Kult-Autor Stephen King ist bekennender Alkoholiker
Beim Schreiben eine Kiste Bier
von Harald Frohnwieser
Einige seiner berühmtesten Romane hat er betrunken geschrieben. Jede Nacht eine Kiste Bier, das war jahrelang sein Pensum. „Was die Arbeit betrifft habe ich funktioniert“, sagt Kult-Autor Stephen King, der bisher mehr als 50 Romane schrieb, von denen einige auch erfolgreich verfilmt wurden. Doch an die Arbeit einiger seiner Bücher kann er sich zum Teil nur noch schemenhaft erinnern, so besoffen war er während des Schreibens. Dass er „Cujo“ geschrieben hat, weiß er nur, weil er das fertige Buch in seinem Regal stehen hat. Der Amerikaner, der in der Kleinstadt Bangor im US-Bundesstaat Maine lebt, ist mittlerweile seit mehr als zwei Jahrzehnten trocken. Damit dies so bleibt, besucht der Schriftsteller regelmäßig die Treffen der Anonymen Alkoholiker.
„My name is Stephen, I'm an alcoholic.“ Der Mann, der diese Worte seit vielen Jahren immer dann ausspricht, wenn er ein Meeting der Anonymen Alkoholiker in den USA aufsucht, unterscheidet sich wenig von den vielen anderen Teilnehmern der Gruppe, die sich regelmäßig versammeln. Trotzdem ist er eine Berühmtheit. Stephen King ist einer der erfolgreichsten Autoren weltweit, seine Gruselgschichten wie „Carrie“, „Es“, „Friedhof der Kuscheltiere“ oder „Shining“ haben sich millionenfach verkauft und wurden zum Teil mit großem Erfolg verfilmt. Stephen King hat längst Kult-Status erreicht, und wenn er ein neues Buch präsentiert, stehen sich die Fans geduldig stundenlang an, um ihren Lieblingsautor persönlich zu erleben. Doch im AA-Meeting ist Stephen King nur einer von Vielen. Einer, der sich fast zu Tode gesoffen hat, der nicht mehr leben wollte mit seiner Sucht. Auch wenn er schon seit Oktober 1988 keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt hat, ist King bewusst, dass er immer noch Alkoholiker ist. „Die Krankheit verschwindet nicht, nur weil man nicht mehr trinkt“, sagt er in Interviews gerne, wenn man ihn darauf anspricht.
Schon Stephen Kings Vater Donald war alkoholkrank. Doch an ihn erinnern kann sich Stephen King nicht. Denn Donald ging nur mal schnell Zigaretten holen – und kehrte nie wieder zu seiner Frau und seinem Sohn zurück. Da war der kleine Stephen gerade mal zwei Jahre alt. Erst viel später erfuhr Stephen, dass der Vater nach Südamerika fuhr und dort, obwohl er sich von seiner Frau nie scheiden ließ, nochmals geheiratet und mit seiner 2. Frau zwei Söhne hatte. Die erzählten Jahre später ihrem älteren Halbbruder von Vaters Alkoholabhängigkeit. Einmal, so die Brüder, lag der Vater am Boden, mit einem Bein auf dem Bett und starrte auf die Decke. „Ist Daddy tot?“, fragte der Jüngere. „Nein, er ist nur betrunken“, sagte der Ältere.
Der Vater war Alkoholiker
Stephen Kings Mutter musste als Alleinerzieherin hart arbeiten, um ihre Kinder durchzubringen. Mehrmals zog die Familie um, bis sie schließlich im Bundesstaat Maine sesshaft wurde. Im Alter von elf Jahren schaute sich der kleine Stephen, der damals eher schwerfällig wirkte, sehr unsicher war und ständig Angst hatte, sich lächerlich zu machen, im Kino gerne Fantasy- und Science-Fiction-Filme an. „Diese Filme haben mich geprägt“, sagte er später. Mit 13 entdeckte er auf dem Dachboden einen Karton mit Fantasy- und Horrorbüchern, die seinem Vater, der ein Hobbyschriftsteller war, gehört hatten. Darin enthalten waren auch Erzählungen, die Daddy selbst verfasst hatte. Stephen King: „Das war wie eine Offenbarung für mich.“
1965 publizierte King seine ersten Geschichten in Literatur-Zeitschriften. Im letzten High-School-Jahr beendete er seinen ersten Roman – und erhielt 60 Absagen von den Verlagen. Der später so gefeierte und erfolgreiche Autor zweifelt an seiner Begabung. Sein Literatur-Studium beendete er mit 23 Jahren, kurz zuvor hatte er seine spätere Frau Tabitha kennengelernt. Zu dieser Zeit arbeitete King als Literaturlehrer. Schon bald nach seiner Hochzeit im Jahr 1971 kam Tochter Naomi zur Welt, ein Jahr später folgte Sohn Joseph. King war 26 Jahre alt, als sein erster Horror-Roman „Carrie“ von einem Verlag veröffentlicht wurde, zwei Jahre später wurde der Autor durch die gleichnamige Verfilmung weltberühmt. Von nun an ging es Schlag auf Schlag. „The Shining“ schaffte es 1977 auf die Bestseller-Listen, ebenso nachfolgenden Romane wie „Amok“, „Das letzte Gefecht“ oder der Klassiker „Friedhof der Kuscheltiere“.
Ratten und Schlangen
Wenn Stephen King seine Bücher schrieb, war er nie nüchtern. „Ich fing mit 20 zu trinken an“, erzählte er später in einem Interview. Auf die Frage, warum er getrunken habe, antwortet King lapidar: „Weil ich Alkoholiker bin. Alkoholiker und Drogenabhängiger.“ Alkohol und Kokain waren freilich nicht die einzigen Geiseln, die ihn plagten. In seinem Gehirn tauchten immer wieder Schreckensgespenster auf. In seiner Fantasie trieben ihn imaginäre Ratten oder Schlangen fast in den Wahnsinn, auch der frühe Tod seiner Mutter – sie starb 1973 – war immer wieder ein Thema, das ihn bedrohte. Um sich zu betäuben, um dies alles nicht mehr spüren zu müssen, flüchtete Stephen King immer mehr in Alkohol und Drogen, bis er nicht mehr schreiben konnte, ohne sich vorher zu berauschen. Wie im Fieber lebte er in seiner eigenen Welt, zu der weder seine Frau noch seine Kinder Zugang hatten.
„Ich habe jede Nacht einen Kasten Bier getrunken“, gesteht der Erfolgsautor freimütig, „und wenn ich schlafen ging, schüttete ich den Rest, der noch übrig war weg, denn sonst wäre ich aufgestanden und hätte weiter getrunken.“ In seinem Buch „The Shining“ schreibt er wohl mehr über sich, wenn er den immer wahnsinniger werdenden Schriftsteller Jack als Alkoholiker beschreibt. Stephen King: „Es fiel mir damals aber gar nicht auf.“ Erst zehn Jahre später, als er den späteren Bestseller „Sie“ schrieb, war ihm bewusst, dass die geistesgestörte Krankenschwester, die in dem Roman einen Schriftsteller gefangen hält, sehr viel mit ihm selbst zu tun hat. „Sie war mein Delirium, meine Metapher für meine Sucht“, sagte er.
„Entweder ich oder der Alkohol!“
Eines Tages fand Tabitha ihren Mann in einer Blutlache sitzend an der Schreibmaschine. King war kurz zuvor operiert worden und die Wunde hatte zu bluten begonnen, was der Schriftsteller jedoch nicht mitbekam. Tabitha wollte ihrem Mann helfen, doch der wies sie schroff ab: „Lass mich zuerst noch den Absatz zu Ende schreiben“, meinte er nur.
Dieses Schockerlebnis reichte Tabitha, um ihren schwer kranken Mann vor die Wahl zu stellen: „Entweder ich oder der Alkohol!.“ Mit Erfolg, Stephen King war endlich zu einer Entziehungskur bereit. „1987 ging ich erstmals in eine Entzugsklinik“, erzählte er später, „obwohl ich schreckliche Angst hatte, ohne Alkohol oder Kokain nicht mehr schreiben zu können. Aber ich war bereit, das Schreiben aufzugeben, wenn ich dafür meine Liebsten retten könnte.“
Seine Ehe konnte Stephen King retten. Seit seinem letzten Rückfall im Oktober 1988 ist er trocken. Und geht immer noch zwei- bis dreimal die Woche in ein Meeting der Anonymen Alkoholiker. Auf die Frage, was passiert, wenn jemand so berühmter wie er es ist dort auftaucht, sagt er: „Nichts. Viele der Leute kenne ich seit mehr als 20 Jahren. Manche sterben, dann gehe ich auf ihre Beerdigung. Wenn ich sterbe, kommen sie zu meiner.“
Die Alkoholsucht ist für ihn immer noch ein Thema („Ich denke sehr oft an einen Drink“), auch bei seiner Arbeit. 2013 stellte er sein neues Buch vor. „Doctor Sleep“ ist eine Fortsetzung von „The Shinning“, dessen Verfilmung von Meisterregisseur Stanley Kubrick mit Jack Nicholson in der Hauptrolle, ihm sogar nicht gefiel. Aus dem kleinen Danny ist ein Mann geworden, der aber weiterhin von bösen Geistern heimgesucht wird. Um seinen grausamen Visionen zu entkommen, greift er immer mehr zum Alkohol und wird schließlich zum Alkoholiker, so wie es im Buch schon sein Vater war. „Ich war neugierig zu erfahren, was für ein Erwachsener aus Danny geworden ist, daher musste ich dieses Buch schreiben“, so King über seine Motivation für die Fortsetzung. Über Dannys Säuferkarriere, über seine Aggressionen und Antriebslosigkeit schreibt der Autor sehr ausführlich. Einen Ausweg aus seiner Sucht bieten Danny erst die Anonymen Alkoholiker.
Fast wie im richtigen Leben.
Foto: stephenking.com / Shane Leonard (1)