Mit kleinen Pillen und Wein werden tödliche Cocktails gemixt
Alkohol und Medikamente – gute Nacht…

von Werner Schneider

Man sieht die „Drogenkarriere“ zu klischeehaft: Erst Alkohol und Zigaretten, dann Haschisch, dann die „harten“ Sachen. Drogenspezialist Mag. Dr. Martin Riesenhuber macht darauf aufmerksam, dass der Griff zur Pille als Problemlöser schon im Kindesalter ansetzt. PädagogInnen wissen: Gegen das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) hilft Ritalin, das schon im Volksschulalter verabreicht wird. So fängt’s an. Und „Mother‘s little helper“, ein Titel mit dem die Rolling Stones die allgegenwärtigen Pillen für alles und jedes besangen (bis zum bitteren Ende: „…to her dying day…“) begleiten auch viele Alkoholkranke. Die Entzugsprobleme sind dramatisch.

Dr. Martin Riesenhuber„Alk-Info“: Herr Dr. Riesenhuber, laut Wikipedia sind Alkohol und Nikotin immer noch die Einstiegsdrogen Nummer 1, können Sie das bestätigen?
Dr. Martin Riesenhuber: Na ja, ich kann bestätigen, dass die legalen Substanzen grundsätzlich die Einstiegsdrogen sind, aber ein bekannter Soziologe in Deutschland, Klaus Hurrelmann, hat treffenderweise behauptet, die ersten Substanzen, mit denen Menschen in Berührung kommen, sind Medikamente. Also ich denke, da liegt er nicht ganz unrichtig. Wenn man nun Medikamente als Einstiegsdroge hernimmt, könnte es dann nicht so sein, dass die jungen Menschen immer behutsamer aufwachsen und immer weniger Frustrationen ausgesetzt sind und nicht mehr lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen? Oder anders gesagt: Es gibt für alles ein schnelles Heilmittel. Das können das Computerspiel sein, der Fernseher oder die Notfalltropfen. Also ich denke, man kann das viel breiter betrachten. Aber natürlich liegen in einer Rangliste Nikotin bzw. Zigaretten relativ an erster Stelle.

Früher haben das Drogenfahnder so auseinander gehalten: Der ländlichen Raum steht für die Gefahr für Alkoholabhängigkeit, der urbane Raum ist der Gefahrenort für alle anderen Drogen von Cannabisprodukten bis hin zu Heroin. Ist das immer noch richtig oder hat sich da etwas geändert?
Da hat sich sicher etwas gewandelt, ich denke es ist überall alles zu erhalten. Und wir müssen natürlich sagen, wenn wir die Zahlen betrachten auf Substanzebene, dann ist neben Zigaretten bzw. Tabak der Alkohol weit vorne, ob im ländlichen oder urbanen Raum.

Das heißt, wenn man Alkohol konsumiert, dann ist die Hemmschwelle, auf andere Drogen umzusteigen, wesentlich niedriger?
Es gibt Studien, die besagen, wenn man sehr früh beginnt zu konsumieren, also im frühen Jugendalter oder im Übergang Kind – Jugendlicher, zum Beispiel Alkohol und/oder Tabak, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit bzw. ist man eher gefährdet auch auf andere Substanzen überzugehen.

Wie ist das Suchtbewusstsein bei Alkoholabhängigen oder bei Konsumenten anderer Drogen?
Das ist eine ganz schwierige Frage, ich glaube, dass dieses Bewusstsein beim Menschen erst beginnt aufzutauchen, wenn er eine gewisse Bereitschaft hat, sein Verhalten oder seinen Konsum zu reflektieren. Vorher bemühen sich die Menschen es so gut wie möglich zu verbergen oder zu verheimlichen, weil sie auf der einen Seite bemerken ‚aha, da passiert etwas mit mir und das passt nicht‘, sie bemerken aber auch, dass das nicht so besonders attraktiv ist Alkoholiker zu sein in unserer Gesellschaft. Wenn man jetzt den Alkohol hernimmt, dann ist es nicht so einfach einzugestehen, dass man ein Problem hat mit einer Substanz, die allgegenwärtig ist, die 24 Stunden verfügbar ist und die sozusagen gesellschaftlich sehr gut positioniert ist. Geschäftsabschlüsse und Feierlichkeiten ohne Alkohol sind ja in Österreich nicht denkbar. Welcher Mensch möchte sich gerne aus dieser gesellschaftlichen Ebene herausnehmen? Wenn man jetzt erkennt, dass man alkoholkrank ist, dann hat man nicht nur die Schwierigkeit, dass man oft mit nicht allzu viel Verständnis betrachtet wird, denn es gibt viele Gegenüber, die sich schwer tun, wenn ihnen quasi ein Spiegel vorgehalten wird, der zeigt, dass sie für sich auch etwas tun sollten.

Ist es nicht auch so, dass bei härteren Drogen der psychische und physische Verfall schneller deutlich wird als beim Alkoholproblem?Alkohol und Medikamente
Natürlich, grundsätzlich ist es immer das Zusammenspiel mit der Person, weil wir ja nicht sagen können, dass die Verläufe immer gleich sind trotz gleicher Substanz, es sind schon individuelle Faktoren auch, die eine Rolle spielen, aber man muss zugeben dass der Alkohol einen sehr lange im Glauben lässt, dass man noch mitspielt, dass man an der Oberfläche bleibt. Aber wenn’s dann ernst wird, dann geht’s auch beim Alkohol sehr schnell. Grundsätzlich ist das aber eine Entwicklung oft über mehrere Jahrzehnte. Man muss schon sagen, wenn heute Alkohol erfunden würde als Substanz, wäre sie sicher schnell verboten als illegale Substanz, weil sie mindestens so gefährlich ist wie Heroin zum Beispiel, der Entzug ist sogar noch gefährlicher im Vergleich zu Heroin. Dieser ist aber auch bei den Bezodiazepinen, wie zum Beispiel Rohypnol® oder Valium® sehr kritisch. Das sind sicher die drei Substanzgruppen, die mit der möglichen schweren körperlichen Suchtentwicklung ein gewisses Gefahrenpotential mehr in sich tragen als andere Substanzen. Trotzdem glaube ich, dass die psychische Abhängigkeit gesellschaftlich oft unterschätzt wird. Dass Menschen scheitern, abstinent zu werden oder abstinent zu bleiben oder trocken oder clean, wie immer Sie das nennen wollen, liegt oft nicht am Körperlichen sondern am Psychischen. Darum braucht es auch sehr viel Zeit und das unterschätzen die Menschen oft. Aber die, die das bemerken, die schaffen es dann tatsächlich trocken oder clean zu bleiben, weil sie beginnen, an sich oder mit sich oder für sich zu arbeiten.

Wenn man die Modebegriffe Komasaufen oder Vorglühen hernimmt – dann die naheliegende Frage: Wie gefährdet ist die Jugend, setzt der Alkoholkonsum immer früher ein?
Also es ist schon so, dass wir von dieser Vorverlegung auch berichten können, dass Studien das Erstkonsumalter ebenfalls vorverlegt wissen im Gegensatz zu einer Generation vorher. Auch das Konsumverhalten ist anders. Jene, die konsumieren, konsumieren heftiger. Aber von der Zahl her, dass jetzt mehr Menschen abhängig oder süchtig werden, das lässt sich nicht bestätigen. Aber Sie haben recht, mit dem Komasaufen und dem Vorglühen entdecken wir auch, dass der Vollrausch das Ziel ist und diese Zwischenfälle auch häufiger im Krankenhaus landen, das lässt sich mit Zahlen bestätigen.

Wie schaut es aus mit der Zahl der Mehrfachsüchtigen?
Das ist eine spannende Frage. Auch wenn eine große Gruppe der Substanzen im illegalen Bereich ist, ist die Verfügbarkeit stark verbessert. Das heißt für mich, wenn etwas verfügbarer ist, dann wird es auch vermehrt konsumiert. Das heißt weiter, dass dieser Mischkonsum immer bedeutender wird, wobei es auf der legalen Ebene mit Rohypnol® und Alkohol einen klassischen Mischkonsum gibt, den es immer schon gegeben hat, von der ‚Wiener Mischung‘ wurde früher dabei gesprochen, das ist eine ziemlich kritische und gefährliche Mischung, eine, die nicht wirklich handlebar ist, die jederzeit ins Auge gehen kann. Dieser polytoxikomane Konsum ist sicher kritisch und lebensgefährlich.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Mehrfachsüchtige?
Die Behandlungsmöglichkeiten bleiben ja die gleichen. Die Suchthilfe ist unterschiedlich aufgebaut, es gibt den ambulanten und den stationären Bereich und bei der Polytoxikomanie, die wir zuletzt genannt haben, kann es nur mit einem stationären Entzug beginnen und einer Neuorientierung, wie De La Tour (Entzugskrankenhaus in Kärnten, Anm.) sie mit einer Acht-Wochen-Therapie ermöglicht (siehe auch „Runter vom Gas und stopp!“). Ich glaube, dass das auch notwendig ist, weil der Benzodiazepin-Entzug länger dauert als der Alkoholentzug. Der Alkoholentzug ist nach einigen Tagen auf körperlicher Ebene erledigt. Aber er ist lebensgefährlich, das muss man wissen, das ist ganz wichtig, und muss daher klinisch versorgt werden. Die Benzodiazepin-Abhängigkeit ist eine sehr große, da kann es bis zu fünf Wochen nach der letzten Einnahme noch zu epileptischen Anfällen kommen. Dann ist zu einer Nachsorge bei einer ambulanten Therapie, in einer ambulanten Suchthilfeeinrichtung oder bei einem freien Therapeuten oder einer Selbsthilfegruppe anzuraten.

Haben wir in Österreich genug stationäre Möglichkeiten, um alkoholkranke aufzunehmen? Die Schweiz gilt hier eher als Vorbild.
Ich kenne jetzt die Zahlen der Schweiz nicht genau, aber die Schweiz gilt in der Suchthilfe allgemein als Vorbild. Generell ist das eine Frage, die schwer zu beantworten ist, aber wenn wir die Wartezeiten bei de La Tour betrachten, dann spricht das eher dafür, dass zu wenig Möglichkeiten zur Verfügung stehen und wir wissen natürlich auch, dass die Suchterkrankung eine gemeine Erkrankung ist. Wenn ich heute plötzlich den Entschluss fasse, ‚ich muss etwas tun‘ und ich bekomme in dieser Phase nicht die notwendige Unterstützung, dann kann diese Idee aber relativ schnell wieder abtauchen und die Konsumphase geht weiter. Weil das Aufhören mit einer Angstphase verbunden ist. Wenn dann lange nichts passiert wird die Angst größer, dann werden die Menschen mutlos und geben dem Druck wieder nach. Eine Wartezeitverkürzung wäre nur möglich, wenn wir mehr Entzugsbetten zur Verfügung hätten.

Wie steht die Steiermark im Vergleich zu anderen Bundesländern bei der Suchtbehandlung da? Gibt es einen Primus in Österreich oder sind alle Bundeländer einander ähnlich?
Natürlich ist Kalksburg (siehe auch „Die Individualität des Einzelnen ist uns sehr wichtig!“) die traditionelle Einrichtung mit europäischem Ruf…

Drogenberatung Steiermark…aber Kalksburg ist von Sparmaßnahmen betroffen und musste die ambulante Betreuung für jene schließen, die nicht für eine stationäre Therapie bereit sind…
…aber auch unsere Versorgungseinrichtungen sind unter diesen Sparmaßnahmen zu betrachten und auch hier gilt es aus politischer Sicht abzubauen. Dieser Prozess macht nirgends halt. Ich denke schon, dass es grundsätzlich für die Versorgung schwierig wird.

Ist das volkswirtschaftlich vertretbar?
Wenn man das längerfristig betrachtet und weiß, dass Alkoholismus, also diese Erkrankung eines Menschen auf allen Ebenen Schwierigkeiten verursacht, ob’s jetzt in der Familie ist, ob’s am Arbeitsplatz ist oder gesamtgesellschaftlich betrachtet, muss man fragen: Wer kann da Interesse haben, dass man mit einem Umstand, den man kennt und der nachweislich Schaden bringt, dermaßen stiefmütterlich umgeht?

Mag. Dr. phil. Martin Riesenhuber, 45, ist Sozialpädagoge sowie Lebens- und Sozialberater, er hat eine eigene Ausbildung zum Suchtberater absolviert und ist derzeit bei der Drogenberatung des Landes Steiermark beschäftigt (www.drogenberatung.steiermark.at).

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