Edwin „Buzz“ Aldrin, der 2. Mann am Mond
Ein All-koholiker ist gelandet
von Harald Frohnwieser
„Der Adler ist gelandet!“ In den frühen Morgenstunden des 21. Juli 1969 mitteleuropäischer Zeit hielt die Welt den Atem an: Apollo 11-Kommandant Neil Armstrong (5. August 1930 – 25. August 2012) setzte als erster Mensch seinen Fuß auf die Mondoberfläche. „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer für die Menschheit“, hörten damals weltweit geschätzte 600 Millionen Fernsehzuschauer die berühmten Worte aus seinem Mund. Wenig später betrat Edwin „Buzz“ Aldrin als zweiter Mann die Mondoberfläche. Was ihn bis heute verfolgt – der ewige Zweite zu sein war und ist sein Schicksal, mit dem der Astronaut lange nicht fertig werden konnte. Aldrin fiel nach seinem Abschied von der NASA in eine schwere Depression, die er jahrelang mit Alkohol bekämpfte. Letztendlich gelang es ihm mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker, seine Sucht zu besiegen.
„In Amerika zählt nur der erste Platz, für die Zweit- oder Drittplatzierten interessiert sich niemand“, begründete der am 20. Jänner 1930 in Montclair im US-Bundesstaat New Jersey geborene Aldrin in einem Interview seine schwere Depression und Alkoholsucht, unter der er wenige Jahre nach der legendären Mondlandung litt. Auf die Frage, ob er es jemals bedauert hatte, bei der ersten Landung auf dem Erdtrabanten dabei zu sein, antwortete er: „Ich habe natürlich davor und auch danach immer wieder darüber nachgedacht. Was ich an Depressionen und Alkoholismus durchgemacht habe, wäre bei einer der späteren, komplizierteren Missionen kaum anders gewesen. Aber die Unterbrechung des bisherigen Lebens und die anschließende Anpassung an ein unstrukturiertes Leben waren bei der ersten Mission sehr viel gravierender. Wir bekamen eine ungeheure Aufmerksamkeit. Der kann man ausweichen, so wie Neil es ganz bewusst getan hat und dabei produktiv geblieben ist.“
Aldrin zog sich nicht zurück, nahm an vielen Terminen und Ehrungen teil – und war doch immer nur der „Zweite“. Dennoch ist er überzeugt: „Wenn ich mich zurückziehen würde, würden mir die Anregungen durch andere Menschen fehlen. Ich hätte viel mehr im Nebel verschwinden können. Aber ich habe mich Schritt für Schritt daran gewöhnt, unter Leute zu gehen und ansprechbar zu sein.“
Die Fliegerei war Edwin „Buzz“ Aldrin ein wenig in die Wiege gelegt worden, war doch sein Vater Eugene Pilot bei der Armee. Und seine Mutter Marion hieß mit Mädchenname ausgerechnet Moon, also Mond. Seinen Spitznamen „Buzz“ verdankte der spätere Astronaut seiner jüngeren Schwester, die, als sie ihren Bruder „Brother“ rufen wollte, nur ein „Buzzer“ herausbekam. Der Spitzname steht mittlerweile notariell beglaubigt in seinem Reisepass. Als Jugendlicher besuchte Aldrin auf Wunsch seines strengen Vaters die Militärakademie, die er als Drittbester absolvierte. Obwohl er im Koreakrieg in den frühen 1950er Jahre mehrere Kampfeinsätze flog, zog es ihn wieder auf die Schulbank. Am Massachusetts Institute of Technology, der führenden Technischen Universität der Vereinigten Staaten, promovierte er im Fach Astronautik. Sein Spezialgebiet war das Rendezvous, ein Manöver, mit dem sich Raumschiffe in der Umlaufbahn annähern. Über diese Rendezvous sprach er so gerne, dass sich bei gesellschaftlichen Ereignissen kaum jemand neben ihn setzen wollte. Es war jedoch weniger Prahlerei, sondern eine ausgeprägte Schüchternheit, die ihn dazu veranlasste. Mit Smalltalk konnte der junge Mann recht wenig anfangen.
Erste Anzeichen der Depression
Im Jahr 1963 bewarb er sich als Astronaut, drei Jahre später flog er mit der Rakete Gemini 12 zum ersten Mal ins All. Der Flug war ein voller Erfolg, den Aldrin jedoch im Rückblick kaum genießen konnte. „Ich saß zu Hause vor dem Fernseher und war auf einmal so müde“, hielt er in seiner Autobiografie „Rückkehr auf die Erde“ fest, „ich wollte nur noch schlafen und bin dann für fünf Tage im Bett geblieben.“ Seine damalige Gattin Joan dachte, es sei Erschöpfung, doch in Wahrheit waren dies die ersten Anzeichen einer Depression. Schon der Großvater litt darunter und auch seine Mutter Marion, beide verübten Selbstmord, seine Mutter kurz vor Aldrins erste und einziger Mondlandung. In einem Interview erzählte er, dass seine Mutter Angst vor dem Rummel hatte, der nach der Mondlandung auf die gesamte Familie hereinbrechen werde.
Trotz dieses Schicksalsschlages flog Aldrin zum Mond, ließ sich nichts anmerken. Als Kapitän der Mondfähre ging er davon aus, dass er als Erster nach der Landung aussteigen werde, doch es war sein Kommandant Armstrong, der zu dieser Ehre kam. Die beiden Astronauten erfuhren davon über Funk. „Ich wollte wissen, wie Armstrong darüber dachte und habe ihn darauf angesprochen. Er schwieg eine Minute lang, dann sagte er, dass er diese historische Entscheidung nicht in Frage stellen werde.“
„Ich wurde alkoholabhängig“
Eine Entscheidung, die Aldrin lange Zeit nicht verkraften konnte. Eine Sonderbriefmarke, die anlässlich dieses historischen Ereignisses herauskam, auf der nur Armstrong abgebildet war, verstärkte diese Verletzung noch mehr. Dennoch, Amerika brauchte seine Helden. Und schickte Aldrin, Armstrong und den Apollo 11-Piloten Michael Collins, der den Mond nicht betrat, auf eine große Tournee rund um den Erdball. „Ich hatte das Gefühl, wir seien alle Schwindler und Dummköpfe, weil wir uns aufgrund unserer eigenartigen Pflichtauffassung allein zu Propagandazwecken, zu nicht mehr und nicht weniger, durch all diese Länder hatten schicken lassen“, beschreibt er seine damaligen Gefühle.
Anfang der 1970er Jahre quittierte Aldrin seinen Dienst bei der NASA. „Das Problem war, dass ich nach dem Apollo-Programm eine neue berufliche Perspektive brauchte, aber was man mir anbot, war für mich nicht interessant. Also kehrte ich zum Militär zurück und rechnete damit, dass man mich an die Luftwaffen-Akademie schicken würde. Aber da herrschte ein großes Konkurrenzdenken, mit dem ich nicht zurecht kam.“ Der gefeierte Held stürzte ab, mit seinem neuen Leben ohne vorgegebenen Strukturen konnte er zunächst nicht viel anfangen. „Ich litt wieder an Depressionen und wurde alkoholabhängig“, gab er später zu.
Spirituelles Wachstum
Seine erste Ehe ging in Brüche, Aldrin versuchte sich als Verkäufer von Cadillacs, jedoch ohne Erfolg: „Ich war darin wirklich nicht gut und habe kein einziges Auto verkauft.“ Einem Reporter der New York Times gestand er, dass er damals „in einer Periode des ruinösen Alkoholismus und einer klinischen Depression“ steckte. Um die Depressionen in den Griff zu bekommen, checkte Aldrin mehrmals in diversen psychiatrischen Kliniken ein, seine Alkoholsucht konnte er mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker besiegen. Aldrin in einem Interview: „Jahrzehnte lang war ich damit beschäftigt, meine Fähigkeit, mit diesem Leben zurechtzukommen, zu verbessern. Das ist mir auch gelungen. Ich trat den Anonymen Alkoholikern bei, dadurch bekam ich meine Sucht in den Griff, ich habe wieder geheiratet, mein spirituelles Verständnis ist gewachsen, und ich habe jetzt wieder viel mehr Struktur in meinem Leben. Das alles war viel, viel wichtiger für mich als die Mondlandung. Aber wäre ich kein Astronaut geworden, dann wäre das alles wohl erst viel später passiert.“
Inzwischen hat er seinen Frieden mit sich und dem Mond gefunden. Ist wieder auf der Erde gelandet. „Wenn ich die Zeit danach nicht durchgemacht hätte, mit allen Konsequenzen, würde ich nicht mehr leben. Ich musste mich ändern und dieser Wandel hat bei mir zu einer größeren Weisheit geführt.“
Ein Wandel, der geglückt ist. Heute lebt Aldrin in Südkalifornien, tritt als Experte der Raumfahrt im Fernsehen auf, berät Filmproduzenten und hat mehrere Bücher geschrieben. „Du bist der, der seinen Fuß auf den Mond gesetzt hat. Das wird man nie wieder los“, zieht er nüchtern Bilanz über sein Leben. Nüchtern ist er bereits seit mehr als drei Jahrzehnten.
„Der schlimmste Feind, den du haben kannst, bist du selbst“, ist er überzeugt. Aldrin hat diesen Feind längst besiegt.
Foto: buzzaldrin.com © 2014 BUZZ ALDRIN ENTERPRISES (1)