Sucht-Prävention schon für die Kleinsten
„Alkohol steht nicht im Vordergrund“
von Harald Frohnwieser
Alkoholprävention fängt bei den Kleinsten in Österreich bereits im Volksschulalter an. „SUPRO – Werkstatt für Suchtprophylaxe“ ist eine Einrichtung der Stiftung Maria Ebene in Vorarlberg und arbeitet schon seit Jahren vor allem mit Lehrerkräften daran, dass die Kinder später einmal nicht an einer Alkoholsucht erkranken. SUPRO-Mitarbeiterin Heidi Achammer erläutert im „Alk-Info“-Interview das Konzept, das dahinter steckt.
„Alk-Info“: Alkoholprävention beginnt in der Schule – wenn überhaupt – erst bei den 14- bis 18-Jährigen. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass sich Ihr Präventionsprogramm bereits an Volksschüler richtet. Was ist der Grund dafür?
Heidi Achammer: Sucht-Prävention sollte nicht erst mit dem ersten Rausch oder der ersten Zigarette beginnen. Denn Konsumverhaltensmuster werden oft in der frühen Kindheit geprägt. Wirksame Suchtprävention stellt daher nicht die Substanzen, wie z.B. Alkohol in den Vordergrund, sondern die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Im Kindergarten und in der Volksschule geht es vor allem darum, die Entwicklung der Lebenskompetenzen zu fördern und zu stärken. Lebenskompetenzen sind jene Fähigkeiten, die es Menschen ermöglichen, mit den Herausforderungen des Lebens, mit schwierigen Situationen konstruktiv umzugehen.
Welche Situationen sind damit gemeint?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert solche Situationen ganz klar:
* Selbstwahrnehmung (Was kann ich? Was sind meine Stärken, meine Schwächen, was macht mir Angst, Stress, Freude? Wie fühle ich mich? Wer bin ich? usw.)
* Empathie
* Kommunikationsfähigkeit und Selbstbehauptung (Nein-sagen lernen, Gruppendruck widerstehen können u.a.)
* Konstruktiver Umgang mit Stress, Problemen und Konflikten
* Kritisches und kreatives Denken (um Werbung, Medien etc. kritisch zu hinterfragen)
Kann man den richtigen Umgang mit diesen Situationen schnell vermitteln oder braucht es dafür einen längeren Zeitraum?
Diese Fähigkeiten können nicht in einem zweistündigen Workshop erlernt werden, sondern hier braucht es einen Rahmen, in dem die Kinder Schritt für Schritt lernen können. Natürlich spielt auch die Vorbildwirkung der Erwachsenen eine große Rolle. Suchtprävention ist Beziehungsarbeit und dazu braucht es Bezugspersonen wie Eltern, PädagogInnen oder TrainerInnen, die mit den Kindern in Kontakt, in Beziehung sind. Und es braucht es eine Haltung, die von Wertschätzung, Respekt und Anerkennung geprägt ist.
Alkohol ist also gar nicht das Thema?
Im Kindergarten und in der Volksschule reden wir noch nicht über Alkohol, sondern hier geht es wie bereits erwähnt um die Stärkung und Förderung der Lebenskompetenzen. Kinder sollen lernen mit Frust, Langeweile, sowie mit starken Gefühlen wie Angst, Wut, Trauer umzugehen.
Richtet sich Ihr Programm an die Kinder, an die PädagogInnen oder an beide?
Unsere Programme sind so aufgebaut, dass zuerst die PädagogInnen geschult werden. Uns ist es generell wichtig, MultiplikatorInnen auszubilden, damit diese wiederum in ihrem unmittelbaren Umfeld suchtpräventiv tätig sein können. In der Volksschule erhalten die PädagogInnen eine dreitägige Fortbildung, sowie eine Mappe mit Unterrichtseinheiten für die 1. – 4. Schulstufe, die sie dann mit den Kindern im Unterricht umsetzen. Das Programm „Eigenständig werden“ wird österreichweit umgesetzt und von den Suchtpräventionsstellen in den einzelnen Bundesländern angeboten. Die Koordination des Programms obliegt der „Eigenständig werden-Privatstiftung“.
Wie reagieren die Kinder auf das Programm? Kommen viele Fragen? Wenn ja, was für welche?
Von den Lehrkräften erfahren wir immer wieder, dass die Übungen sehr gut bei den Kindern ankommen. Im Rahmen dieser Unterrichtseinheiten wird Raum und Zeit für Fragen und Reflexion geschaffen und Kinder bekommen die Möglichkeit, über Gefühle, Ängste und Sorgen zu sprechen. Es werden aber auch Konflikte und Probleme in der Klasse aufgegriffen und bearbeitet. Darüber hinaus wird die Beziehung zu den Lehrkräften gestärkt.
Wie reagieren die Eltern darauf?
Die Rückmeldungen, die wir von Eltern und PädagogInnen bekommen, sind durchwegs positiv.
Ab welchem Alter beginnen Kinder, positiv über Alkohol zu denken?
Ich denke, das kann man pauschal so nicht beantworten. Je nachdem welche Erfahrungen - auch im näheren Umfeld - Kinder und Jugendliche bereits gemacht haben, werden sie Alkohol als positiv oder eher negativ wahrnehmen. Und natürlich übt Alkohol auf viele Kinder und Jugendliche einen besonderen Reiz aus. So wie alles, was verboten ist bzw. erst ab einem gewissen Alter erlaubt ist.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Derzeit haben wir sieben MitarbeiterInnen aus den Bereichen Pädagogik, Psychologie, Sozialarbeit, Mediengestaltung und Gastronomie. Ab September 2016 werden wir unser Team mit drei weiteren Mitarbeiterinnen und einem Zivildiener verstärken.
Kommen viele Anfragen von Schulen?
In Vorarlberg haben inzwischen knapp 80% der VolksschulpädagogInnen das Programm „Eigenständig werden“ absolviert.
Findet das Präventionsprogramm nur in Schulen statt oder gehen Sie – so wie es auch in der Schweiz gemacht wird - auch in Jugendzentren, auf Sportplätzen, zu den Kinderfreunden, Jungschargruppen der Katholischen Kirche, etc.?
Unser Programm wurde speziell für die Volksschule entwickelt. Hier bieten wir auch Elternabende zu Themen wie „Acht Sachen, die Erziehung stark machen“ und „Wie schütze ich mein Kind vor Sucht“ an. Wie bereits erwähnt, bieten wir Fortbildungen für MultiplikatorInnen (Schülerbetreuung, Jugendarbeiter, FreizeitpädagogInnen, JungscharleiterInnen, Vereine, Gemeinden) an, damit diese in ihrem Umfeld suchtpräventiv tätig sein können.
Passiert Ihrer Meinung nach auf dem Gebiet der Alkoholprävention genug in Österreich oder könnte es mehr Prävention geben, z.B. vom Unterrichts- oder Gesundheitsministerium?
Präventiv mehr zu investieren ist immer besser als später zu therapieren. Obwohl allgemein ein Abwärtstrend beim Konsum von Alkohol und Nikotin zu beobachten ist, zählt Österreich im europäischen Vergleich beim Konsum von Alkohol und Nikotin bei den 15- bis 16-Jährigen nach wie vor zu den traurigen Spitzenreitern. Sucht ist nicht nur auf die Substanzen reduzierbar. Es geht darum, sich die Entstehungsbedingungen von Abhängigkeiten anzuschauen. Neben persönlichen Faktoren spielen soziale Faktoren wie Zukunftsperspektiven, sozio-ökonomischer Status, Stressbelastung am Arbeitsplatz/Schule, gesellschaftliche Normen und Werte, Werbung, Verfügbarkeit, Gesetzgebung usw. eine große Rolle.
In unserer Gesellschaft ist Alkohol allgegenwärtig und immer und überall verfügbar. Da ist es sehr schwer, dagegen anzukämpfen. Inwieweit spielt Vorbildwirkung hier eine Rolle?
Alkohol nimmt in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein. Hier ist die Sensibilisierung für den Umgang mit Alkohol meiner Meinung nach ein zentraler Punkt. Was hilft es uns, wenn wir Kinder und Jugendliche über die Gefahren von Alkohol aufklären und zu Hause dann lustige Geschichten erzählt werden, die unter Alkoholeinfluss passiert sind? Erwachsene sollten sich viel mehr bewusst werden, dass sie wichtige Vorbilder für Kinder und Jugendliche sind – im Positiven wie im Negativen. Darüber hinaus braucht es die Bereitschaft und die Ressourcen bestehende Gesetze zu kontrollieren - Stichpunkt: Gesetz zum Schutz der Jugend – sowie die Bereitschaft und die Ressourcen von PädagogInnen, suchtpräventive Maßnahmen im Unterricht umzusetzen. Prävention hat viele Gesichter und muss sich an das jeweilige Alter und die Lebenswelt anpassen.
SUPRO arbeitet aber auch mit älteren Kindern und Jugendlichen. Inwieweit unterscheidet sich das Programm für Volksschüler zu jenem, das für die 5. bis 8. Schulstufe angeboten wird?
Sowohl das Programm „Eigenständig werden“ für die Volksschule als auch das Programm „plus“ für die Schule der 10- bis 14-Jährigen sind sogenannte Lebenskompetenzprogramme und gelten international zu den wirkungsvollsten suchtpräventiven Maßnahmen im Schulbereich.
Hat Ihr Einrichtung das Programm „plus“ alleine entwickelt oder waren mehrere Institutionen daran beteiligt?
Das Programm „plus“ wurde aufbauend auf das Programm „Eigenständig werden“ von der Tiroler Suchtpräventionsstelle „kontakt und co.“ (www.kontaktco.at) zusammen mit der Uni Innsbruck, Institut für Psychologie sowie der „ARGE Suchtvorbeugung Österreich“ entwickelt und wird seit 2009 in allen Bundesländern umgesetzt. Das Programm „plus“ ist entwicklungspsychologisch aufgebaut, gliedert sich in vier Jahresschwerpunkte mit fünf Themenbereichen. Die Unterrichtseinheiten bauen aufeinander auf. Themen sind z.B. Stärkung der Klassengemeinschaft, Aufbau von Selbstbewusstsein, Umgang miteinander, Umgang mit Gefühlen, Stress, Konflikten, Identität, Verantwortung, Werbung, usw. Pro Schuljahr kommen dann suchtspezifische Schwerpunkte dazu.
Welche sind das?
In der 5. Schulstufe das Thema Konsum (Verzicht), in der 6. Schulstufe das Thema Medien, in der 7. Schulstufe das Thema Nikotin und in der 8. Schulstufe das Thema Alkohol. Ziel von „plus“ ist es Kinder und Jugendliche in der Entwicklung ihrer kognitiven, emotionalen und sozialen Kompetenzen zu unterstützen, damit sie anstehende Entwicklungsaufgaben positiv bewältigen können. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von sozial unangepassten und schädlichen Verhaltensweisen, insbesondere von Suchtgefährdung.
Gibt es eine Faustregel, wie eine funktionierende Prävention ablaufen sollte?
Vor allem sollte sie auf Augenhöhe ohne erhobenen Zeigefinger stattfinden.
SUPRO – Werkstatt für Suchtprophylaxe
6840 Götzis, Am Garnmarkt 1
Tel.: +43 (0)5523/549 41
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Web-Adresse: www.supro.at
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