Bestsellerautor Johannes Mario Simmel war bekennender Alkoholiker
Der Stoff, aus dem seine (Alb)-Träume waren

von Harald Frohnwieser

Seine rund 35 Bücher wurden in 33 Sprachen übersetzt und und erschienen in einer Gesamtauflage von mehr als 73 Millionen Exemplare. Er schrieb über das Deutschland in der Nachkriegszeit, er schrieb über Nazis, über Drogen, Genmanipulation, Geheimdienste und Organspenden. Und er schrieb über die Alkoholsucht. Das konnte er packend wie kaum ein anderer seines Metiers. Denn Bestsellerautor Johannes Mario Simmel, der am Neujahrstag 2009 in der Schweiz verstarb, machte aus seiner früheren Alkoholsucht kein Geheimnis. Doch der Stoff, aus dem seine Träume waren, sollte freilich zu einem wahren Albtraum für den gebürtigen Wiener werden…

Johannes Mario Simmel„Whisky.
Mit diesen Worten in meinem Hirn flackerte wieder Leben auf in mir. Würgende Gier nach Alkohol erfüllte mich. Ich brauchte Whisky! Den guten Scotch, gesegnet und gebenedeit, Erretter aus der Not. Ich konnte ihn schon riechen, schmecken, konnte fühlen, wie er mir durch die Kehle floss, rauchig und wundersam, wie er sie auflöste, die Mörderfaust, wie er sie zum Verschwinden brachte.
Whisky.“
In seinem 1961 erschienen Roman „Bis zur bitteren Neige“ kommt Johannes Marion Simmel ziemlich schnell zur Sache. In dem Buch geht es um den Abstieg des ehemaligen Kinderstars Peter Jordan, der moralisch tief gesunken ist und sein Leben nur noch erträgt, indem er sich Tag für Tag betrinkt. Schon auf Seite 23 beschreibt der Schriftsteller und ehemalige Reporter, der am 7. April 1924 in Wien zur Welt kam, Jordans Gier nach dem Alkohol. Und eine Seite weiter heißt es: „In den beiden letzten Jahren hatte ich mehr denn je getrunken – aber heimlich, nur noch heimlich. Die Flaschen versteckte ich so gut, dass sie kein Mensch entdeckte. (…) Wenn ich auf Reisen ging, nahm ich die schwarze Tasche mit. Ein Geschäft in Boston hatte sie mir angefertigt, nach meinem eigenen Entwurf. In den Seitenwänden gab es Fächer. In diese konnte man Whiskyflaschen stecken. (…) So war ich also allerwegs versorgt: in Schlafwagen und Flugzeugen, im Auto, Motorboot, Hotel. So konnte ich heimlich trinken – mehr denn je.
Der Bestsellerautor, der 1960 den Durchbruch mit dem Agentenroman „Es muss nicht immer Kaviar sein“ schaffte, wusste bestens, wovon er so plakativ schrieb – Johannes Mario Simmel war viele Jahre lang abhängig vom Alkohol, konnte nur schreiben, wenn er etwas getrunken hatte. In mehreren Interviews erzählte Simmel freimütig von seiner Sucht, in einer „Wetten, dass…?“-Sendung aus dem Jahr 1982, damals noch mit Frank Elstner als Moderator, outete sich der Autor vor laufenden Kameras als Alkoholiker.
„Ich habe mich sozial hochgetrunken.“
„Ich war nach dem Krieg Dolmetscher der Amerikaner. Daher meine Freundschaft mit den Alliierten. Die Amerikaner haben mir eine Schreibmaschine besorgt und darauf geachtet, dass ich möglichst Nachtdienst habe, so dass ich Zeit hatte zu schreiben. Da habe ich angefangen, meinen ersten Roman zu schreiben. Weil ich aber auch Dienst hatte und wach bleiben musste, habe ich angefangen zu trinken. Rum und Cola. Wir haben damals alle getrunken. Im Laufe von 15 Jahren – inzwischen weiß ich, dass das die äußerste Grenze ist – habe ich mich sozial hochgetrunken“, erzählte Simmel in einem Interview mit dem deutschen Journalisten Günter Gaus. Simmel weiter: „Ich war ein fröhlicher Trinker, habe keinen Streit gesucht. Viele Leute haben mir gar nicht angemerkt, wenn ich betrunken war, weil ich Whisky getrunken habe. Als ich bemerkte, dass ich nicht mehr arbeiten konnte, habe ich in Wien angerufen. Ich hatte nach dem Krieg mit Willi Forst Drehbücher geschrieben, und der kannte einen Professor Hoff, der aus der Emigration zurückgekommen war und die Wiener Psychiatrieleitete. Dem hat Forst gesagt: ,Hör mal zu, das geht schief, nimm mal ein Zimmer für den Johannes.' Ich kam ein paar Tage in die Klinik, aber nur zur Überprüfung. Halluzinose oder was Schlimmeres. Es passierte nichts, und ich kam in ein offenes Heim am Rande von Wien in einer wunderbaren Gegend. Dort traf ich einen Schulfreund wieder, der hatte eine neue Methode für Alkoholentzug. Die war grandios. Das ist 1960 passiert. Bis heute habe ich nicht einen einzigen Tropfen Alkohol getrunken.“
Trivial und ein Fließbandschreiber, so die Kritiker
Auf die Frage, ob ihm der Alkohol beim Schreiben geholfen hätte, antwortete Simmel: „Er hatte gewiss nicht die Absicht, mir zu helfen, aber er war wohl notwendig, damit ich nach ganz unten kam, um wieder nach oben kommen zu können.“
Nach oben kam Simmel relativ schnell. 1949 schrieb Simmel im Alter von 25 Jahren seinen ersten Roman mit dem Titel „Mich wundert, dass ich so fröhlich bin“. Bald darauf verfasste er auch zahlreiche Drehbücher. 1950 heuerte er als Journalist bei der deutschen Illustrierten „Quick“ an und avancierte relativ schnell zu einem der bestbezahlten Reporter im deutschsprachigen Raum und reiste viel herum. „Der Stoff, aus dem die Träume sind“, wie eines seiner Bücher lautet und von einem versoffenen Journalisten handelt, wurde für den Österreicher schnell zur Realität.
Die Kindheit von Johannes Marion Simmel war freilich alles andere als einfach. Sein Vater, ein Chemiker, stammte aus Hamburg und musste vor den Nazis nach London fliehen, weil er Jude war und verstarb dort kurz vor Kriegsende. Simmel blieb bei seiner Mutter, die als Lektorin für einen Filmverleih arbeitete, seine Familie väterlicherseits wurden von den Nazis umgebracht. Zu Wien hatte der spätere Schriftsteller daher stets ein ambivalentes Verhältnis.
Ab dem Jahr 1960, als er mit seiner humorvollen Spionagegeschichte „Es muss nicht immer Kaviar sein“ die Bestsellerlisten anführte, ging es als Schriftsteller schnell bergauf. Mit Romane wie „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ (1965), „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ (1970) oder „Liebe ist nur ein Wort“ (1971) begeisterte er seine Leser, die Kritiker jedoch konnte er nicht für sich gewinnen. „Zu trivial“ und „ein Fließbandschreiber“ schrieben sie nach jeder Neuerscheinung. Simmel ließ sich damit nicht beeindrucken. Mehrere seiner Bücher wurden auch fürs Kino und Fernsehen verfilmt, konnten aber an die Buch-Erfolge nicht anknüpfen.
In seinen späteren Werken wie „Bitte lasst die Blumen leben“ (1984), „Im Frühling singt zum letzten Mal die Lerche“ (1990), „Träum den unmöglichen Traum“ (1996) oder „Liebe ist die letzte Brücke“ (1999) wurde der Autor pessimistischer und widmete sich mehr den Umweltthemen. „Ich habe das Empfinden, dass es nur mehr eine Eiseskälte zwischen den Menschen gibt“, meinte er 2001 in einem Interview mit einer Wiener Zeitung. „Ich will gar nicht von Liebe reden, aber von Nächstenliebe ist keine Spur mehr vorhanden. Es herrscht wirklich eine Ich-Bezogenheit, wie sie noch nie da war, die zu einer Katastrophe führen muss.“
Späte Ehrung
Schrieb der Autor seine Bestseller früher Jahr für Jahr, so mussten sich seine Fans ab 1990 länger gedulden, bis endlich wieder ein neuer „Simmel“ auf den Markt kam. Schuld daran war auch ein Sturz in seinem Garten in der Schweiz, wohin sich der Autor zurückzog und nur noch wenige Besucher empfing.
Eine relativ späte Ehrung wurde Simmel zuteil, als er 1991 von den Vereinten Nationen für sein Engagement gegen den Rechtsradikalismus ausgezeichnet wurde. Johannes Marion Simmel, der drei Mal verheiratet war, starb am 1. Jänner 2009 in seinem Wohnort Zug in der Schweiz, einen Roman hatte er, wie nach seinem Tod bekannt wurde, noch in Arbeit.
Simmel hatte viel erreicht, hatte mehr Bücher verkauft, als sich ein normaler Schriftsteller je erträumen kann. Erfolge war er längst gewöhnt. Dass er aber über einen Erfolg, nämlich den Sieg über seine Alkoholsucht, immer wieder sprach zeigt, wie sehr ihn diese Krankheit auch noch Jahrzehnte nach seinem Entzug immer wieder beschäftigte.
„Bis zur bitteren Neige“ hat er sein Glas nicht austrinken müssen…

Foto: Autogrammkarte (1)