Der Flachmann als treuester Begleiter im Leben
Wann vergeht Vergangenheit?
von Werner Schneider
Das Zusammentreffen war zufällig, während der Fachmesse Futura 2012 in Salzburg. In dem bekannten Bierlokal und Restaurant „Die Weiße“. Im vollen Lokal wurde ich an den Tisch eines relativ jungen Mannes gesetzt. Wir bestellten gleichzeitig das Essen und dann fragte die Kellnerin: „Ein Weißbier oder ein normales?“ Mein Gegenüber antwortete: „Nein, bitte etwas Alkoholfreies.“ „Wir haben ein wunderbares alkoholfreies Weißbier.“ „Nein, ich trinke auch kein alkoholfreies Bier, bitte einen gespritzten Saft.“ Das brachte uns ins Gespräch. Warum kein alkoholfreies Bier? „Ich bin Alkoholiker und erst seit vier Monaten wieder trocken“, gab mein Tischnachbar unumwunden zu – und deutete auf mein Soda mit Zitrone. Ohne zu fragen warum. Er willigte ein, in meinem Hotel in einem der Seminarräume zu einem Gespräch zusammen zu kommen und dieses auch auf Tonband aufzeichnen zu lassen. „Ich hoffe, dass das junge Leute lesen.“
Er heißt Matthias Halbauer* und wurde 1975 in einer kleinen Gemeinde in Ostösterreich geboren. Volksschule und Hauptschule mit bestem Erfolg, den Weg in eine höhere Schule, der ihm angeraten wurde, lehnte er ab. Er wollte in seinem Traumberuf, Mechaniker, sofort Geld verdienen und ein Moped kaufen…
„Mit meinem guten Abgangszeugnis, lauter Einser, habe ich mir die Lehre zwischen zwei großen Autoherstellern aussuchen können, ich bin zu XY (einer Nobelmarke, Anm.) gegangen.“
Ihm schien von Anfang an alles spannend und interessant. Besonders der Meister faszinierte ihn und wurde sofort sein großes Vorbild, auch für die beiden anderen Lehrlinge.
„Wir durften du sagen und er war so ein richtiges Genie. Er hat den Auftragsschein angeschaut, gelesen, was die Kunden zu bemängeln hatten, hat den Wagen gestartet und noch vor der Diagnose gesagt, was zu machen ist. Der Computer hat ihm eigentlich immer Recht gegeben, den hat er nicht gebraucht.“
Einladung zum Umtrunk
Bald merkte Matthias, dass der Meister gerne zu seinem Spind ging. Die Gesellen erklärten: „Er braucht seinen ‚Kaffee‘.“ Der „Kaffee“ war eine Flasche Bier, die der Meister nicht einmal heimlich mit zwei- oder dreimal ansetzen austrank, das dauerte keine zwei Minuten. Manchmal lud der Mann auch seine „Buben“ zu einem Umtrunk nach Dienst ein.
„Ich habe natürlich vorher schon einmal Alkohol probiert – Cola rot und so –höchstens ein Glas. Aber an dem ersten Abend habe ich drei oder vier Seidel getrunken und gleich alles wieder herausgespieben. Den anderen Lehrlingen ist es nicht besser gegangen, wir waren ja erst 15 Jahre alt.“
Es war lustig – für die Gesellen und den Meister. „Wird schon noch“, lautete der aufmunternde Kommentar.
Es wurde.
Matthias ging öfter mit.
Die Lehre lief gut. Sieger bei einem Lehrlingswettbewerb, beste Berufsschulzeugnisse und schließlich die Gesellenprüfung mit besonderem Erfolg. Die Firma behielt ihn als einzigen von dem Trio, das gemeinsam begonnen hatte.
„Da habe ich schon regelmäßig Bier und Spritzer in größeren Mengen getrunken, besonders beim Bundesheer. Nur halt noch nicht bei der Arbeit.“
Das Unternehmen schickte ihn zur Fortbildung ins Stammwerk nach Deutschland.
„Das war ein Stress: Viel Unterricht, viel Praxis und irgendwie habe ich geglaubt, da sind nur Streber. Das Lernen ist mir nicht schwer gefallen, die Computerdiagnostik hat mich interessiert, die Arbeit mit den neuen Modellen war faszinierend, aber ich hab‘ was gebraucht, zum Abstressen. Einer hat mir gesagt, dass er einen Flachmann mit Wodka mit hat, weil man da keine Fahne riecht. Und am Abend sind wir auf Bier und Klare gegangen und dann waren die Burschen gar nicht so z’wider. Am nächsten Tag hab‘ ich mir auch einen Flachmann und eine Flasche Stolichnaya (russischer Wodka, Anm.) gekauft.“
Flachmann ist geblieben
Das mit dem Flachmann hat er beibehalten. Denn den verehrten Chef hatte man wegen dessen dann schon untragbaren Trinkgewohnheiten („Mindestens fünf Flaschen am Vormittag und er ist schon mit einer Fahne gekommen und hat so mit den Kunden geredet!“) gekündigt und ein absolutes Alkoholverbot ausgesprochen. Matthias Halbauer besorgte sich einen zweiten Flachmann und trug Blousons und Jacken, in denen man sie verstecken konnte – auch im Sommer.
„Im Firmen-Overall war das sowieso keine Kunst.“
Jahre lang konnte Matthias Halbauer den Spagat zwischen übermäßigem Alkoholkonsum und der erwarteten Arbeitsleistung durchstehen, dann kam der erste Zusammenbruch.
„Bei meinem 23. Geburtstag bin ich bewusstlos geworden – Alkoholvergiftung, damals habe ich nur noch Schnaps getrunken, egal welchen. Im Krankenhaus habe ich dann erfahren, dass meine Leberwerte schon jenseits der 300 sind. Beim nüchtern werden kam das Delirium.“
Den dringenden Rat, sofort einen Entzug zu machen, befolgte der blutjunge Alkoholiker nicht. Er ging mit seinen Wodka-Flachmännern und einer ganzen Flasche im Aktenkoffer weiter in die Arbeit. Bis auch dort bald das Ende kam.
„Ich hab‘ bei einem sündteuren Wagen von einem Stammkunden Scheiß‘ gebaut und beim Chef aufsalutieren müssen und vorher noch schnell am Klo den Wodka wie Wasser gesoffen. Dann habe ich kaum reden können. Ich wurde nach Hause geschickt mit der Auflage, am nächsten Tag nüchtern wieder beim Gottöbersten zu erscheinen.“
Matthias Halbauer ging nicht hin, auch die nächsten Tage nicht, das war die Fristlose.
Er lag zuhause und durchlitt einen Entzug.
„Irgendwie habe ich das geschafft. Dann bin ich in die Firma und habe gebettelt und geweint, dass man die Fristlose in eine Einvernehmliche umwandelt und mir ein Zeugnis gibt. Wegen der guten Leistung, die ich früher erbracht habe, hat man mir sogar eine Kündigung mit einer Prämie von zwei Monatsgehältern zugestanden. Der Boss hat mich irgendwie sehr mögen.“
Matthias fand in Wien wieder Arbeit, das Zeugnis war gut. Aber das Betriebsklima schlecht. Er ging eines Abends auf ein Bier – zur Entspannung. Es war wirklich nur eines. Aber dann jeden Abend eines und dann immer mehr und schließlich trat wieder der Flachmann in Aktion.
„Nach einer Woche hat das jemand gesehen und gleich oben gemeldet. ‚Wir brauchen hier keine Tschecheranten, sie haben gegen das Alkoholverbot verstoßen‘, wurde mir gesagt. Man legte mir die Kündigung nahe. Ich habe angenommen und mir das Zeugnis gar nicht angeschaut, genau das war ein Blödsinn.“
Entzug wegen der Leber
Das merkte Matthias Halbauer erst später. Er machte einen Entzug, musste wegen der angegriffenen Leber strenge Diät leben und ging anschließend in ambulante psychologische Betreuung. Beim Arbeitsmarktservice fand man nach relativ kurzer Zeit wieder einen Arbeitgeber für ihn.
„Bei der Vorstellung sagte der Personalchef gleich zu mir: ‚Getrunken wird bei uns nicht!‘ Ich denk‘ mir: Warum redet der mich so blöd an? Dabei ist in meinem Zeugnis gestanden: ‚Ein sehr geselliger Mitarbeiter‘ oder so ähnlich. Das heißt eben: ‚Der trinkt gerne‘.“
So rund ein Jahr ging alles gut, dann kam es zu einem Arbeitsunfall an der Hebebühne. Man unterstellte Matthias Halbauer, er könnte vielleicht nicht ganz nüchtern gewesen sein. Die Polizei und ein Sachverständiger untersuchten, weil es einen Verletzten gegeben hatte. „Technisches Gebrechen“ war das Ergebnis – aber den Ruf, ein „Alki“ zu sein, blieb. Bis sich Matthias Halbauer nach einem Mobbing-Tag daheim „vernichtet hat, mit Whisky und Ginger, die Mischung ließ sich wie Kracherl saufen“.
Die Folge waren Dauerräusche und Gelegenheitsarbeiten. Irgendwie schaffte er es immer, Arbeitslose zu bekommen und auch zu Umschulungen zu gehen. So behielt er seine kleine Wohnung. Und lernte eine Frau kennen, die nicht wegen der Trinkerei davon lief – sie trank selber. Sie arbeitete bei einem Baumarkt und konnte ihren Alkoholkonsum irgendwie verbergen. Am Abend wurde gemeinsam „geschüttet“. Bis die Freundin auch den Job verlor und ihn wieder verließ, weil er nicht genug Geld für beide heranschaffen konnte. Er hatte an Liebe geglaubt.
Jahre wie in Trance
„Die nächsten acht Jahre waren für mich irgendwie wie in Trance. Ich habe alles gemacht, im Lager gearbeitet, geputzt und was so daher kam. Der Körper hat sich irgendwie darauf eingestellt, dass ich bei den Vorstellungen nicht ganz zu war, das habe ich geschafft, aber dann war es bald wieder aus, Rausch und nächster Job.“
Vor einem Jahr dann der zweite Zusammenbruch, die Leberwerte hatten 600(!) überschritten, es herrschte Lebensgefahr.
Wiedereinstieg ins Leben
„Plötzlich war mir klar: ‚Ich bring‘ mich um!‘ Ich hab‘ im Krankenhaus um einen Entzug gebettelt und eine Psychologin hat mich nach der Entlassung nach Kärnten gebracht, fast ohne Wartezeit. Vor kurzem bin ich heraus. Ich habe wieder eine Umschulung gemacht und bin jetzt im Außendienst für eine Küchengerätefirma tätig. Dort hab‘ ich gleich gesagt, dass ich trockener Alkoholiker bin und beim Blauen Kreuz. Die Probezeit ist gut verlaufen und inzwischen passen die Abschlüsse und Umsätze auch. Aber vier Monate sind keine Zeit, das weiß ich jetzt schon. Ich hoff‘ halt, dass mich die Vergangenheit nicht mehr einholt…“
* Name von der Redaktion geändert
Grafik: Thomas Frohnwieser (1)