Vivid berät Eltern und Pädagogen
Wenn der erste Rausch nach Hause geschleppt wird
von Werner Schneider
Zwischen dem Kind-sein und dem Erwachsen-werden liegt jene Periode, die man Pubertät nennt. Bei den einen fängt sie früher an, bei den anderen später und sie dauert auch unterschiedlich lange. Tatsache ist, dass sich hinter den gängigen Begriffen „aufmüpfig“ und „zickig“ ein relativ komplexer Ablauf in den Heranwachsenden abspielt.
* Der Loslösungsprozess von den Eltern ist im vollen Gang.
* Sie müssen ihr körperliches Erscheinungsbild akzeptieren und mit der Entwicklung ihrer Sexualität klar kommen.
* Freunde und die Zugehörigkeit zu Clique werden immer wichtiger.
* Sie müssen sich für ein Berufsziel entscheiden.
* Sie müssen lernen, in der Schule und im Ausbildungsbetrieb „zurechtzukommen“ und mit Autoritäten umzugehen.
* Sie müssen ihre eigenen Leistungserwartungen und Grenzen herausfinden.
* Sie müssen ihre eigenen Kräfte und Fähigkeiten erfahren und Verantwortungsgefühl entwickeln.
Ziemlich viel verlangt für junge Menschen. Und da hinein platzen die ersten Räusche. Vivid, die Fachstelle für Suchtprävention in der Steiermark, möchte Eltern in dieser schwierigen Phase an die Hand gehen. Mag.a Roswitha Baumgartner, erklärt, dass die Arbeit nicht darin besteht, dass man in Schulen zwei Stunden über die Gefahren des Alkohols referiert und dann geht, sondern dass die Multiplikatoren wie Kindergarten-, Hort- und SchulpädagogInnen in Seminaren ausgebildet werden, die Gesamtproblematik rund um das Suchtverhalten an die jungen Klientel weiter zu transportieren und natürlich die Eltern einzubeziehen. Diese können sich ebenfalls an Vivid wenden und in der umfangreichen Fachliteratur stöbern.
Man sieht, es wird schon sehr früh bei der Prävention angesetzt. Denn die Erfahrungen zeigen, dass bereits Kinder die ersten Erfahrungen mit Alkohol machen, indem sie heimlich jene Gläser austrinken, die nach Festen auf den Tischen stehen bleiben. Hier heißt es zum ersten Mal: Die Erwachsenen sind Vorbild – sie trinken Alkohol, das wollen die Kleinen auch probieren. In den seltensten Fällen schmeckt das Zeug, es entspricht geschmacksmäßig nicht dem kindlichen Gaumen.
Schon bei den ersten ertappten Versuchen sollten Eltern ganz klar zu der Problematik Stellung beziehen und dem Kind klar machen, dass Alkohol für den kindlichen Organismus höchst schädlich ist und strikt gemieden werden sollte.
Alkopops schmecken wie Limonade
Mit etwa zwölf Jahren fängt eine schwierige Phase an. In diesem Alter gestehen manche Kinder, dass sie „öfter“ Alkohol konsumieren. Hier beginnt das Experiment: „Wie weit kann ich gehen?“ Auch wenn manche Eltern sich an die eigene Kindheit erinnern und die damals ebenfalls praktizierte Experimentierfreudigkeit verklärend im Rückspiegel sehen – es ist Vorsicht geboten. Denn im kindlichen Organismus mit seinen noch nicht ausgewachsenen Organen richten schon kleine Mengen regelmäßig konsumierten Alkohols große Schäden an.
Dann folgt die Phase, wo heftig dem Konsum von Alkopops (dürften eigentlich erst an 18jährige abgegeben werden) zugesprochen wird. Trinkt sich wie Limonade und wirkt wie Hochprozentiges. Verbunden mit dem „Vorglühen“ und den ersten Versuchen: „Wer verträgt mehr?“
Auch hier rät Vivid den Eltern, aktive Vorbilder zu sein. Bei einem feuchtfröhlichen Familienfest eisern den Alkohol ablehnen und Mineral oder Saft verlangen. Die Jugend erkennt, dass ein striktes „Nein“ cool sein kann. Positives Außenseitertum sozusagen. Das kann auch im Freundeskreis ermutigen, das Glas wegzuschieben.
Alle Alarmglocken müssen schrillen, wenn jede „sturmfreie Bude“ für ausgiebige Alkoholexzesse genutzt wird, wenn das betrunkene Heimkommen sich wöchentlich wiederholt. Dieses „Rauschtrinken“ ist besonders gefährlich. Jugendliche können dann ihr Verhalten nicht mehr kontrollieren, haben ein höheres Unfallrisiko und die Gewaltbereitschaft nimmt zu. Der Grat zur Alkoholvergiftung (siehe auch „Erst Hypnose, dann Narkose“) oder zum alkoholischen Koma wird beängstigend schmal, wie Kinderkliniken zu berichten wissen (siehe unten). Und hierbei handelt es sich bereits um Leben bedrohende Situationen.
Dafür, dass das Kind bereits an einem kritischen Punkt angekommen ist, gibt es verschiedene Faktoren, die auf Alkoholmissbrauch hindeuten können, aber nicht müssen:
- Schwächere Leistungen in der Schule oder in der Lehre
- Motivationsverlust oder Verlust von Interessen
- Mangelnde Kontrolle über Gefühle: Reizbarkeit, Passivität, Launenhaftigkeit
- Verlust von FreundInnen
- Geldprobleme
- Konzentration und Merkfähigkeit lassen nach
- Verschlechterung des Gesundheitszustandes
- Verlust der Kontrolle über den Alkoholkonsum
Theoretisch kann eine andere Krise dahinter stecken, Liebeskummer etwa. Aber man sollte nicht die Augen verschließen und bei einer anhaltenden Kumulierung der Symptome professionelle Hilfe aufsuchen.
Ein weiterer Meilenstein in der jugendlichen Alkoholkarriere ist der 16. Geburtstag. Ab da darf öffentlich Bier und Wein konsumiert werden. Hier helfen simple Verbote nicht weiter. Da wird der Gruppenzwang stärker. Aber Eltern sind nicht hilflos in dieser Phase. Man kann die Kinder animieren, die Freunde zu sich einzuladen, statt in die nächste Disco zu brausen. Man kann verhindern, dass dann Spirituosen „eingeschmuggelt“ werden. Man kann auf die Gefährlichkeit des alkoholisierten Heimwegs hinweisen und gegebenenfalls selbst „Taxi“ spielen.
Manchmal funktioniert das, oft auch nicht.
Letztes Stadium: Abhängigkeit
Offene Gespräche sind die beste Offensivwaffe. Wenn sie noch bis zur Vernunft vordringen. Denn als letztes Stadium folgt die Abhängigkeit. Tragisch bei jungen Menschen, aber leider häufiger als man denkt. Hier sind die Symptome bereits deutlich zu bemerken: Ein starkes Bedürfnis nach Alkohol, man braucht immer mehr „Stoff“, um die erhoffte Wirkung zu erreichen, es wird häufig mehr Alkohol getrunken, als man sich vorgenommen hat. Zuletzt folgt das Verstecken der Flaschen.
Hier geht ohne professionelle Hilfe gar nichts mehr. Und auch das ist problematisch. Zur Uneinsichtig, dass bereits ein massives Alkoholproblem vorliegt, kommt die spätpubertäre Auflehnung gegen alles, was von den Eltern kommt und der Druck einschlägiger Cliquen. Die Statistik ist nicht erbauend. Die Steiermark liegt mit 34 Gramm Alkohol pro Kopf und Nase täglich am traurigen zweiten Platz in Österreich. Rund 95 % der 15jährigen Schülerinnen und Schüler haben bereits Alkohol konsumiert. 20% geben an, viermal oder öfter „richtig betrunken“ gewesen zu sein – das ist ein Fünftel in diesem zarten Alter.
Vorbildwirkung ist unerlässlich
Ab dem 15. Lebensjahr steigen Menge und Häufigkeit des Alkoholkonsums kontinuierlich an. Laut des Vorstandes der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz werden jährlich 140 Kinder und Jugendliche (ab dem 12. Lebensjahr) mit einer schweren Alkoholvergiftung eingeliefert. Alkoholunfälle (oft mit Personenschaden, sogenannte Discounfälle) spielen vor allem bei jungen männlichen Fahrern eine dominierende Rolle.
Dramatisierung der ersten Alkoholerfahrungen bei Kindern und Jugendlichen wirkt oft kontraproduktiv. Genaue Beobachtung und Vorbildwirkung sind aber unablässig.
Was ist nun die Aufgabe der Experten, wenn die Lage verfahren scheint:
* Fachleute sind in der Lage, familiäre Probleme objektiv und mit einem professionellen Blick anzugehen.
* Sie können helfen, Missstände zwischen Familienmitgliedern aufzuklären, um damit wieder eine Gesprächsbasis zu schaffen.
* Sie können beraten und dahingehend vermitteln, dass gemeinsame Lösungsschritte versucht werden.
* Sie können allerdings nur dann wirklich behilflich sein, wenn sich alle Betroffenen aktiv an der Problemlösung beteiligen.
* Es gibt keine Patentrezepte zur Erziehung, aber es gibt wertvolle Tipps und Hinweise, die den Erziehungsalltag erleichtern.
Probleme mit Alkohol müssen nicht im Schul- oder Lehralter beginnen.
VIVID – Fachstelle für Suchtprävention
8010 Graz, Zimmerplatzgasse 13/I
Tel.: +43 (0)316/823 300
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Web-Adresse: www.vivid.at
Wissen rund um Alkohol: www.vivid.at/wissen/alkohol/
Elternbroschüre zum Thema Alkohol: www.vivid.at/wissen/alkohol/elterninfo-alkohol/
Fotos: Werner Schneider (1), Marija Kanizaj (1) Logo: VIVID (1)