ANONYMEN ALKOHOLIKER SIND SEHR AKTIV –
ABER KEINER MERKT ES

Es war der Kampfruf der Kriegsgegner: Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin. Eine friedliche Welt. Man könnte den Spruch abwandeln in: Stell dir vor, die Anonymen Alkoholiker (AA) haben viel zu sagen, aber keiner kriegt’s mit! Das ist der Ist-Zustand der Öffentlichkeitsarbeit der Anonymen Alkoholiker in Österreich – im benachbarten Deutschland soll es nicht viel besser hergehen, hört man.
Im Prinzip regeln die zwölf Traditionen der AA den Kontakt nach außen. In der 5. Tradition heißt es etwa unmissverständlich: „Die Hauptaufgabe jeder Gruppe ist, unsere Botschaft an Alkoholiker zu bringen, die noch leiden.“ Und wie geht man das an? In der Praxis so: Man wartet ab, wer sich über die Notrufnummer telefonisch meldet. An manchen Abenden (zwei Stunden dauert der Telefondienst) meldet sich niemand, das war dann eben nix. An anderen kommen zwei bis drei Anrufe herein mit echt Hilfe suchenden. Aus den Fragen erkennt der Telefondienst dann unschwer, dass das Wissen über die Anonymen Alkoholiker gleich Null ist. Woher sollen die Ratsuchenden auch etwas wissen – die Homepage ist, verzeihen schon, mehr als renovierungsbedürftig. Kein Wort über die Gründerväter, kein Wort über die Art der Meetings, kein Wort über die großen Erfolge, die sich AA zweifellos an die Fahnen heften kann. Ein großer Prozentsatz derer, die regelmäßig kommen, bleibt trocken, ein Leben lang.
Artikel aus dem Jahr 1941
Es findet sich ein Artikel über die Anonymen Alkoholiker, der in voller Länge abgedruckt ist: Er stammt von einem gewissen Jack Alexander, ist erschienen in der Saturday Evening Post und stammt vom 1. März 1941! Kein Spaß, gut Ding währt ewig. Hingewiesen wird dann noch auf ein paar Artikel, die anlässlich des 50jährigen Bestehens der AA veröffentlicht wurden.
Ein paar Fragen bei Medienleuten von Presse, Funk und Fernsehen haben ergeben: Die geschätzten KollegInnen wissen nicht, dass AA in Gefängnissen, Spitälern und Suchtstationen mit Meetings vertreten ist. Manche/r sieht darin eine gute Geschichte. Warum dringt das nicht bis an die Ohren der verantwortlichen Journalisten?
Ganz einfach: Der Bereich Öffentlichkeitsarbeit ist ein zerstrittenes Stiefkind. Es gibt die „Silberrücken“, die einfach bestimmte Bereiche für sich okkupieren. In einem großen südösterreichischen Regionalbereich war das Amt des „Öffentlichkeitsarbeiters“ jahrelang unbesetzt. Mitglieder, die Medienerfahrung hatten beziehungsweise gute Kontakte zu Journalisten winkten sofort ab, als sich herausstellte, dass sie Handlangerdienste für nicht Medien erfahrene Meetingteilnehmer leisten hätten dürfen – siehe Silberrücken. Außerdem wurde jenen, die sich engagieren wollten, sofort „Mediengeilheit“ und persönliche Interessen vorgeworfen.
Kontaktpflege ist ein Minenfeld
In der 11. Tradition heißt es nämlich: „Unsere Beziehungen zur Öffentlichkeit stützen sich mehr auf Anziehung als auf Werbung. Gegenüber Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen ist stets unsere persönliche Anonymität zu wahren.“
Das ist ein weites Minenfeld. Im Medienwesen geht nichts ohne persönliche Kontakte. Die entstehen nicht bei einem Anruf bei den Tageszeitungen „der Standard“, „Kurier“ oder ORF oder wie sie alle heißen bei dem man sagt: „Guten Tag, ich heiße Susi, ich bin Alkoholikerin und ich habe eine tolle Story für Sie.“
So etwas landet, mit Verlaub, im Mistkübel des Vergessens. Da muss schön langsam eine Vertrauensbasis aufgebaut werden. Dann kann man – nach außen hin immer noch unter dem Siegel der Anonymität – Themen aufbauen. Viele Anonyme Alkoholiker gehen in Schulen und plaudern dort genau mit jener Generation, die das Komasaufen und das Vorglühen bei K.O.-Partys aus eigener Erfahrung kennt. Man kennt auch die Gefahren, dass Jugendliche leicht im Vollrausch dann noch mit neuen synthetischen Drogen experimentieren, kollabieren und erst in der Intensivstation wieder aufwachen. Solche Info-Veranstaltungen verlaufen in der Regel recht spannend, weil die jungen Leute ihren Alkoholkonsum nicht einschränken wollen, gehört ja zum Erwachsen werden. Zugleich aber Zerrissene sind, wenn sie hören, wohin das bei Alkoholikern im Endstadium führen kann – die Vortragenden sind lebende Beispiele.
Ein Thema für die Medien? Sicher sogar, versichern Redakteurinnen und Redakteure. Es ist nur eine Frage des Ausmachens, dass der oder die AA-Teilnehmerin nicht oder nur unkenntlich („gepixelt“) im Bild erscheint. Aber wer teilt’s den Medien mit? Die neuen Öffentlichkeitsarbeiter sind mit Kleinkram (im wahrsten Sinne des Wortes) überfordert und haben die Kontakte nicht. Die „Silberrücken“ wollen gebeten sein. Neigen zu zynischen Aussprüchen wie: „Na, wollen wir etwa berühmt werden?“
Ein AA-Mitglied (mit Medienerfahrung) beichtete in der „Kleinen Zeitung“ unter voller Wahrung seiner Anonymität sein verpfuschtes Leben. Die Reaktionen waren vielfältig, die Anfragen nach Meetings stiegen vorübergehend stark an.
Öffentlichkeitsarbeiter werden verschlissen
Es ist bezeichnend, dass Öffentlichkeitsarbeiter nach kurzer Zeit verschlissen werden. Man kann als Medienprofi nur schwer Ratschläge geben, weil die eingefahrenen Geleise kaum verlassen werden.
Schade, denn die Anonymen Alkoholiker leisten weltweit hervorragende Arbeit und es ist bedauerlich, dass im deutschsprachigen Raum das Echo so gering ist. Dabei gelten wir doch als Volk der Dichter und Denker. Zumindest der anonymen…

Ihr Werner Schneider