Strategie statt Krise
In der Isolation sinnvoll durch den Tag

von Harald Frohnwieser

Die Corona-Krise fordert viele Menschen und bringt sie in eine Isolation, auch solche, die sonst kein Problem mit dem Alkohol haben. Zusätzlich nehmen die meisten Therapieeinrichtungen derzeit niemanden auf, Selbsthilfegruppen sind geschlossen und seine Freunde darf man auch nicht treffen. Deshalb greifen auch Suchtkranke vermehrt zum Alkohol, was zwar die Bier-, Wein- und Spirituosenhersteller freut, aber keine gute Lösung ist. Suchtexperte Christian Voggeneder, Leiter der erfolgreichen Therapieeinrichtung „Zukunftsschmiede“ in Pressbaum bei Wien, gibt „Alk-Info“-Lesern einige Tipps, wie sie in Zeiten wie diesen sinnvoll durch den Tag kommen. Natürlich ganz ohne Alkohol.

In Zeiten der Corona-Krise hamstern die einen jede Menge Klopapier. Und die anderen jede Menge Alkohol. Oder fällt Letzteres unter Fake-News? Nein, wie Experten sagen. Zwar existieren keine genauen Zahlen, aber immer mehr Regierungen und Behörden rund um den Erdball stellen einen signifikanten Anstieg des Verkaufs alkoholischer Getränke fest. Zwar sind in vielen Ländern die Gaststätten geschlossen, aber Supermärkte haben aufgesperrt und der Online-Handel funktioniert ebenfalls. Australische Getränke-Lieferanten etwa freuen sich über einen massiven Nachfrage ihrer alkoholischen Produkten und sagen zu TV-Reporter, dass sie nun ein zweites Weihnachtsgeschäft hätten.
Einige Staaten haben auf diese Situation bereits reagiert – wie etwa Grönland: Sogenannter „Take-away-Alkohol“ zum mit nach Hause nehmen wurde in der Hauptstadt Nuuk komplett verboten. Der Grund dafür war, dass es nach der Schließung aller Schulen und einer Kontaktsperre, die besagt, dass sich nicht mehr als zehn Personen treffen können, vermehrt zu alkoholisch bedingter häuslicher Gewalt kam. Grönlands Regierung will das Alkoholverbot als Schutzmaßnahme für die Kinder verstanden wissen. In Westaustralien wurde die Mengen beim Alkoholeinkauf bereits begrenzt.
Wenig Nachrichten sondern gute Filme sehen
Es wird also rund um den Globus mehr getrunken, als den Menschen guttut. Doch das kann die Lösung nicht sein. Daher raten namhafte Suchtexperten, sich den Tag genau einzuteilen und eine Strategie zu entwickeln, damit man die Tage und die Nächte gut über die Runden kommt.

Dazu der Leiter der Therapieeinrichtung „Zukunftsschmiede“ in Pressbaum bei Wien, Christian Voggeneder, zu „Alk-Info“: „Es ist wichtig, sich nicht auf die Wände in seiner Wohnung zu konzentrieren, die eine Art Grenze darstellen, weil man sich damit eingesperrt vorkommt. Man sollte vielmehr den Raum, der zwischen den vier Wänden ist, ins Auge fassen und sich überlegen, wie man den Tag sinnvoll nützen kann.

Voggeneder rät daher, sich mit Dingen zu befassen, die einen gedanklich von diesem Eingesperrtsein entfernen können: „Nachrichtensendungen im Fernsehen, die sich ausführlich mit der Krise beschäftigen, sollten auf ein Minimum reduziert werden, weil sie einen nur bedrücken. Da ist es weitaus besser, sich Unterhaltungsfilme anzusehen, das kann ein Film im Fernsehen sein oder auch eine DVD.

Musik mit geschlossenen Augen hören
Auch Musik kann jemanden aus einer negativen Situation hinausführen: „Wenn man Musik mit geschlossenen Augen hört, dann bringt einen das in einer andere Welt.

Weiters rät er dazu, den Mut zu haben, ruhig einmal etwas Neues auszuprobieren, wie etwa eine Speise, die man noch nie gekocht hat: „Das fordert mich und verschafft mir das Gefühl, etwas Tolles geschafft zu haben.

Natürlich gehört auch das Lesen eines Buches dazu, wenn es darum geht, den Tag sinnvoll zu nutzen. Voggeneder: „Das muss nicht unbedingt ein Neues sein, dass kann auch eines sein, das man gerne wieder einmal zur Hand nehmen möchte.

Auch ein Fitness-Training zu Hause oder bei einem – natürlich erlaubten – Spaziergang lenkt von einer bedrohlichen Situation ab und kann zu einem Erfolgserlebnis führen.

„Es geht um Veränderung“
Für Alkoholiker, die es noch nicht geschafft haben, trocken zu werden, ist diese Zeit natürlich besonders schlimm – vor allem wenn sie nachts feststellen müssen, dass der Alkoholvorrat zu Hause zur Gänze aufgebraucht ist und keine Kneipe offen hat, wo man sich Nachschub besorgen kann.

Auch hier hat Christian Voggeneder einen Vorschlag parat: „Ich halte zwar nichts vom sogenannten Kontrollierten Trinken, aber nasse Alkoholiker sollten sich jetzt ihren Alkohol genau einteilen, damit es nicht zu einem ungewollten Entzug kommt, der – ohne ärztlicher Hilfe – mitunter lebensgefährlich sein kann. Der positive Nebeneffekt kann dabei durchaus sein, dass ein Interesse entsteht, ganz mit dem Trinken aufzuhören.

Der Therapeut weiter: „Es geht um Veränderung. Am Anfang glaubt man ja gerne, alles dauert immer und ewig, aber man muss Hoffnung haben, das es besser wird.

Telefonseelsorge rund um die Uhr erreichbar
Dabei helfen können auch Online-Meetings der diversen Selbsthilfegruppen, Psychotherapeuten, die via Skype beraten oder diverse Kummernummern wie die Telefonseelsorge. Die Telefonseelsorge ist zwar eine Einrichtung der Katholischen Kirche, bietet aber auch Menschen, die davon ausgetreten oder überhaupt Atheisten sind, die Möglichkeit zu einem hilfreichen Gespräch, bei dem man sich alles von der Seele reden kann.
Für Besucher von Selbsthilfegruppen werden Alternativen wie Online-Meetings angeboten. Wie man daran teilnehmen kann wird auf der Homepage informiert, die unter Anlaufstellen bei Alk-Info zu finden sind.
Krise als Chance
„Die Menschen sind oft verzweifelt, wenn etwas nicht so geht, wie sie es gewohnt sind“, weiß Christian Voggeneder aus aus seiner Praxis zu berichten, „und vor allem Süchtige sind nicht darin sehr erfahren, etwa auszuhalten. Aber eine Krise, wie wir sie zur Zeit überall auf der Welt erleben, kann auch eine große Chance sein: man kann dabei lernen, sich selbst auszuhalten.“ Nachsatz: „Wenn man das gelernt hat, dann ist das eine große Leistung, eine sehr große sogar…“.

Telefonseelsorge Österreich: 142
Web-Adresse: www.telefonseelsorge.at

Telefonseelsorge Deutschland: 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22
Web-Adresse: www.telefonseelsorge.de

Telefonseelsorge Schweiz: 143
Web-Adresse: www.143.ch