Gleich zwei Vereine von jung bis alt
Flächendeckende Hilfe für Tiroler Alkoholiker

von Werner Schneider

Du glückliches Tirol! Hier gibt es gleich zwei Vereine, die sich mit Alkohol beschäftigen. Da wäre einmal Suchthilfe Tirol (ehemals BIN) und VAGET (Verbund außerstationärer Gerontopsychiatrischer Einrichtungen Tirols). Das heißt, das Alkoholproblem wird von der Jugend weg bis ins hohe Alter lückenlos erfasst. „Alk-Info“ sprach mit den Verantwortlichen für die beiden Vereine, Primar Univ. Prof. Dr. Christian Haring für Suchthilfe Tirol und mit Mag. DGKS Gertraud Geisler-Devich für VAGET.

„Alk-Info“: Herr Primar Haring, wie viele Alkoholkranke gibt es in Tirol?
Univ.-Prof. Dr. Christian HaringPrimar Univ. Prof. Dr. Christian Haring: Wir haben circa 700.000 Einwohner, wir gehen nach allen epidemiologischen Studien aus, die derzeit aktuell sind, von etwa 30.000 aus. Bei den Gefährdeten geht man dann nochmals von zehn Prozent aus, das wären dann noch einmal 70.000 dazu.

Also ein großes Betätigungsfeld für Suchthilfe Tirol…
…natürlich ist es ein großes Betätigungsfeld, aber das ist es überall, wir unterscheiden uns da nicht von anderen Bundesländern.

Wie ist der Verein entstanden?
Jetzt momentan bin ich Abteilungsleiter eines psychiatrischen Primariates im Landeskrankenhaus Hall. Aber 1990 habe ich die Leitung der Alkoholstation der Universitätsklinik in Innsbruck übernommen und habe mich als junger Oberarzt einmal umgeschaut, wo es Therapiemodelle gibt. Ich habe auch über die Grenzen nach Norden, nach Deutschland, geschaut und bin dabei auf das Modell in Tübingen gestoßen. Da wurde den Patienten zuerst ein achtwöchiges Entwöhnungskonzept angeboten. Und die anschließend ein Jahr nach dieser Entwöhnung in einem Gruppensetting nach betreut wurden.

Das haben Sie für Innsbruck übernommen…
Das haben wir dann an dieser Abteilung gestartet. Und das war natürlich ein Riesenproblem, wenn man die Geographie von Tirol kennt, die sind von Reutte gekommen und von Lienz. Also haben wir gesagt, wir bieten diese Gruppen regional an. Und haben so Schritt für Schritt die Landkarte Tirols abgedeckt mit dem Angebot. In weiterer Folge haben wir dann aber gesehen, dass diese Nachsorgegruppen nur wirklich funktionieren, wenn man im Vorfeld schon eine Schnittstelle zu den Entwöhnungseinrichtungen herstellt. Dann haben wir Beratungsangebote an diesen Stellen gemacht. In weiterer Folge haben wir dann auch die Möglichkeit gehabt, dass wir mit den Sozialversicherungen Kontakt aufgenommen haben und haben dann auch Psychotherapie anbieten können.

Sie haben das Angebot ja noch ausgeweitet.
Wir haben dann die Leistungen ausgeweitet auf Medikamentenabhängigen und pathologische Spieler.

Wann erfolgte die Vereinsgründung?
Zum wirklichen Verein ist es dann 1996 geworden. Wir feiern kommendes Jahr das 20jährige Bestehen.

Suchthilfe TirolWie viele Entzugskliniken gibt es in Tirol?
Ich unterscheide zwischen Entzug und Entwöhnung. Sie müssen sich das so vorstellen: Ein Patient dockt in der Beratungsstelle in Wörgl an und dort stellt man einen Kontakt her zu einem niedergelassenen Allgemeinmediziner, der dann ambulant einen Entzug macht. Es macht auch jede psychiatrische Klinik einen Entzug. Dann wird in die Entwöhnung vermittelt. Dafür haben wir zwei Einrichtungen in Tirol, das wäre einerseits das Therapie- und Gesundheitszentrum in Natters, ein Teil der Universitätsklinik. Und ich habe in meiner Abteilung hier einen Suchtschwerpunkt, da habe ich auch eine Abteilung, die Entwöhnungsschwerpunkt macht.

Wie finanziert sich der Verein?
Relativ komplex. Die Beratung ist anonym, die wird über Subvention finanziert; die Gruppennachsorge über Reha; die Psychotherapie über die Sozialversicherungen.

Haben sie auch Probleme mit speziell jungen Trinkern – Stichwort Komasaufen?
Die Jugendlichen konsumieren wie die Erwachsenenwelt konsumiert. Dazu kommt bei uns ein starker Anteil an Tourismus. Das berühmte Komasaufen! Bei uns in Tirol ist es nicht so, dass die Jugendlichen sagen, so jetzt trink‘ ich mich bewusst ins Koma. Das sind, auch wenn man mit den psychiatrischen Abteilungen spricht, wo die ja mit alkoholischen Intoxikationen aufgenommen werden, Unfälle, junge Mädels oder Burschen, die zum ersten Mal mit Alkohol in Kontakt kommen, womöglich in Begleitung eines Älteren, werden angestachelt ‚komm, trink‘ noch etwas‘, sie haben keine Ahnung, wie Alkohol wirkt und landen dann intoxiniert in den Aufnahmestationen der Pädiatrie. Also der Theorie, Jugendliche trinken sich bewusst ins Koma, habe ich von Anfang an widersprochen.

Wie sind dann die Trinkmuster?
Was wir wissen ist, dass das Trinkmuster eher in Richtung Rauschtrinken geht, wie in den skandinavischen Ländern. Dass unter der Woche eher weniger getrunken wird, dass Mädchen mehr trinken als früher.

Welche Altersgruppe ist die Hauptproblemgruppe?
Ich würde sagen 35 bis 45. Aber quer durch die Bevölkerungsgruppen. Eines unserer Projekte ist Alkohol in den Betrieben. Wir haben vom Arbeiter bis zum Zahnarzt – ich sage das jetzt von A bis Z – alle Berufsgruppen.

Und welche Berufsgruppen trifft’s am häufigsten?
Das Alkoholproblem ist ein Mittelschichtproblem. Je weiter jemand in der Hierarchie nach oben gedrungen ist, desto mehr kann er damit rechnen, vom System geschützt zu werden. Wenn wir Pressekonferenzen machen, dann sagen wir immer, wir kennen drei Hauptrisikogruppen, das ist Journalismus, Politik und Medizin.

Frau Magister Geisler Devich, wie lange gibt es den Verein VAGET schon und was führte zu seiner Gründung?
Mag. Gertraud Geisler Devich: Den Verein VAGET gibt es seit 1997, damals als Verbund für alle außer stationären gerontopsychiatrischen Einrichtungen für das Bundesland Tirol gegründet. Hervorgegangen ist VAGET aus dem PSP (Psychosozialer Pflegedienst Tirol).

Wie ist er aufgebaut – wer sitzt im Vorstand, vielleicht eine kurze Erklärung zur Struktur?
VAGET Vorstand – Karl-Heinz Alber, Leo Alber, Hermann Strasser – Psychiatrische Pfleger. Dann die Geschäftsführung des Vereins und die Bereichsleitungen, Psychiatrische Fachpflegepersonen.

Wer sind die Träger und wie funktioniert die Finanzierung?
Träger ist der Verein selbst – Leistungsvereinbarungen mit dem Land Tirol, selbstbehalte Finanzierung durch die Klienten, Subventionen der Kommunen.

Sie haben in mehreren Bezirken Außenstellen, gibt es unterschiedliche Patientenzahlen, etwa ein West- Ost-Gefälle oder eine Häufung in bestimmten Regionen?
Stadt vor Land, je länger eine Einrichtung in einer Region tätig ist, desto eher wird das Angebot angenommen. Die Schwellenangst muss zuerst abgebaut werden.

Welches sind die Hauptaufgaben, Beratung, Betreuung usw.?
Psychiatrische Pflege beinhaltet Fachinterventionen, Lebensbegleitung, Entlastungen, Mobilität und Soziale Teilhabe fördern, Angehörigenentlastung, Ressourcen Förderung, Sozialarbeit Komponenten, uvm.

Wie viele Kliniken in Tirol nehmen Alkoholiker stationär auf?
Sicher die Universität Innsbruck und das Landeskrankenhaus Hall.

Wie erfolgt die Nachbetreuung?
Wir sind die Nachbetreuung…

Gibt es ein Altersproblem bei der Alkoholabhängigkeit?
Dazu kann ich nur allgemein festhalten, dass wir sehr wohl Menschen mit Alkoholkrankheit im häuslichen Umfeld betreuen – eine große Herausforderung ist z. B. die alkoholindizierte Demenz, die sozialen/familiären Probleme durch das „Schwierigwerden“, die durch Mehrfachdiagnosen psychischer und körperlicher Krankheiten bedingten Phasen akuter Krisen und Verschlechterung, die durch Alkoholmissbrauch bedingten stationären Aufnahmen ohne Aussicht auf Abstinenz.

Verein VAGETIn welchem Alter ist Ihre Hauptklientel?
Personen ab 60 Jahren.

Wie viele Männer, wie viele Frauen?
Der Anteil der Frauen ist generationsbedingt höher – ca. 70%.

Betreuen Sie auch Angehörige?
Angehörige sind Teile des Netzes, das Menschen mit Alkoholkrankheit trägt – die Beratung, Entlastung und Begleitung bzw. die Weitergabe von Fachwissen an Angehörige ist ein wichtiger Baustein in der Betreuung.

Gibt es Nah-, Mittel-, Fernziele – Ausbau, weitere Außenstellen usw.?
VAGET baut sein Netz für ganz Tirol auf und aus. Nachdem es in allen Bereichen der psychiatrischen Diagnosen Steigerungsraten gibt und psychische Erkrankungen ja nicht in Pension gehen, ist die Nachfrage nach Betreuung und Pflege ungebrochen. Alkoholentzugsmöglichkeiten außerhalb des Systems Rehabilitation wären wünschenswert, da Personen im Pensionsalter nicht mehr „rehabilitiert“ werden.

Suchthilfe Tirol – Beratungsstellen Zentrale Hall
6060 Hall i. T. Innsbruckerstrasse 85/1
Tel.: +43 (0)512/580 080
e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Web-Adresse: www.suchthilfe.tirol

Verein VAGET
6060 Hall in Tirol, Schmiedtorgasse 5
Tel.: +43 (0)5223/536 36
e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Web-Adresse: www.vaget.at

Foto: Florian Schneider (1) Logos: Suchthilfe.Tirol (1), Verein VAGET (1)