Kein Unterschied zwischen einem und zehn Bieren – dann ist der Führerschein weg
Viel Offenheit bei der Nachschulung
von Werner Schneider
Ein großer quadratischer Konferenztisch in einem kleinen überheizten Raum. An drei Seiten sitzen jeweils zwei Männer, die vierte Seite ist für die Psychologin Dr. Eva W. reserviert. Die sechs Männer haben alle etwas gemeinsam: Sie sind Verkehrssünder, haben ein Kraftfahrzeug mit mindestens 1,2 Promille gelenkt und müssen nun – in diesem Fall beim Kuratorium für Verkehrssicherheit in Graz – eine Nachschulung absolvieren. Kostenpunkt: knapp € 500.-
Man kann die kleine Gruppe als bunt gemischt im wahrsten Sinne des Wortes bezeichnen. Anfang 20 ist der jüngste, jenseits der 60 der älteste Teilnehmer. Dazwischen so zwischen Mitte 30 und Mitte 40. Einer ist noch in Ausbildung, einer ist Berufsfahrer (Bagger), einer ein gestählter Physiotherapeut und Ex-American-Footballer, einer ist Pensionist. Bunt gemischt eben.
Dr. Eva W. versteht recht rasch aus der heterogenen Truppe so etwas wie Gemeinschaftlichkeit heraus zu kitzeln. Zunächst interviewt jeder seinen Nachbarn.
Die Fragen sind zum Teil im sehr privaten Bereich angesiedelt. Etwa: Was man sich für die Zukunft wünscht. Da kommen dann die Worte Familie, Kinder, Partnerin usw. oft vor. Egoismus ist in dieser Gruppe selten. Die Ergebnisse werden Reihum vorgelesen. So also sehen die Leidgenossen aus, man blickt ein bisschen ins Innere, revidiert Vorurteile, die sich beim Betrachten des Äußeren vielleicht eingestellt haben.
Rekord: 2,4 Promille
Es wird über die Promille geredet, mit denen jeder erwischt worden ist. Mit 1,4 zählt man zu den „Harmlosen“, 2,4 ist der Rekord in dieser Runde. Wer mit der ersten Führerscheinabnahme hier sitzt – das sind nur zwei –, darf sich als Anfänger bezeichnen, vier hat einer schon hinter sich. Nur zwei haben keinen verkehrspsychologischen Test, einige kennen den schon und wissen, was sie erwartet. Einer, der Jüngste, hat seinen schon hinter sich mit „negativer Prognose“, das heißt, dass die Rückgabe des Führerscheins in weitere Ferne rückt – er hadert mit seinem Schicksal, sieht den Jobverlust vor sich. Er hat noch den Probeführerschein, da gilt die 0,1 Promille-Grenze und er ist schon bei der zweiten oder dritten Nachschulung. Als einziger der Teilnehmer hält er sich für ein Opfer.
Sonst allgemeine Schuldeinsicht.
„Ich habe nichts dagegen, wenn in meinem Führerschein als Auflage steht ‚0,0 Promille‘“, sagt der Baggerfahrer, „ich weiß, dass ich zwischen einem Bier und zehn Bieren nicht unterscheiden kann. Da hilft nur, dass ich gar nicht mehr trinke.“
Der Pensionist bezeichnet sich selbst als Alkoholiker, Typ Quartalssäufer („Quartaltrinker“ korrigiert die Verkehrspsychologin höflich), der ebenfalls keinen Alkohol mehr anrühren will und zu den Anonymen Alkoholikern geht. Der Benjamin ist der Radikalste, er möchte alles gleich verbieten, den Alkohol zuerst. Von den Folgen der Prohibition in den USA mit dem sprunghaften Anstieg der Kriminalität in den 30er Jahren hat er noch nie gehört.
Die übrigen beschränken sich auf die Formel: Wenn’s schmeckt, dann schon ein oder mehr Gläser, aber halt nicht mehr fahren.
Verlust der Kontrolle
Es folgen in den nächsten Stunden Tests. Was assoziiert man mit Alkohol? „Genuss“ steht weit vorne. Auch bei dem, der sich zum Alkoholismus bekennt: „Ja, schon, guter Wein hat mir immer geschmeckt. Ich hab‘ nur nicht damit umgehen können.“ Aber auch die negativen Folgen werden selbstkritisch erkannt: Verlust der Kontrolle!
An der Tafel, also coram publico, soll jeder berechnen, ob die Eigenangabe der getrunkenen Menge vor der Führerscheinabnahme mit den gemessenen Promillen übereinstimmt – oder anders gesagt: Wer lügt sich selbst in die Tasche? Immerhin gibt es eine Formel, nach der das bestimmt werden kann. Es kommt heraus: Alle sind ehrlich. Keiner gibt weniger an.
Es wird auch über Modeerscheinungen wie „Vorglühen“ und „Komasaufen“ diskutiert. Dafür ist aber – mit einer Ausnahme – die Runde schon zu alt. Da sind eher g’standene Wirtshausgeher als discofreaks.
Heikel die Geständnisse, wie man auf Alkoholkonsum reagiert. Niemand behauptet von sich, so richtig „lustig“ zu werden. Man werde „geselliger“, man empfinde die Berauschung als „angenehm“. Einer muss zugeben – seine Vorstrafen sprechen Bände –, dass er aggressiv wird und zuschlägt. Bei seiner jüngsten Abnahme hat ihn der Schwager angezeigt und in die Polizeifalle gelockt. Die Beamten konnten nicht verhindern, dass er das ungeliebte Familienmitglied noch während der Amtshandlung niederstreckte…
Folgen für die Familie
Traurig wird die Angelegenheit, wenn es um die Folgen für die Familie geht. Zwei der Teilnehmer haben Unfälle mit entsprechend teuren Resultaten verursacht: Gerichtsstrafe, Regress durch die Versicherung usw. Der Baggerfahrer, zugleich Familienvater, sieht seine Familie gefährdet, die Frau will das nicht mehr länger mit ansehen – wieder eine Führerscheinabnahme, wieder viel Geld weg, wie oft noch? Er hofft auf eine letzte Chance.
Auch der „Schläger“ ist frisch gebackener Papa, er weiß ebenfalls, dass sich sein Leben um 180 Grad wenden muss. Der Pensionist kann sich zwar auf seine Frau verlassen, sie steht hinter ihm, aber er muss wegen der Unfallfolgen (zwei Leichtverletzte) bei der gesamten Familie Schulden machen.
Dr. Eva W. hat viel aus den „Delinquenten“ heraus geholt. Mancher hat vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben so frei und so offen reflektiert und darüber geredet. Mancher hat es als Routine gesehen („Beim Test am Computer musst da … und da … aufpassen, das geht so schnell…“).
Alle werden eine Bestätigung bekommen, dass sie an der Nachschulung teilgenommen und auch mitgearbeitet haben. Die geht direkt an die Bezirkshauptmannschaft oder den Magistrat.
Dann folgt das monatelange Warten auf den Führerschein. Einige werden vielleicht irgendwann wieder in dem kleinen Raum sitzen. Trotz aller guten Vorsätze beim Abschied.
Wie sagte einer bei den Anonymen Alkoholikern so ehrlich: „Mir haben sie sechs Mal den Zettel gezupft…“
Zum Thema: „Betrunken Auto fahren ist kein Kavaliersdelikt mehr!“