Zum Mittagessen Eier und Martinis
Ein Glas als bester Freund auf der Bühne
von Werner Schneider
Dean Martin kennt man mit den Tränensäcken, dem Blitzen in den Augen, der oft kopierten und doch unnachahmlichen Stimme. Er sang sich an die Spitzen der Charts in aller Welt. Sein Markenzeichen war der Alkohol. Im Privatleben, auf der Bühne, im Film: Das Glas schien an seiner Hand festgewachsen. Sein Publikum verzieh ihm scheinbar alles, auch Auftritte bei denen andere mit Schimpf und Schande von der Bühne gejagt worden wären. Der Autor hat ihn in Las Vegas erlebt: Da schien er betrunken, machte aber alles fehlerfrei, sogar die etwas abgeschmackten, selbstzynischen Witze. Er stellte sich mit dem Rücken zum Auditorium und fragte den Bandleader: „Wo ist das Publikum?“ Lustig? Egal, der Saal johlte.
„Betrunken ist man erst, wenn man sich im Liegen anhalten muss“, soll er gesagt haben, der 1917 geborene Dino Paul Crocetti, Sohn eines italienischen Friseurs, der in die USA ausgewandert war. Dieser Sprössling aus Steubenville in Ohio sollte als Dean Martin eine Weltkarriere machen.
Der Alkohol-Schmuggel in der Prohibitionszeit war nicht das Richtige für ihn, er wollte kein Mafioso werden. Für eine Boxerkarriere fand er sich zu schön – also sang er sich durchs Leben (und ließ sich sogar seine Nase richten). Seinen später so unnachahmlichen Stil schaute er sich Bing Crosby ab: The Crooner, der ewig Schmachtende, King der Schnulze. Das Publikum liebte ihn dafür. Auch dafür, dass er mit einem Glas in der Hand auf eine Bühne kam, die meistens so aussah wie das Wohnzimmer einer Durchschnittsfamilie. Dieses Glas hielt er lässig schief – ohne einen Tropfen zu verschütten. Robbie Williams soll auf die Frage, warum er sich dem Swing verschrieben habe, geantwortet haben: „Die Kunst, einen Drink zu halten.“
Der Drink in der Hand wurde zu Dean Martins Markenzeichen. Er scheffelte in den 50er Jahren über eine lange Zeit Millionen mit Klamaukfilmen mit Jerry Lewis – aber der war Abstinenzler, fiel als Saufkumpan also aus. Dino und Jerry trennten sich im Streit.
Dafür bot sich in den Las Vegas-Zeiten der 50er und 60er Jahre das „Rat Pack“ an. Diese Künstlertruppe aus Frank Sinatra (auch kein Kostverächter), Sammy Davis Jr., Joey Bishop, Peter Lawford und Shirley MacLaine passte vortrefflich zusammen, man konnte Nächte an der Bar verbringen.
Er wollte Spaß, keinen Stress
Dean Martin verstand es mit der Zeit, der Arbeit erfolgreich aus dem Weg zu gehen. Es gab zweistündige Konzerte in den legendären Ballrooms der Nobelhotels von Las Vegas (z. B. dem „Sands“). Das war’s dann auch. Er wollte Spaß, keinen Stress. Es gab, wie spitze Zungen berichten, die drei Stunden Woche: Eine Stunde proben, dann kamen die Gäste. Man verzieh ihm alles, auch dass er in den Liedern abbrach – wer alles hören wollte, konnte sich ja eines seiner fast zahllosen Alben kaufen. Man verzieh ihm, dass er bisweilen etwas lallte oder zynische Witze riss oder nicht sicher auf den Beinen war.
Es waren vor allem die Frauen, die an ihm hingen. Drei Ehen und sieben Kinder zeugen von einem gewissen Fleiß, die Liebschaften nicht mitgerechnet. Die Ehe mit der zweiten Frau hielt zwei Jahrzehnte und doch sagte sie danach: „Er ist ein Rätsel für mich geblieben.“
Seine Texte waren bisweilen an Banalität kaum zu überbieten, etwa in „That’s Amore“: Bells will ring/tinga-linga-ling/tinga-linga-ling/an you sing/vita bella…
Das Publikum machte ihn vorübergehend zum bestverdienenden Sänger.
Die Presse zerriss ihn regelmäßig. Er schnulzte dahin, schmiss beinahe Bühnenshows, weil er sich oft versang und hatte trotzdem über Jahrzehnte hinweg Erfolg.
Der Suff als Stilform
Mit „When You’re Drinking“ schuf er sich seine eigene Hymne. Er kam dabei torkelnd auf die Bühne, die unvermeidliche Zigarette zwischen den Fingern und das Publikum johlte wie bei den Beatles – dabei war vieles auch nur Show. Deans Mitstreiter versichern, dass er oft nur Apfelsaft in seinem Longdrink-Glas hatte. Andere schwören, dass sein Mittagessen (er stand angeblich nie vor Mittag auf) aus ein paar Spiegeleiern und Martinis bestand.
Er pfiff aber vermutlich auf political correctness und übernahm den ständigen Suff als Stilform von erfolgreichen Bühnentieren wie W. C. Fields, der angeblich sagte, er trinke vor dem Frühstück nie etwas Härteres als Gin.
In den 80ern kam Dean Martin schon wie ein Saurier auf die Bühne. Alles schien erstarrt. Seine Routine wirkte wie Arroganz. Er hatte alles erreicht, sein Geld konnte er gar nicht mehr ausgeben, die Gunst seiner Fans war ihm sicher. Und so kam es, dass Dino auch auf einen großen Abschied verzichtete. Er zog sich einfach zurück. Er machte weiterhin das, was er schon vorher so gerne gemacht hatte: Er speiste in seinem Lieblingsrestaurant, spielte Golf und trank mit Freunden – oder Saufkumpanen, wie man will. Die Zigarette legte er auch nicht weg, es schien, als glühte sie ewig im Mundwinkel oder zwischen den Fingern.
Wankendes Denkmal
Dean Martins Rückzug von der Welt begann 1986, als er seinen geliebten Sohn Dino, der bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam, beerdigen musste. Freund Sinatra wollte ihn ins Leben zurückholen, plante eine Tournee zusammen mit ihm und Sammy Davies jr. „Wir können uns einen Zug mieten, der uns quer durch die USA bringt, mit einem eigenen Speise- und einem eigenen Barwaggon“, versuchte Sinatra seinen Freund zu motivieren. Zu Sammy sagte Frank unter vier Augen: „Ich denke, dass wäre eine gute Sache für Dean, das würde ihn auf andere Gedanken bringen.“ Die Sache mit dem Zug wurde abgeblasen, die Tournee durch die USA fand aber statt. Doch Dean Martin war nur am Anfang mit dabei, bald musste er durch Liza Minelli ersetzt werden. Der viele Gin, den er seit dem Tod seines Sohnes noch konsequenter als sonst in sich hineingoss, forderte seinen Tribut. Das Denkmal, zu dem er geworden war, begann zu wanken.
Sein Körper hielt das erstaunlich lange aus, doch die letzten Bilder, die vor seinem Tod von ihm in diversen Bars aufgenommen wurden und um die Welt gingen, zeigten einen dünnen, ausgemergelten Mann, der nur noch wenig Ähnlichkeiten mit jenem strahlenden Dean Martin hatte, als den man ihn dank seiner zahlreichen Filme, die auch heute noch im Fernsehen gezeigt werden, kennt. Trotz seines Lebenswandeln wurde Dean „Dino“ Martin 78 Jahre alt, er starb 1995.
Wie man sieht, eifern ihm punkto Lebensstil immer noch Sänger nach. Aber die landen nach Abstürzen in den Entzugskliniken, das Publikum heute verzeiht nicht mehr. Vielen ist auch der Alkohol zu wenig, sie greifen zu härteren Drogen, ein Todesurteil, wie man von Amy Winehouse weiß (siehe auch „Beim Entzug von harten Drogen mit Alkohol zugedröhnt“).
Dean Martin blieb ein Unikum. Wenn’s nicht so positiv klänge müsste man sagen: Ein Säufer mit Charisma. Trocken ausgedrückt: Ein Alkoholiker, der Unsummen scheffelte – trotzdem.
Foto: Warner Bros. (1)