Nikotin und Alkohol: Das unterschätzte Killerpaar
Das Rauchen senkt den Blutalkoholspiegel
von Werner Schneider
Österreich als Paradies der Raucher führt’s dem Rest der Welt vor, wie es geht: Man geht in ein Lokal, bestellt ein Bier und zündet sich eine Zigarette an. Weil es erlaubt ist – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern, wo absolutes Rauchverbot in Lokalen herrscht. Dabei ist die Kombination von Nikotin (samt sämtlicher anderer Rauchinhaltsstoffe) und Alkohol fatal. So viele Toxine verkraftet der Körper nicht. Und nun hat man auch noch in Texas herausgefunden, dass das Rauchen den Blutalkoholspiegel senkt. Womit erklärt wird, warum so viele Raucher mehr trinken als andere Mitbürger.
Mehr als 90 Prozent der Alkoholkonsumenten sind sogenannten Wirkungstrinker. Es geht nicht nur um den Geschmack, man will auch „etwas spüren“. Zumeist wird getrunken, um die Laune zu heben, man will lustig sein, geselliger, man will den Arbeitstag vergessen – abstressen, chillen – und bei fortgeschrittenen TrinkerInnen kommt dazu, dass man berauscht sein will. Susan E. Maier vom Institut für Anatomie an der Universität Texas formuliert es so: „Wir wissen, dass Menschen, die Alkohol missbräuchlich verwenden, trinken, um zu einem bestimmten ‚Effekt‘ zu kommen.“ Und selbst solche Personen, die wenig bis kaum rauchen, greifen zur Zigarette, wenn sie ein Glas in Reichweite haben. Je mehr geraucht wird, desto mehr wird getrunken und umgekehrt.
Der US-Wissenschaftler Wie-Jung A. Chen hat am Health Science Center an der Universität von Texas Tests mit Ratten durchgeführt und ist zu der überraschenden Erkenntnis gelangt, dass Nikotin den Alkohol schneller abbaut. Alkohol wird ab dem Moment, wo ihn die Magenschleimhäute aufgenommen haben, vom Körper abgebaut. Eine unbedeutende Menge wird durch die Lunge ausgeatmet, eine weitere winzige Menge wird ausgeschwitzt, der Rest nimmt seinen unheilvollen Gang über Leber, Nieren usw.
Sich nüchtern rauchen geht nicht
Der Neurobiologe stellte nun fest, dass jene Ratten, die Tabakrauch ausgesetzt waren, öfter zu dem Schälchen mit dem Alkohol tendierten. Das Nikotin verringerte die Konzentration des Blutalkohols ohne das giftige Abbauprodukt Acetaldehyd (es greift Leber, Gehirn und Herz an) zu verringern.
Man kann sich also nicht nüchtern rauchen.
Aber man kann sich beide Gifte im Übermaß zuführen.
Im Tabakrauch finden sich neben Nikotin und Teerstoffen noch Kohlenmonoxide und über tausend weitere chemische Substanzen. Die krebserregenden Wirkungen des Rauchens sind unbestritten. Es ist nicht nur der oft vorkommende Lungenkrebs, auch das Blasenkarzinom wird bei Männern meist durch Tabakmissbrauch hervorgerufen. Die Wirkung auf Gefäße ist geradezu verheerend. Der von rauchenden Trinkern gerne im Mund geführte Spruch: „Rauchen ist Gefäß verengend und das Trinken ist Gefäß erweiternd, also hebt sich die Wirkung auf“, ist blanker Nonsens. Das Rauchen „verengt“ die Gefäße, indem es Ablagerungen bildet, sogenannte Verkalkungen, die der Alkohol nicht einfach wegschwemmen kann.
Der „Spiegel“, das renommierte deutsche Magazin, titelte: „Die verheerenden Folgen von Alkohol und Tabak“. Und die gründlichen Deutschen warteten gleich mit Statistiken auf: Demnach trank jeder Deutsche im Jahr 2013 im Schnitt 9,5 Liter reinen Alkohol, das entspricht einer Tagesmenge von 20,5 Gramm. Um die Sache zu versinnbildlichen: Das sind 105,5 Liter Bier oder 20,4 Liter Wein oder 5,4 Liter Spirituosen. Rechnet man Nichttrinker und Kinder weg, kommt eine schöne pro Kopf Menge zusammen. Das heißt, bei unseren Nachbarn sind 1,8 Millionen Menschen alkoholabhängig und etwa zehn Millionen haben ein problematisches Trinkverhalten. Deutschland liegt, so das aktuelle „Jahrbuch Sucht“, damit an 5. Stelle der 34 Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Lapidar wird vermerkt, dass nur in Luxemburg, Frankreich, Österreich und Estland noch mehr gesüffelt wird. Die Zahlen bei Rauchern sind rückläufig, doch ebenfalls noch bedenklich. Hier schlägt Österreich die anderen Mitgliedstaaten deutlich.
Es gibt in Österreich keine aktuellen Statistiken darüber, wie viele Menschen durch das Zusammenwirken von Nikotin und Alkohol erkranken oder sterben. Fakt ist aber, dass Menschen mit Alkoholmissbrauch in der Regel auch überdurchschnittlich viel rauchen.
Raucher trinken mehr Alkohol
Bei den Anonymen Alkoholikern gibt es auch Rauchermeetings. Dort zeigt sich, dass Alkoholiker zwar oft schon 20 Jahre trocken sind, nicht aber von der Zigarette lassen können. Die Grundregel bei den Anonymen Alkoholikern lautet: Rühre 24 Stunden kein Glas an – und wenn dir der Zeitraum zu lange erscheint, dann lass‘ das nächste Glas stehen. Das hat vielen zur Trockenheit verholfen. Aber die nächste Zigarette nicht anzurühren gelingt offenbar nicht. Wie schwer muss es dann erst trinkenden Rauchern fallen.
Die texanischen Wissenschaftler kamen zu dem Schluss: „Raucher stürzen sich in einen höheren Alkoholkonsum, weil die Rauchinhaltsstoffe eben den Blutalkoholspiegel verringern und sie damit nicht sofort auf die erwünschte Wirkung des Alkohols kommen. Auf der anderen Seite führt das aber gerade für Leber, Herz und andere Organe zu einer umso höheren toxischen Belastung.“
Alkohol und Nikotin stimulieren Belohnungssystem
Es gibt noch eine weitere Erklärung dafür, warum Raucher mehr trinken und Trinker mehr rauchen. Marina Picciotto, Psychologieprofessorin in Yale (USA) erklärt, dass Alkohol und Nikotin das Belohnungssystem im Gehirn aktivieren und stimulieren. Sie besetzen die gleichen Rezeptoren. Wenn man also den einen Stoff zu sich nimmt, kurbelt der die Lust an, auch den anderen zu sich zu nehmen.
Unweigerlich haben trinkende Raucher am nächsten Morgen den größeren Brummschädel. Denn es ist für den Körper Schwerstarbeit, diese Menge an Toxinen wieder abzubauen. Marina Picciotto, spezialisiert auf die Auswirkungen von Nikotin aufs menschliche Gehirn, hält auch eine ganz simple Theorie sozialer Art für ausschlaggebend: „Gelegenheitsraucher greifen nach einiger Zeit in der Kneipe deshalb zur Zigarette, einfach weil sie sich daran erinnern, wie angenehme das letzte Mal war, als sie mit Freunden unterwegs waren: Wenn man raucht stärkt man die Beziehung zwischen der Zigarette in der Hand, den Freunden mit denen man trinkt und den Drink an sich.“ Das wiederholt sich regelmäßig: „Das nächste Mal an der Bar und schon hat man Lust auf den Stängel“, so die Psychologin. Da haben die Glückshormone dann Hochsaison.
Foto: Thomas Frohnwieser (1)