Deutsche Suchtexperten sehen Schottland als Vorbild:
Mindestpreis für Alkohol soll eingeführt werden
von Harald Frohnwieser
50 Pence oder umgerechnet 57 Cent pro zehn Milliliter purem Alkohol! Seit dem 1. Mai 2018 gibt es in Schottland einen gesetzlichen Mindestpreis für alle alkoholischen Getränke. Das veranlasst auch deutsche Suchtexperten, über eine solche Maßnahme in der Bundesrepublik nachzudenken. Sie sind der Ansicht, dass umso mehr getrunken wird, je niedriger der Preis ist. Auch die Krankenkassen und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU) fordern ebenfalls höhere Preise für Bier, Wein oder Schnaps.
„Wer den Alkoholkonsum reduzieren will, muss dafür sorgen, dass die in Deutschland unverhältnismäßig niedrigen Preise für alkoholische Getränke angehoben werden“, gibt sich Raphael Gaßmann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen gegenüber den Funke-Medien überzeugt. Und weiter: „Es ist nachgewiesen, dass insgesamt umso mehr Alkohol getrunken wird, je niedriger sein Preis ist.“ Auch der Suchtexperte des AOK-Bundesverbands, Kai Kolpatzik, plädiert dafür, dass Deutschlands Trinker tiefer in die Tasche greifen sollen. Für ihn zählt Deutschland zu den „Hochkonsumländern“. Als gelungenes Beispiel führt Kolpatzik die im Jahr 2004 eingeführte Steuererhöhung auf Alcopops an: „Das hat gezeigt, wie wirksam man über gezielte Besteuerung eine positive Lebensstiländerung auf breiter Front einleiten konnte.“
Billigalkoholika haben nichts mit Genuss zu tun
Mit den verheerenden Folgen von Alkoholmissbrauch setzt sich die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), beruflich schon lange auseinander. Wohl auch deshalb ist auch sie eine Verfechterin für einen höheren Preis auf alkoholische Getränke. „Billigalkoholika zum Discountpreis haben sowieso nichts mit Genuss zu tun. Gerade Jüngere mit geringem Einkommen werden dadurch zum ,Saufen' animiert“, stellt sie gegenüber den Funke-Medien fest. Aber: Dies zu ändern sei nicht nur Sache der Politik, meint Mortler, die damit auf die Verantwortung der Gesellschaft und der Eltern abzielt. „Wenn wir wollen, dass in Deutschland weniger Menschen alkoholabhängig werden, weniger Jugendliche ,Komasaufen', dann ist nicht nur die Politik gefragt“, sagt sie. Und: „Wir können uns nicht zurücklehnen und abwarten, sondern müssen gemeinsam weiter nach passenden Lösungsansätzen für Deutschland suchen.“
Preiserhöhung als deutliches Signal
„Alkohol ist ein besonderes Gut, das nicht unbedenklich konsumiert werden sollte“, sagt die Leiterin der Landesstelle für Suchtfragen in Brandenburg, Andrea Hardeling. Sie ist der Ansicht, dass sich eine Preiserhöhung als deutliches Signal auf alle Schichten Gesellschaft auswirken könne: „Je präsenter ein Suchtmittel ist, umso mehr entsteht der Eindruck, dass es attraktiv und nicht gefährlich ist.“ Auch sie nennt die höhere Besteuerung von Alcopops als positives Beispiel. „Sie waren damals allzu leicht zu haben“, blickt Hardeling zurück. Doch eine Preiserhöhung alleine reiche noch nicht aus. Deshalb fordert die anerkannte Suchtexpertin Reklame-Einschränkungen ähnlich wie auf Tabakwaren. „Es braucht dringend eine Reduzierung im Bereich der Werbung“, so Andrea Hardeling.
Auch Aufklärungsarbeit gefordert
Peter Raiser ist stellvertretender Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. In einem Interview mit der Berliner taz prangert er die derzeit niedrigen Preise von alkoholischen Getränke an. „Man kann für 5 Euro eine Flasche Schnaps kaufen. Der Verzehr ist für eine Person, die selten Alkohol trinkt, lebensbedrohlich.“ Weiters verweist er in dem Interview auf zahlreiche Studien, die in den vergangenen 20 Jahren durchgeführt wurden und die besagen, dass höhere Alkoholsteuern gute Ergebnisse bei der Verringerung von Gesundheitsschäden erzielen. Doch auch für ihn reicht eine eventuelle Anhebung der Preise nicht aus. Auf die Frage, welche möglichen Maßnahmen es zusätzlich geben solle, um den Alkoholkonsum der Deutschen zu reduzieren, nannte er Aufklärung, Frühintervention und zielgruppengerechte Ansprache von Jugendlichen und Erwachsenen. Dass nicht alle Bürger einer Preiserhöhung positiv gegenüberstehen, ist für Peter Raiser klar. „Natürlich gibt es viele, die nicht begeistert sind von solchen Einschränkungen. Jedoch sind 74.000 Todesfälle pro Jahr und 1,7 Millionen Abhängige in Deutschland real“, so der Suchtexperte zur taz.
Niedrigschwellige Hilfsangebote sind wichtig
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha von den Grünen befürwortet zwar ebenfalls einen Preisanstieg, ist jedoch der Ansicht, dass eine eventuelle selektive Steuererhöhung nichts bringe, da die Gefahr besteht, „dass die Konsumenten dann auf andere alkoholische Getränke ausweichen würden. „Aus gesundheitspolitischer Sicht ist es vor allem wichtig, niedrigschwellige Hilfs- und Präventionsangebote zu machen“, so Lucha.
Keine Lockangebote an den Supermarktkassen
Wenig Sinn in einem Mindestpreisen sieht hingegen der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. „Wie Studien ergeben, führen höhere Steuern nicht zur Senkung des Konsums“, so Lauterbach zur „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Anders als bei den Alcopops, die vor allem von Kindern und Jugendlichen getrunken und von ihrem Taschengeld bezahlt werden, wirkten Preissteigerungen bei Alkohol nicht abschreckend, meint er. Um dennoch die Alkoholsucht einzudämmen hat Lauterbach eine andere Lösung parat: „Die Platzierung von sogenannten ,Lockangeboten' in kleinen Flaschen direkt an den Supermarktkassen sollten nicht länger geduldet werden.“ Auch was die Aufklärung gesundheitlicher Risiken betrifft, hält Lauterbach für verbesserungswürdig. In der Tat: Nach Berechnungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen DHS konsumierte im Jahr 2017 jeder Deutsche statistisch gesehen rund 10,7 Liter reinen Alkohol. Dies entspricht mehr als 200 Liter Bier, 90 Liter Wein oder 25 Liter Whisky pro Kopf. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass hier auch Babys und Kleinkinder mit einberechnet wurden. Und natürlich auch alle Abstinenzler.
Foto: Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg (1)