Suchtkrankenhaus de La Tour in Kärnten
„Runter vom Gas und stopp!“

von Harald Frohnwieser

Die Klinik ist eine Einrichtung, die zur evangelischen Kirche gehört. Gläubig sein muss man trotzdem nicht, wenn man im Suchtkrankenhaus de La Tour in Treffen bei Villach, Kärnten, aufgenommen werden will. Was zählt ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören. „Alk-Info“ sah sich in der Therapieeinrichtung, in der nicht nur Alkoholiker aus Kärnten Aufnahme finden, um. Die klinische Psychologin Mag. Bettina Quantschnig und die Fachärztin für Psychiatrie, Dr. Renate Clemens-Marinschek, führten durch das Haus.

Sonderkrankenhaus de La Tour in KärntenDas Gegendtal in Kärnten. Etwa 20 Autominuten von Villach entfernt liegt eingebettet in einer herrlichen Natur das Suchtkrankenhaus de La Tour im Ort Treffen. Kein Autolärm stört die Idylle, der Wald strahlt eine wohltuende Ruhe aus, außer Vogelgezwitscher ist nichts zu hören. Wie Außen so Innen, denn auch im Krankenhaus kommt keine Spur von Hektik auf. Ein paar der insgesamt 56 Patienten sitzen in der Nähe der Rezeption, trinken Kaffee und warten auf ihre nächste Therapie. Mit einem atemberaubenden Blick in die wunderschöne Umgebung inbegriffen. Ganz oben des Gebäudes befindet sich eine Kapelle, die es einem erlaubt, Inne zu halten. Nachzudenken, mit sich, den Mitmenschen und vielleicht auch einem höheren Wesen ins Reine zu kommen: Das Krankenhaus gehört zur Diakonie der evangelischen Kirche, gläubig sein muss man freilich nicht, um hier aufgenommen zu werden. Ein Seelsorger aber steht jedenfalls bereit, um geistlichen Beistand zu bieten, wenn man ihn braucht. „Erstaunlich viele Patienten nehmen dieses Angebot in Anspruch, auch solche, die gar keiner Konfession oder der katholischen Kirche angehören“, sagt Mag. Bettina Quantschnig, klinische Psychologin und Leiterin des psychologischen Dienstes, und erzählt aus der Praxis: „Einer Patientin von uns, deren Tochter an Drogen verstorben ist, hat in der Kapelle sehr oft nach Trost gesucht.“
Dr. Renate Clemens-MarinschekWas die Aufnahme betrifft, gibt es freilich ein Problem – die relativ lange Wartezeit. „Drei Monate ist schon sehr lange“, gibt die ärztliche Leiterin des Krankenhauses, Dr. Renate Clemens-Marinschek, zu, „zwei Monate wären eine ganz gute Zeit. Aber wir wollen nicht vergrößern, damit wir unseren familiären Charakter und unsere Qualität halten können.“ Zur Qualität des Hauses gehört, dass jeder Patient oder jede Patientin ein persönliches Entzugstherapeutenteam (PsychologIn und MedizinerIn) hat, das aus einem Hauptherapeuten (das ist jener, mit dem er/sie das Aufnahmegespräch geführt hat) und einem 2. Therapeuten besteht. Dazu kommt eine persönliche Bezugsschwester, die stets ein offenes Ohr für die Probleme, Sorgen und Freuden ihres anvertrauten Schützlings hat.
Vorgespräch ist Voraussetzung
Die Aufnahme erfolgt über die Ambulanz. „Jeder Patient, der hier aufgenommen werden will, muss zu einem Vorgespräch kommen“, so Bettina Quantschnig. Das hat einen triftigen Grund: „Erstens lernen wir die Patienten kennen, können eineMag. Bettina Quantschnig Bestandsaufnahme der Problematik machen, in weiterer Folge die Motivation abklären und schauen, ob unsere Einrichtung für sie auch wirklich geeignet ist, was die Therapien betrifft. Auf der anderen Seite lernt der Patient, die Patientin das Haus kennen, was ja nicht unwesentlich ist, wenn man acht Wochen lang hier lebt.“ Die Patienten lernen bei diesem Vorgespräch auch ihre TherapeutInnen kennen, mit denen sie die Wartezeit über telefonisch in Verbindung bleiben. „Nachdem unsere zukünftigen Patienten ihren Therapieablauf erfahren haben, werden sie von einem/er PatientIn durch das Haus geführt. „Manchmal bekommen wir dann Rückmeldungen wie ,Ich glaub nicht, dass der kommt, der scheint nicht sehr motiviert zu sein'“, schmunzelt die Psychologin. Profis eben, die aus eigener Erfahrung wissen, wie schwierig es ist, sich für einen Weg ohne Alkohol zu entscheiden.
Eine generelle Altersbeschränkung gibt es nicht, die jüngste Patientin war 14 Jahre alt, die ältesten sind Mitte 70. „Man muss schauen, wie es vom biologischen Alter herTöpferarbeiten ausschaut“, so Ärztin Clemens-Marinschek, „wenn der Patient, die Patientin noch sehr kindlich ist, dann nehmen wir ihn/sie eher nicht auf, aber es gibt sehr wohl 16-Jährige, die schon sehr erwachsen wirken.“
Die Patienten sind im Laufe der Jahre wesentlich jünger geworden, ein Trend, den man mittlerweile in jedem Suchtkrankenhaus beobachten kann. Sie sind auch komplexer geworden, oft mehrfach süchtig. „Manche Patienten haben in der Vergangenheit Drogen genommen und sind dann umgestiegen auf den Alkohol, Cannabis zusammen mit Alkoholmissbrauch ist vor allem bei den Jungen sehr verbreitet. Vorrangig aber wird aber jene Substanz behandelt, wegen der sie da sind, und das ist der Alkohol. „Wir diskutieren dann aber auch mit den Patienten, wie es mit dem Cannabis rauchen weitergehen soll. Weil die Gefahr besteht, dass noch mehr geraucht wird, wenn der Alkohol weg ist“, so Ärztin Renate Clemens-Marinschek. Nachsatz: „Die Hauptdroge, weswegen man da ist, muss legal sein. Ich kann nicht jemanden nehmen, der nur an den Wochenenden einen Rausch hat, dafür aber jeden Tag kifft.“
Zeitgeist fordert Sucht
Auch eine starke Zunahme von Persönlichkeitsstörungen wird von den Ärzten und den Therapeuten festgestellt. Angststörungen, Depressionen und bipolare Erkrankungen (lang andauernde depressive Phasen, die nur von kurzen Hochstimmungen unterbrochen werden) kommen immer häufiger vor. „Jene Patienten, die an bipolaren Störungen leiden haben ein extrem hohes Selbstmordrisiko“, weiß Renate Clemens-Marinschek aus ihrer ärztlichen Erfahrung. Warum sich das Erkrankungsmuster so geändert hat, versucht Bettina Quantschnig zu hinterfragen: „Es liegt wohlKapelle am Zeitgeist, an den gesellschaftlichen Veränderungen. Vor rund 20 Jahren waren es noch die Bauarbeiter und die Stammtischsitzer, die sich den Alkohol abgewöhnen wollten, jetzt setzt die Suchtmittelerfahrung viel früher ein, die Pubertät beginnt oft schon mit elf Jahren, die Verfügbarkeit des Alkohols für die ganz Jungen ist gestiegen, der Druck in der Schule ebenfalls.“ Auch die Kommunikation unter den Jugendlichen hat sich verändert: „In Chatrooms wird weitergegeben, welche Substanz wie wirkt.“ Was die Psychologin ebenfalls feststellt sind die Veränderungen in der Erziehung. „Die Wohlstandsverwahrlosung ist ein großes Thema.“ Ärztin Renate Clemens-Marinschek ergänzt: „Viele Jugendliche sind oft komplett verwahrlost oder total über behütet. Denen werden sehr enge Grenzen gesetzt und sie werden behandelt wie Erwachsene.“ Oder es gibt bereits Suchtprobleme im Elternhaus oder andere traumatische Erfahrungen wie Gewalt und sexuellen Missbrauch. „Ich habe bei allen verstanden, warum sie süchtig geworden sind“, so die Ärztin.
Schwimmen, Kegeln, Walken, Taekwondo oder Qi Gong
Ist man erst mal aufgenommen, so warten neben den Einzel- und Gruppentherapien zahlreiche Freizeitangebote. „Wir bieten neben der Arbeitstherapie, die verpflichtend ist, auch Entspannungsangebote wie Qi Gong,Selbstgemachtes Schachbrett Kegelabende, Taekwondo, sowie Sportangebote wie Walken oder Schwimmen.“ Letzteres findet vor allem in den Sommermonaten im nahe gelegenen Ossiachersee statt. Die Freizeitangebote haben sich dem Zeitgeist angepasst. „Für die Jungen braucht man eben was anderes, wie zum Beispiel Freiklettern“, so Bettina Quantschnig. Dennoch sollen alte, bewährte Konzepte nicht verworfen werden. Nach wie vor kann man sich in den verschiedenen Werkstätten auch kreativ betätigen. Sei es in der Tischlerei, sei es in den Kunstwerkstätten, wo man u.a. Malen oder Töpfern kann. Tischtennisangebote, Korbflechten und Gesellschaftsspiele runden das Programm ab. Bettina Quantschnig aber steigt hier ein wenig auf die Bremse: „Es ist nicht erstrebenswert, dass die Patienten von 8 bis 22 Uhr ein volles Programm haben und von einem Termin zum nächsten hetzen. Im Leben draußen muss man auch Prioritäten setzen und kann nicht überall dabei sein. Unsere Patienten sollen auch Zeit haben, sich mit sich selbst zu beschäftigen.“ Runter vom Gas und stopp als Motto für ein wichtiges Innehalten, für ein In-sich-gehen, das wichtig ist, um mehr über sich selbst zu erfahren. Quantschnig: „Uns ist sehr wichtig zu sehen, wie steigt jemand bei uns ein und wie geht er wieder nach Hause.“ Womöglich trocken. „Dreißig bis vierzig Prozent unserer Patienten bleiben länger als zwei Jahre abstinent. Wer draußen einen Rückfall hat, kann zu einer Nachbehandlung kommen, die auch kürzer als acht Wochen sein kann.
Ein großes Danke für die „Eselsgeduld“
„Ich habe gerade ein Abschlussgespräch mit einem Patienten geführt, der war mehr als 20 Jahre abstinent, dann ist er rückfällig geworden“, berichtet Bettina Quantschnig, die erzählt, dass sie, die Frau des Patienten und der Patient selbst drei Jahre gebraucht haben, bis er sich endlich zu einer Nachbehandlung entschloss. „Es war ein sehr großer Imageschaden für ihn, wieder zu trinken. Aber heute hat er sich bei mir für meine Eselsgeduld, wie er sagte,Bilder und Seidenmalerei bedankt“, freut sich die Psychologin, die weiß, dass es für Menschen, die viele Jahre lang abstinent waren, ein zähes Ringen bedeutet, wieder hierher zu kommen. „Wir fragen immer, wie lange es seit dem Rückfall gedauert hat, wieder zu uns zu kommen. Das geht von einem halben Jahr bis zu mehreren Jahren. Die Patienten sagen uns, dass das wie ein Hebel ist, der sich umlegt. All das Wissen, das man über seine Alkoholerkrankung schon gesammelt hat, ist auf einem Mal weg“, berichtet Bettina Quantschnig. Alte Verhaltensmuster werden schnell wieder aufgenommen: vertuschen, bagatellisieren, verleugnen. Was so lange der Vergangenheit angehörte, wird schnell wieder zur gefährlichen Realität.
Damit es nicht so weit kommt, wird den Patienten geraten, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, sobald sie entlassen sind. „Es gibt das Blaue Kreuz, es gibt die Anonymen Alkoholiker, es gibt die Nachbehandlungsgruppen vom AVS (Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens, Anm.). Vor allem die Anonymen Alkoholiker haben eine große Pionierarbeit geleistet, aber sie sind natürlich nicht für jeden Patienten stimmig. Aber auch die von Therapeuten geleiteten Gruppen des AVS passen nicht für jeden. Es gibt auch Selbsthilfegruppen, die von unseren ehemaligen Patienten gegründet wurden. Man muss einfach nur schauen, was es so alles gibt“, rät Bettina Quantschnig.
Auch wenn es viele Gruppen das draußen gibt, die davor bewahren können, einen Rückfall zu erleiden, Suchtkrankenhäuser in Österreich gibt es leider viel zu wenige. Das Haus de La Tour ist eines von ihnen. Ein für viele Alkoholiker wichtiger Meilenstein auf dem nicht einfachen Weg in die Abstinenz. Man muss sich nur darauf einlassen.

Diakonie de La TourKrankenhaus de La Tour
9521 Treffen, De La Tour Straße 28
Tel.: +43 (0)4248/25 57 - 0
e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Web-Adresse: www.diakonie-delatour.at

Fotos: Thomas Frohnwieser (6), de La Tour (2) Logo: de La Tour (1)