andererseits auch damit, dass Kinder und Heranwachsende heutzutage relativ wenig Gestaltungsmöglichkeiten haben. Früher ist man naturbelassener aufgewachsen, man hat im Freien gespielt, da konnte man kreativ sein. Jetzt fehlt in vielen Familien die Zeit dazu, um etwas mit den Kindern zu unternehmen. Etwas was Spaß macht, was lustig ist. Da holen sich die Kinder halt etwas, was schnell lustig macht, und das ist dann der Alkohol.
Abschließend noch eine Frage: Wie sehen Sie die Rollen der Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker oder das Blaue Kreuz?
Ich halte sie für einen ganz wesentlichen Teil der Alkohol-Therapie. Wenn ich Vorträge zum Thema Alkoholismus halte, lade ich immer Vertreter dieser Gruppen dazu ein, ihre Sicht der Dinge den Zuhörern darzulegen.
Fotos: Thomas Frohnwieser (2)