Alkoholgeschädigt in der Schwangerschaft
„Das Schützenfest ist ins Gesicht geschrieben…“

von Dr. Martha Flaschka

Während der Schwangerschaft und in der Stillzeit ist werdenden Eltern oft nicht klar, dass schon kleine Mengen Alkohol in jedem Stadium einer Schwangerschaft gesundheitliche Risiken für das Ungeborene mit sich bringen können und bereits ein Glas seine körperliche und geistige Entwicklung gefährden kann. Klar, Alkohol ist ein Genussmittel und fester Bestandteil von Festen, Partys und geselligen Zusammenkünften, „angestoßen“ wird zu vielen Anlässen. Aber in der Schwangerschaft gelten die „üblichen Grenzwerte“ nicht, denn es gibt keinen risikoarmen Genuss. Das Resultat ist eine fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD) von Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben. Die Folgen für diese Kinder sind fatal und irreparabel.

Das erstes diagnostiziertes deutsches FAS-Kind, Tamara W., geb. 17.12.1973 (Foto vom 10 Lebenstag). Arzt Recherchen ergaben häufigen Konsum von Kräuterlikör während der Schwangerschaft.Da das Baby durch die Nabelschnur versorgt wird, hat das Kind innerhalb weniger Minuten denselben Alkoholspiegel wie die Mutter. Nur dauert der Abbau beim Ungeborenen erheblich länger, er ist nämlich bis zu zehn mal langsamer. Denn die Leber des Kindes ist noch unvollständig entwickelt und hat damit länger Zeit, einen höheren Blutalkoholspiegel als die werdende Mutter. So ist es auch zu erklären, dass in Polen eine Schwangere mit 1,8 Promille zur Entbindung ins Krankenhaus kam, das Neugeborene 3,5 Promille Alkohol im Blut hatte.
Ärzte empfehlen mittlerweile bei einem Kinderwunsch sogar, auch in der Zeugungsphase abstinent zu bleiben, denn das Risiko einer späteren Fehlgeburt ist durch Trinken erhöht.
In der Frühphase, also in der ersten bis zum dritten Schwangerschaftsmonat, besteht die größte Gefahr für körperliche Fehlbildungen, da die Zellteilung und -vermehrung ungünstig beeinflusst wird. Die Entwicklung des Gehirns ist dabei besonders anfällig.
Im vierten bis zum sechsten Monat wächst das Risiko einer Fehlgeburt und im letzten Drittel der Gravidität, im siebenten bis zum neunten Monat, wird das Wachstum des Kindes deutlich gestört. Unter Alkoholeinfluss vernetzen sich die Nervenzellen im Gehirn nicht miteinander oder sterben ab.
Die schwerste Form der Schädigung von Kindern durch Alkohol während der Schwangerschaft wird als „Fetales Alkoholsyndrom oder Fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD: Fetal Alcohol Spectrum Disorder) bezeichnet“.
Die Schäden sind enorm
In den letzten Jahren machen Fachärzte vermehrt auf diese spezielle Erkrankung aufmerksam. Die davon betroffenen Kinder zeigen körperliche Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Typisch dafür sind ein geringes Geburtsgewicht, Minderwuchs (auch nur auf einzelne Glieder der Extremitäten möglich), Skelettfehlbildungen, körperliche Missbildungen innerer Organe wie Nierenschäden und Herzfehler, sichtbare Verformungen im Gesicht, Augenfehlbildungen, sowie eine toxische Gehirnschädigung im Zentralen Nervensystem. Daraus resultierend: Konzentrationsschwäche, Lernprobleme und verminderte Intelligenz, zusätzlich Verhaltensauffälligkeiten wie erhöhte Reizbarkeit und Ruhelosigkeit und geringer Saugreflex als Baby.
Prof. Hermann Löser, der sich als Wissenschaftler und Autor intensiv mit dem Thema „Alkohol während derMinderwuchs-Symptom, Bsp. verkürztes Fingerendglied Schwangerschaft“ beschäftigt hat, macht mit einem drastischen Vergleich auf die körperlichen Schäden aufmerksam: „Manch einem Kind ist das Schützenfest des Dorfes ins Gesicht geschrieben.“
Im Verlauf der Kindheit zeigen sich noch motorische Fehlentwicklungen und -verzögerungen. Diese Schäden sind biologisch irreparabel. Auch als Erwachsener ist die fetale Schädigung nie vorbei. Viele sind ihr ganzes Leben auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen.
FASD ist die häufigste Behinderung die zu 100 % vermeidbar ist
Für eine EU-weite Studie wurden Daten u. a. in Deutschland erhoben. 20 % der Schwangeren gaben an moderat zu trinken, 8 Prozent riskant zum Beispiel Binge-drinking (Rauschtrinken), 12 Prozent seltener als ein mal im Monat, 4 Prozent jeden Monat und 0,1 Prozent tranken regelmäßig jede Woche Alkohol. Jedes Jahr kommen in Deutschland ca. 4000 (Dunkelziffer zwischen 10.000 und 15.000) Babys auf die Welt, die dauerhaft geschädigt sind. In Italien sind 1 bis 2 Prozent aller Schulkinder vom FASD betroffen.
In Österreich sind es derzeit insgesamt 86.000 Menschen bei einer Bevölkerungszahl von 8,6 Mio Einwohnern. Statistisch gesehen sind dabei Pflege- und Adoptivkinder am häufigsten vertreten.
Viele Faktoren können Alkoholkonsum begünstigen
Die Risikofaktoren für Frauen, während ihrer Schwangerschaft Alkohol zu trinken, sind vielfältig. Vor allem, wenn sie sehr früh, zum Beispiel ab einem Alter von 12 Jahren, mit dem Konsum von Alkohol begonnen haben, wenn sie schon vor der Schwangerschaft regelmäßig Alkohol tranken oder wegen ihres Alkoholkonsums in Behandlung waren, wenn der Partner regelmäßig Alkohol trinkt, wenn sie vor ihrem 27 Lebensjahr mit dem binge-drinking begonnen haben, wenn sie älter als 30 Jahre sind oder unter psychischen Störungen und Depressionen leiden. Hinzu kommen illegaler Drogenkonsum, körperliche, seelische oder sexuelle Misshandlungen und ein geringer Status in der Gesellschaft sowie eine ungeplante Schwangerschaft. Diese Faktoren können bewirken, dass eine schwangere Frau zum Alkohol greift.
Schwere körperliche und psychische Folgen
Was für die betroffenen Kinder, die ja Ihrer Behinderung nicht verursachten, besonders belastet sein muss ist der Umstand, dass sich allein schon in ihrem Gesicht der Alkoholmissbrauch der Mutter abzeichnet. So bestehen die Auffälligkeiten in tief sitzenden, nach hinten rotierenden Ohren, einem fliehenden Kinn, vorstehenden Nasenlöchern („Steckdosennase“), einer etwas vorgewölbten Stirn, eventuell leichtem Schielen,Schädel- und Gesichtsveränderungen bei Fetalem Alkoholsyndrom (FASD) einem verkürzten Nasenrücken, herabhängenden Augenlidern, enge Lidspalten, einem fehlenden Schwung der Oberlippe, die abgeflachte Rinne von Nase zu Oberlippe und ein schmales Lippenrot, meist jenes der Oberlippe.
Kinder und Jugendliche mit FASD zeigen ein stark herausfordernde Verhalten wie Hyperaktivität (Zappeligkeit), Aufmerksamkeitsstörung (geringe Konzentrationsfähigkeit), Impulsivität wie unvorhersehbares Verhalten, Erregbarkeit/Irritierbarkeit, niedrige Frustrationstoleranz, Wutanfälle etc.), emotionale Störung (geringes Selbstwertgefühl), unsoziales Verhalten (Ungehorsam, Lügen) und schlechte Lernleistungen.
Symptome wie bei ADHS
Sie haben ähnliche mangelnde Aufmerksamkeitsfähigkeit und Verhaltensprobleme wie jene mit einem Aufmerksamkeitsdefizit (ADHS): Daher sind auch für sie diese Erziehungs- und Behandlungsstrategien sinnvoll. Die Symptome treten jedoch früher auf und die Aufmerksamkeitsstörungen sind ausgeprägter.
Die Wahrscheinlichkeit auch eine Sucht zu entwickeln liegt bei den Kindern und Jugendlichen mit FASD bei 20 – 30 %, in der Durchschnittsbevölkerung liegt dieser Wert bei fünf Prozent.

Mögliche Gründe dafür können sein:

* Gewöhnung an Alkohol im Mutterleib – eine erbliche Vorbelastung

* Aufwachsen in einer alkoholbelasteten Familie – Nachahmung

* Verleitbarkeit – Naivität

Schulschwierigkeiten erfordern bei 40 % der betroffenen Kinder in Deutschland den Besuch einer sonderpädagogischen Einrichtung:

Die Kinder

- können nicht Verallgemeinern (Generalisieren)

- Gleiches und Unterschiedliches erkennen (Differenzierung)

- Gelerntes Behalten und Abrufen

- Handlungsabfolgen benennen (Antizipieren)

- haben ein geringes Verständnis für Abstraktionen (Zeit, Geld)

- und können soziale Zusammenhänge nur eingeschränkt nachvollziehen

- 38 % können zumindest die Grundschule besuchen und nur 13 % eine weiterführende Schule

- Berufliche Probleme und Probleme im Umgang mit Ämtern und Behörden

- Unbekanntes verunsichert stark, die Reaktionen sind unangemessen

- Wahrnehmungsprobleme

- Kein Zeitgefühl für Termine

- Belehrungen werden schwer verstanden

- Beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis, Wichtiges muss mehrmals wiederholt werden

- Permanentes Zuspätkommen

Eine Studie aus den USA zeigt, dass nur 13 % von ihnen einmal einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt bekamen. Die restlichen Klienten waren nicht vermittelbar. Die meisten, nämlich 61 Prozent, haben die Schule abgebrochen.
Probleme im Jugend- und Erwachsenenalter
Im Jugend- und Erwachsenenalter greifen nicht wenige solcher Kinder zu illegalen Drogen. Das Durchschnittsalter beim ersten Alkohol- und Drogenkonsum erfolgte in einem Alter von 13,4 Jahre, 52 % wurden Opfer von körperlichen und sexuellen Misshandlungen. Bei 35 % der Betroffenen war das Durchschnittsalter beim inadäquaten Sexualverhalten 9,6 Jahre.
Ein Teil der Kinder mit FASD entwickelt mit zunehmenden Alter kriminelle Energien. Kleinere Diebstähle innerhalb der Familie sind anfangs als geringfügig anzusehen, werden aber im Jugendalter zu schwerwiegenderen Delikten. Es hat sich gezeigt, dass die Strafverfolgung keinen Einfluss auf die Veränderung des Täterverhaltens hat, wenn durch FASD bestimmte Regionen im Gehirn dauerhaft geschädigt sind. Auffällig sind die Unbelehrbarkeit und Erziehungsresistenz, die professionelle Helfer verzweifeln lassen. Oft wird vom Gerichtsgutachter für die Unterbringung mit einer medikamentösen und verhaltenstherapeutischen Behandlung plädiert. Das Durchschnittsalter der Kinder die mit dem Gesetz in Konflikt kamen war 12,8 Jahre. Statistisch gesehen sind in den Kliniken und Haftanstalten bis zu 50 % der Insassen mit der Diagnose FASD. Ebenso sind es nach einer Untersuchung in Deutschland 80% der Obdachlosen.

Es gibt aber auch positive Entwicklungstendenzen für die Betroffenen, die zu erwähnen sind:

- wenn die Diagnose früh gestellt wurde

- eine gewaltfreie Erziehung stattfindet

- ein stabiles Umfeld geschaffen wird

- und eine defizitorientierte Förderung stattfindet wie das Erlernen von Alltagsfunktionen.

Weiters sollten Überforderungen vermieden, dafür aber kleine, positive Ziele gesetzt werden, die im Alltag unumgänglich sind. Doch jede werdende Mutter hat es selbst in der Hand, an ihr ungeborenes Kind zu denken und die sicherste Methode anzuwenden um FASD zu verhindern. Daher: Kein Alkohol in der Schwangerschaft und Stillzeit!

Infos: www.fasd-deutschland.de / www.ev-sonnenhof.de / www.fas-spohr.de / www.fetales-alkoholsyndrom.de / www.mein-kind-will-keinen-alkohol.de / www.mein-kind-will-keinen-alkohol.at

Fotos: fetales-alkoholsyndrom.de (2) Grafik: fasd-deutschland.de (1)

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