1. Lundbeck Presseforum Psychiatrie:
„Mit dem Stigma gehört aufgeräumt!“
von Harald Frohnwieser
Die Wiener Niederlassung des dänischen Pharmakonzerns Lundbeck, der vor allem auf Psychopharmaka spezialisiert ist, bat Journalisten, die im Gesundheitsbereich arbeiten, unter dem Motto „Was heißt psychisch krank?“ zum 1. Presseforum. Dabei ging es freilich nicht nur um Depressionen oder Angststörungen, die in den letzten Jahren stark zugenommen haben und auch weiter ansteigen werden, sondern auch um Alkoholismus.
Schon im Jahr 2015 wurde die Alkoholsucht nach den Depressionen, den Herzerkrankungen und Diabetes in den Industriestaaten an der 4. Stelle der am meisten verbreiteten Krankheiten gereiht. Und spätestens im Jahr 2030 wird laut einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Alkoholabhängigkeit bei den Männern die Liste der am meisten verbreiteten Krankheiten anführen.
Überhaupt sind psychische Erkrankungen stark im Kommen. Laut WHO-Prognose für 2030 für Industriestaaten wird die Unipolare Depressive Erkrankung an erster Stelle vor Kardiovaskulären stehen. An dritter Stelle werden Alzheimer und andere Formen der Demenz folgen. „Jeder Mensch ist ein Mal in seinem Leben psychisch krank“, betonte Prim. Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste Wien (PSD), in seinem Referat. Und machte sich vor allem dafür stark, mit der Stigmatisierung, die psychische Erkrankungen immer noch begleiten, aufzuräumen: „Es ist höchste Zeit, damit aufzuhören“, forderte Psota, der auch so manche Medien dafür verantwortlich macht, dass psychische Erkrankungen immer noch sehr negativ behaftet sind. Schlagzeilen über „Irre Machthaber“ - gemeint sind Diktatoren – tragen nicht dazu bei, eine psychische Erkrankung ganz einfach nur als Krankheit zu sehen. Auch Schlagzeilen wie „Irrer schießt auf Kinder“ tragen nicht dazu bei, mit diesem Thema seriös umzugehen.
Lincoln, Churchill, Liszt hatten Depressionen
Dabei stimmen diese von Boulevard-Zeitungen verwendeten Attribute meist gar nicht. Psota: „Alle großen Potentaten waren nicht im engeren Sinne psychisch krank.“ Umgekehrt aber litten oft große Männer der Geschichte an einer psychischen Erkrankung – US-Präsident Abraham Lincoln, der die Sklaverei in den USA abschaffte, Winston Churchill, der den Ausgang des 2. Weltkrieges massiv mitbestimmte oder der Komponist Franz Liszt waren zum Beispiel schwer depressiv. Und Ludwig van Beethoven, der in völliger Taubheit seine großartige 9. Symphonie schuf, war ein Alkoholiker, der letztlich an den Folgen seiner Sucht starb (siehe auch „Eine Ode an den Wein“).
„Die Unterscheidung zwischen physischer und psychische Erkrankung ist eine virtuelle“, ist sich Psota sicher. Und weiter: „Die Bedeutung psychischen Krankseins für den Einzelnen liegt in der Angst vor sozialen Folgen, Angst vor finanziellen Folgen und der Angst vor den existenziellen Folgen - die Summe aus den ersten beiden.“ Der Spezialist für Alterspsychiatrie weiter: „Psychische Erkrankungen haben folgende gemeinsame Merkmale: Die Entstehungsgeschichte ist individuell vielfältig und hängt von einer Reihe innerer sowie äußerer Faktoren und deren Interaktion ab: Das Auftreten kann schleichend oder akut sein, der Verlauf episodisch, rezidivierend oder auch chronisch. Der Schweregrad ist leicht, mittel bis schwer. Psychische Erkrankungen sind relativ häufig, können alle Lebensalter betreffen und haben in den beiden Geschlechtern gewisse Betonungen. Psychische Erkrankungen sind sehr unterschiedlich, keine homogene Gruppe und haben vielfältige Auswirkungen. Das alles unterscheidet psychische Erkrankungen überhaupt nicht von den sogenannten ‚körperlichen‘ Erkrankungen.“
Stigma als zweite Erkrankung
Warum dann aber diese Vorurteile? Dazu Georg Psota: „Mit dieser irreführenden Unterscheidung eng verbunden ist ein seltsamer Makel, der dem Begriff ‚psychisch krank‘ anhängt, eine Reihe von Antizipationen und wenig Wissen über Fakten, eine der Differenzierung entgegengesetzte Verallgemeinerung und auch eine abwertende Sprache über Betroffene, Angehörige und auch professionelle Helfer.“ Und – wie schon erwähnt – zumindest teilweise auch eine dementsprechende Berichterstattung.“
„Einem Menschen, der an einer Depression leidet, kann man nicht sagen, er soll sich ein wenig zusammenreißen, dann wird es schon wieder. Das sind Vorurteile“, betonte Univ.-Prof. Gabriele Sachs, in ihrem Vortrag. Und weiter: „Eine derartige Stigmatisierung ist eine zweite Erkrankung.“ Vielleicht ist dies mit ein Grund, warum vom Arzt verordnete Psychopharmaka von vielen Patienten oft verweigert werden, denn: „Mehr als 50 Prozent der verschriebenen Medikamente werden nicht eingenommen“, so Gabriele Sachs.
Gegen die Alkoholsucht gibt es bis jetzt freilich noch keine Tabletten. Die Stationen dieser Krankheit, an der rund 350.000 Menschen in Österreich leiden – weiter 750.000 gelten als stark gefährdet – umreißt die Ärztin wie folgt:
- Verlangen nach Alkohol
- Kontrollverlust
- Weitertrinken trotz körperlichen und sozialen Schäden
- körperliche Entzugssymptome
- Toleranzentwicklung (es muss immer mehr sein)
- Einengen auf das Thema Alkohol
Warum aber wird ein Mensch süchtig? Dazu Gabriele Sachs: „Das Gehirn eines Menschen hat 100 Milliarden Nervenzellen. Wenn gewisse Verbindungen aktiviert werden, dann kann es zu einer Suchterkrankung kommen.“
Aber was bedeutet psychisch krank? „Damit bezeichnet man eine grundlegende Veränderung des Denkens, Fühlens und Wollens eines Menschen, welche in der Regel von der Umgebung und vom Individuum selbst als sozial einschränkend empfunden wird“, so Sachs. Und warum sind psychische Erkrankungen so stark im Kommen? Gabriele Sachs: „durch die steigende Lebenserwartungen leben viele Menschen heute mit diesen Erkrankungen länger.“
Wirtschaftliche Folgen
Auch der Sozialmediziner von der MedUni Wien, Bernhard Schwarz, kann diesen Trend erkennen. „Psychische Erkrankungen gehören in Europa zu den am häufigsten auftretenden Diagnosen“, sagte er in seinem Referat und dachte dabei auch über die Kosten, die die Gesellschaft dafür tragen muss, nach: „Psychiatrische Leiden sind ein wesentlicher Grund für die Invaliditätspension. Besonders bedeutend sind in diesem Zusammenhang affektive Erkrankungen, zu denen auch die Depression gehört mit zehn bis 20 Prozent, Angsterkrankungen mit 14 bis 25 Prozent, Anpassungsstörungen einschließlich dem sogenannten Burnout mit 20 bis 50 Prozent und Suchterkrankungen mit einer Häufigkeit von 15 bis 27 Prozent.“
Das das Interesse an psychischen Erkrankungen groß war, bewiesen die mehr als 30 Journalisten, die zum 1. Lundbeck Presseforum kamen.
Fotos: Urban & Schenk medical media consulting (2) Logo: Lundbeck (1)