Können Pflanzen Alkoholsucht lindern?
Dagegen ist (k)ein Kraut gewachsen
von Harald Frohnwieser
Schon seit vielen Jahren forscht die Pharma-Industrie nach einem chemischen Heilmittel gegen die Alkoholabhängigkeit. Bisher freilich vergebens – die Pille gegen das Saufen wurde noch nicht gefunden. Abhilfe hingegen verspricht die Pflanzenheilkunde. Hier sollen gleich mehrere Pflanzenextrakte eine Abneigung gegen den Alkohol hervorrufen oder bei einer Alkoholvergiftung helfen. Besonders gepriesen wird dabei die sogenannte Kudzu-Pflanze, die aus Ostasien stammt. Wie US-Forscher herausfanden, soll die Pflanze effektiv das Verlangen nach Alkohol dämpfen. Aber auch andere Wirkstoffe aus der Natur werden von Apothekern oder Kräuterexperten empfohlen, wenn es darum geht, das Trinkverhalten nach unten zu korrigieren. Hier ein Überblick.
Wo sie wächst überwuchert sie in Windeseile die gesamte Flora in der Nachbarschaft: Die Pueraria lobata, auch Kudzu-Pflanze genannt, wird deswegen gerne als „Krebs der Pflanzenwelt“ genannt. Doch die Schlingpflanze, die zwölf Meter hoch werden kann, erringt aus einem anderen Grund Aufsehen bei den Experten. Wie Forscher der Harvard-Universität im US-Bundesstaat Massachusetts herausfanden, soll die asiatische Bohnenart das Verlangen nach Alkohol enorm unterdrücken. Die in der Pflanze enthaltene bioaktive Substanz Daidzin sorgt dafür, dass der Alkoholabbau im Körper extrem verzögert wird, was im Klartext nichts anderes bedeutet, als dass man nach dem Konsum von ein paar wenigen Drinks so stark berauscht fühlt, dass man kein Verlangen nach einem weiteren Glas hat. Dazu kommt, dass das ebenfalls in der Pflanze enthaltene Acetaldehyd für unangenehme Nebenwirkungen sorgt, wenn man Alkohol trinkt. Dies sind in erster Linie Schwindel und Unwohlsein. Der somit „vorgezogene Kater“ vergrault die Lust auf Alkohol derartig stark, dass es fast unmöglich ist, weiter zu trinken.
Die Wirkung der Kudzu-Pflanze, die in der chinesischen Medizin schon seit mehr als tausend Jahren bekannt ist, wurde von dem Neurologie-Professor Ivan Diamond und dem Alkoholismus-Forscher Ting-Kai Li im Tierversuch ausprobiert. Die beiden Wissenschaftler machten Ratten süchtig nach Alkohol, um ihnen dann Kudzu in Form eines Pulvers zu verabreichen. Das Ergebnis war für die Forscher verblüffend – die Nager hatten überhaupt keine Lust mehr, weiterzutrinken. Ein weiterer Effekt war, dass die Gefahr, rückfällig zu werden, gesenkt werden konnte.
Ein anderes Forscherteam probierte mittlerweile die Wirkung der Kudzu.Pflanze im Menschenversuch aus. Zunächst einmal ließ der Chef des Teams, Scott Lukas, das Testlabor im Bostoner McLean Hospital, äußerst gemütlich einrichten. Ein Lehnsessel wurde angeschafft, ebenso ein Fernsehapparat und ein prall gefüllter Kühlschrank. Dann luden Lukas und seine Mitarbeiter 14 Menschen, die seit vielen Jahren viel und regelmäßig tranken, zum Test. Und tatsächlich tranken jene Probanden, die die Kudzu-Pille verabreicht bekamen, nur noch 1,8 Flaschen Bier. Jene Trinker hingegen, die nur ein Placebo bekamen, tranken wie gewohnt ihre 3,5 Flaschen Bier.
„Es spricht viel für die alte Heilpflanze“
Der deutsche Biologe Dr. Ulrich Fricke schrieb im Fachblatt „Länger und gesünder leben“ über Kudzu, dass der Abbau von Alkohol eher angeregt als verzögert wird: „In der Chinesischen Medizin wurde Kudzu (Pueraria lobata) bisher in erster Linie als Heilmittel gegen übermäßigen Alkoholkonsum angewendet. Laboruntersuchungen, die im Jahr 2006 von Wissenschaftlern der Tongji Universität von Shanghai (China) durchgeführt wurden, konnten diese traditionelle Wirkung tatsächlich belegen. Sie zeigen, dass das Kudzu-Extrakt die Alkoholdehydrogenase aktiviert. Dieses Enzym baut Alkohol im Körper ab. Auch Entzugserscheinungen wie Unruhe oder Reizbarkeit werden gemildert.“ Fricke kommt zum Resümee: „Daher spricht – auch wegen der langjährigen guten Erfahrung bei Alkoholkranken – viel für die alte Heilpflanze. Auch, weil sie gut verträglich und preiswert ist.“ Apropos Preis: In Apotheken kostet eine Packung mit 60 Tabletten zwischen € 15,- und € 20,-. Fachleute warnen allerdings davor, die Kudzu-Pille nicht während der Schwangerschaft zu nehmen. Die Tabletten sollten auch nicht eingenommen werden, wenn man ausgeprägte Blutprobleme hat oder unter einem Yin-Mangel mit Hitzewallungen leidet. Übrigens: Die Kudzu-Pflanze wird auch zur Nikotinentwöhnung angeblich sehr erfolgreich eingesetzt.
Noch viele Fragen offen
Bei aller Euphorie, die unter Biologen oder Alkoholforschern bezüglich der Wirkung der Kudzu-Pflanze herrscht, gibt es auch Stimmen, die hier ein wenig auf die Bremse steigen. „Alk-Info“ hat einen Schweizer Experten der Pflanzenheilkunde, der aber lieber anonym bleiben möchte, dazu befragt. „Es gibt Hinweise, dass Kudzu hilfreich sein kann. Aber es sind noch viele Fragen offen. Bei Wundermittel bin ich generell immer skeptisch. Zudem taucht die Pflanze in der Fachliteratur nicht auf. Ich bin überzeugt, dass sie eine Rolle spielen würde, wenn ein Boden dafür bereit stünde.“ Der Experte verweist darauf, dass Kudzu erst einmal ausreichend getestet wird. Seriös wäre, meint er, wenn man 200 Menschen über mehrere Monate hindurch testet. „Solange das nicht der Fall ist, bleibe ich misstrauisch“, dämpft der Fachmann im „Alk-Info“ Gespräch zu große Erwartungen.
Wirkung des Alkohols wird aufgehoben
Große Erwartungen werden von Kräuterexperten auch auf die Wirksamkeit von Flavonoid Dihydromyricetin (DHM), auch Ampelopsin genannt, gesetzt, wenn es darum geht, die Alkoholsucht zu bekämpfen. DHM wird aus dem Japanischen Rosinenbaum (Hovenia dulcis) gewonnen und soll die Wirkung des Alkohols ganz einfach nicht zum Vorschein kommen lassen. Im Klartext: Auch wenn man noch so viel trinkt, man wird nicht betrunken. Im Tierversuch wurden Ratten betrunken gemacht. Jene Nagetiere, die DHM verabreicht bekamen, konnten ganz normal laufen während ihre betrunkenen Artgenossen immer wieder umfielen. In einem anderen Versuch erkundeten jene Ratten, die zum Alkohol auch DHM bekamen, ihre Umgebung genauso neugierig wie jene Nagetiere, die nüchtern waren. Darüber hinaus hat die Substanz des Japanischen Rosinenbaums auch eine unterstützende Wirkung beim Alkoholentzug. Zuvor an Alkohol gewöhnte Ratten konnten schrittweise ihre Dosis auf ein sehr niedriges Maß reduzieren, nachdem ihnen DHM ins Futter gegeben wurde. Auch Benzodiazepine vermögen das, haben aber sehr große Nebenwirkungen, bei DHM konnten solche bisher noch nicht festgestellt werden.
Pflanzen, die nüchtern machen oder entgiften
Auch dem Ehrenpreis (ist eine Pflanzengattung mit vielen verschiedenen Arten) sagt man eine Wirkung nach, die die Alkoholentwöhnung lindern soll. Die Pflanze soll, wenn sie als Tee getrunken wird, angeblich schlagartig nüchtern machen. Ehrenpreis blüht in Europa und soll ohne Wurzel gesammelt und in einem dunklen Raum zunächst einmal ausgelegt und getrocknet werden. Für den Tee werden 50 Gramm empfohlen der ungesüßt getrunken werden soll. Die Pflanze hilft laut Experten auch bei Nierenleiden.
Eine Alkoholabhängigkeit kann die Echte Goldrute zwar nicht lindern, sie soll aber als Tee wirksam für die Entgiftung des Körpers nach zu viel Alkoholkonsum sein. Auch die Engelwurz (auch Angelikawurzel genannt) kann eine Alkoholentgiftung lindern. Wer sich für die Echte Goldrute und für Engelwurz interessiert, fragt am besten in seiner Apotheke, wie man den Tee zubereitet.
Alles in allem sind Naturheilmittel zu empfehlen, wenn es darum geht, unterstützend etwas gegen die Alkoholsucht zu unternehmen. Eine zielführende Therapie ersetzen können sie freilich nicht.
Fotos: Thomas Frohnwieser (1), commons.wikimedia.org / U. S. Department of Agriculture / Peggy Greb (1), commons.wikimedia.org / Galen Parks Smith (Gsmith) (1), commons.wikimedia.org (4)