Lemmy Kilmister und der Alkohol
Die härtesten 20 Minuten seines Lebens
von Harald Frohnwieser
Dass er 70 Jahre alt wurde grenzt fast an ein (medizinisches) Wunder. Jahrzehntelange Alkoholexzesse, zunächst täglich eine Flasche Whisky, dann – wegen seines Diabetes – eine Flasche Wodka, schienen ihm wenig auszumachen. Zumindest sagte er es immer wieder. Doch seinem Schicksal konnte „Motörhead“-Gründer Lemmy Kilmister nicht entkommen. Am 28. Dezember 2015 starb der britische Rockmusiker nur zwei Tage nach seiner Diagnose an einem Krebsleiden.
Er galt als Original der Rockgeschichte. Er war wild, unkonventionell, galt als Frauenheld und war – zumindest auf der Bühne – sehr laut. Doch Lemmy Kilmister, Gründer und Aushängeschild der britischen Rockband „Motörhead“ ist verstummt. Vier Tage nach seinem 70. Geburtstag am Heiligen Abend verstarb der Rockmusiker an seinem Krebsleiden. Seine Bandkollegen forderten die Fans in aller Welt via Twitter auf seine Musik zu spielen – und sich ein paar Drinks zu genehmigen. „Das hätte Lemmy so gewollt“, schrieben sie. Und hatten damit wohl Recht. Die englische Sunday Times brachte es im Nachruf auf den Sänger und Bassisten auf den Punkt: „Wenige können ohne falsche Bescheidenheit behaupten, in ihrem Leben mehr Drogen und Alkohol konsumiert und mehr Frauen unterhalten zu haben als der Chef von ,Motörhead'“.
Mit 15 ohne Abschluss von der Schule
Lemmy kam als Ian Fraser Kilmister am 24. Dezember in der kleinen englischen Stadt Soke-on-Trend als Sohn eines Feldkaplans zur Welt. Als er zehn Jahre alt war, zogen seine Eltern in eine Kleinstadt nach Wales. Mit 15 verließ Ian die Schule ohne einen Abschluss, ein Jahr später zog er von zu Hause aus und ging nach Manchester, wo er in verschiedensten Bands spielte. Mit Anfang 20 übersiedelte er nach London und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, unter anderem als Roadie bei der Gitarrenikone Jimi Hendrix. Anfang der 1970er Jahre stieß er als Bassist zur Band Hawkwind, nur wenige Jahre später kam es zum Zerwürfnis mit seinen Musikerkollegen, die Lemmy, wie er sich nannte, hinauswarfen. Über diese Zeit sagte er einmal: „Der Sommer 1971 war großartig. Auch wenn ich mich nicht mehr an ihn erinnern kann – ich werde ihn nie vergessen!“
Es dauerte nicht lange bis der Musiker die wohl lauteste Rockband der Welt gründete: Mit „Motörhead“ hatte er endlich jenen Erfolg, den er sich immer erträumte. Und tourte mit seinen Bandkollegen ununterbrochen durch die Lande, auch wenn sie ihren größten Hit, „Ace of Spades“, 1980 hatten. „Wir spielen immer noch Rock'n'Roll, nur sehr schnell und sehr laut. Es kotzt immer noch die Eltern an, die dann schreien ,Mach die Scheiß Musik aus'. Das wollen wir hören“, sagte er einmal in einem Interview.
Immun gegen den Alkohol
Aus seinem übermäßigen Alkoholkonsum machte Kilmister nie ein Geheimnis. Das war er seinem Image als Rockmusiker schuldig – und seinem Körper, der sich längst an den Stoff gewöhnt hatte. Auf die Frage eines Journalisten der Schweizer Zeitung „Blick“, wann er das letzte Mal betrunken war, antwortete der Musiker: „Ewig nicht mehr. Ich trinke täglich eine Flasche Jack Daniels. Ich mag den Geschmack. Ich bin mittlerweile immun gegen den Alkohol. Ich mixe auch nicht. Alkoholische Getränke zu mischen ist fatal. Das musste ich schon als Teenager in der Bar an unserer Straße lernen.“ Übrigens: Die tägliche Whisky-Flasche tauschte er gegen eine – ebenfalls tägliche – Flasche Wodka, nachdem er erfuhr, dass er Diabetes hat (siehe auch „Eine bittersüße Gefahr“). Wohl deswegen, weil Wodka weniger Zucker enthält. Auch ein exzessiver Rockstar schaut auf seine Gesundheit…
Das Leben als saufender Rockstar schien ihm zu gefallen, er wusste, auf was es ankommt: „Wenn du ein verdammter Rock-Star sein willst, dann sei gefälligst einer. Die Leute wollen nicht den Typen von Nebenan auf der Bühne sehen, sie wollen ein Wesen von einem anderen Planeten. Du willst jemanden sehen, den du im normalen Alltag nie treffen würdest.“
Wollte kein Vorbild sein
In einem anderen Interview sagte er der britischen Zeitung „The Sun“: „An mir ist vieles legendär, nicht nur der Exzess. Für mich sind diese Dinge gar keine Exzesse, denn wenn du diese Dinge täglich machst, ist das doch normal, oder nicht? Die Leute sagen immer, ,Der Kerl ist ein hoffnungsloser Säufer und er sollte in die Reha, doch wen stört es, wenn ich trinke?“ Nein, das hat niemanden gestört, weder seine Freunde, noch seine Fans. Es gehörte einfach zu ihm dazu, der Alkohol war längst etabliert für Rockmusiker, und da musste Lemmy mithalten.
Diesbezüglich wollte er aber kein Vorbild sein: „Ich möchte nicht, dass sich irgendwelche Kids zu Tode saufen wegen mir“, gab er sich verantwortungsvoll, „nur weil ich nach 35 Jahren ,Motörhead' ständig trinken kann, glauben die vielleicht, sie könnten das auch.“ Und setzt nach: „Meine Stimme funktioniert gut mit Zigaretten, das ist ein Teil des Trainings. Also muss ich weiter rauchen, da sonst meine Stimme leiden würde. Ohne Alkohol und Zigaretten könnte ich meinen Job gar nicht mehr machen.“ Von Kilmister ist auch jener Spruch überliefert: „Ich hab's mal ohne Kippen, Alk und Frauen versucht. Das waren die härtesten 20 Minuten meines Lebens…“
Physischer und seelischer Schmerz
Nicht immer machte die Gesundheit mit. In den 1960er Jahren wollte er aus diesem Grund einen Blutwechsel vornehmen lassen, doch die Ärzte rieten ihn davon ab. „Mister Kilmister, ihr Blut ist hochgradig vergiftet, jeder andere wäre längst tot. Gesundes Blut aber würde Ihren Körper in einen bedrohlichen Schockzustand versetzen.“ Vielleicht scherzte er deshalb einmal: „Ich war immer gesund, abgesehen von Drogen und Alkohol.“
Auf die Frage, warum er trotz seiner Exzesse noch nicht zugrunde ging, antwortete er dem Reporter von „Blick“: „Seit mir im Alter von sechs Jahren grundlos meine Zähne ohne Betäubung ausgerissen wurde, weiß ich, was physischer Schmerz ist. Seit meine große Liebe an einer Überdosis starb, weiß ich, was seelischer Schmerz ist. Beides hat eine unglaubliche, eine überwältigende Kraft. Man sollte beides als Herausforderung betrachten, die man meistern muss.“
Traurig stimmte ihn, wenn Freunde starben: „Das ist das schlimmste am Älterwerden. Hat man die 50 überschritten dann fallen die Freunde rundherum runter wie tote Fliegen. Ob er Angst vor dem Tod hat, wurde der zweifache Vater einmal gefragt. Kilmister: „Nicht, so lange es schnell geht. Ein langsamer Tod wäre der Graus. Monatelang im Spital liegen, mit Schläuchen in der Nase und einem Lätzchen. Das wäre der Horror.“
Nun, dieser Horror wurde ihm erspart. Nur zwei Tage nach seiner Krebsdiagnose verstarb Lemmy Kilmister in seiner Wahlheimat Los Angeles in Kalifornien, USA. Gnädiger konnte das Schicksal mit einer Rockikone, die ihrem Image stets treu geblieben ist, wohl nicht sein.
Foto: commons.wikimedia.org / Mark Marek (1)