Psychologin Bösenkopf über Burnout und Alkoholmissbrauch
Erst kommt der Stress - und dann die Sucht
von Harald Frohnwieser
Erst kommt der Stress, dann das Burnout und dann der Alkohol oder die Tabletten. Nicht wenige Menschen, die sich ausgebrannt fühlen, greifen zu einem verhängnisvollen Hilfsmittel, um wenigstens für kurze Zeit entspannen zu können. Und geraten dabei immer tiefer in eine Suchtspirale, die freilich noch mehr physischen und psychischen Stress bedeutet. Die Psychologin, Wirtschaftstrainerin und Stressexpertin Dr. Brigitte Bösenkopf vom „Stresscenter Wien im Gesundheitszentrum Döbling“ erzählt im großen „Alk-Info“-Interview unter anderem, dass acht von zehn Burnout-Erkrankten zu Alkoholiker werden, welche Berufsgruppen besonders anfällig sind, wie groß der Heilungsprozess ist und dass die Politik in puncto Aufklärung und Prävention gefordert ist, mehr zu unternehmen.
Alk-Info: Frau Dr. Bösenkopf, Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit Burnout und beraten auch Unternehmen, wie sie ihre Mitarbeiter davor schützen können. Nun weiß man, dass nicht wenige der Erkrankten zu Alkohol greifen, damit sie sich wenigstens für einen kurzen Zeitraum entspannen können. Gibt es Branchen, die besonders davon betroffen sind?
Dr. Brigitte Bösenkopf: Ich würde keine Branche hervorheben. Natürlich könnte man sagen, dass am Bau viel getrunken wird, aber gerade dort ist der Alkoholkonsum in den vergangenen Jahren zum Glück etwas zurückgegangen. Der Grund dafür ist, dass die Leute mittlerweile wissen, wie gefährlich es ist, wenn man betrunken auf einem Gerüst steht oder am Dach arbeitet. Prinzipiell jedoch gilt, dass es in jedem Unternehmen Probleme mit dem Alkohol geben könnte.
Wenn Sie merken, dass es in einem Unternehmen einen lockeren Umgang mit dem Alkohol gibt, wie sprechen Sie das an?
Ich versuche, über Aufklärungsarbeit die Führungskräfte diesbezüglich sensibler zu machen und sage ihnen auch, dass sie nicht wegschauen sollen, weil sie sonst zu Co-Alkoholikern werden könnten. Denn sie helfen ja nicht, wenn sie wegschauen, ganz im Gegenteil, sie begünstigen es noch. Man muss Hilfe anbieten.
Wie soll die ausschauen?
Es geht ja nicht darum, dass man gleich mit Konsequenzen droht. Man sollte zunächst den betroffenen Mitarbeiter fragen, wo er überfordert ist und was man als Unternehmen tun kann, damit sich seine Situation wieder bessert. Und man sollte Unterstützung anbieten und dabei helfen, dass rasch ein Therapieplatz gefunden wird.
Betreuen Sie ausschließlich Firmen?
Nein, ich betreue auch Paare. Da kommt es dann schon oft vor, dass jemand viel trinkt und dass der Partner oder die Partnerin die Aufgabe darin sieht, dies zu decken und zu bagatellisieren.
Wobei es beim Alkohol nicht einfach ist, den Übergang zu einem problematischen Trinkverhalten des Partners zu bemerken.
Die Alarmglocken sollten dann läuten, wenn ein Partner merkt, dass der Andere nicht mehr freiwillig trinkt sondern trinken muss. Wenn ein Zwang dabei ist.
Manche nehmen auch Psychopharmaka, um zu entspannen, was ja schon seit vielen Jahren bekannt ist. Die Rolling Stones widmeten in den 1960ern gestressten Hausfrauen, die zu Tabletten greifen, den Song „Mother's Little Helper“.
Den Song kenne ich. Es gibt verschiedene Burnout-Stadien. Relativ am Anfang von dieser verhängnisvollen Stressspirale ist die Anfälligkeit für eine Sucht gegeben. Um das kurz zu erklären: Jemand, das kann natürlich auch eine Hausfrau sein, bringt stets eine Top-Leistung, wird dabei immer erschöpfter, dann kommen die Schlafstörungen, eine innere Unruhe stellt sich ein. Nun entsteht der verzweifelte Versuch, etwas zu finden, mit dem man sich wieder aufbauen kann. Das sind zumeist Alkohol oder Psychopharmaka. Wobei sich die Dosis schleichen steigert und man in ein Suchtverhalten gerät. Wir haben in unserem Therapiezentrum festgestellt, dass von zehn Patienten acht ein Suchtproblem haben.
Würde jemand, der aufgrund seines Burnouts zum Alkoholiker wird, ohne diese Erkrankung auch Alkoholmissbrauch betreiben?
Ich glaube schon, dass eine gewisse Anfälligkeit dafür gegeben ist, von einem Lusttrinker zu einem Suchttrinker zu werden.
Die Frage dabei aber ist, wie sich der Lustmensch, der zum Beispiel gerne ein Glas Wein trinkt und Freude daran hat, vom Suchtmensch unterscheidet.
Der sogenannte Lustmensch hat eine eigene imaginäre Grenze, die er nicht überschreitet. Er vermeidet es, zu viel zu trinken weil er sich dann am nächsten Tag darüber ärgert, wenn es ihm aufgrund des Alkoholkonsums vom Vortag schlecht geht. Der Suchtmensch hat diese Grenze nicht. Er wird trinken, egal, wie es ihm dann am nächsten Tag geht. Der Süchtige geht immer weiter über Grenzen.
Zurück zum Burnout. Ist das ein trauriges Phänomen unserer schnelllebigen Zeit oder hat es das früher immer schon gegeben?
Burnout hat es sicher immer schon gegeben, aber es wurde lange Zeit nicht so diagnostiziert. Die Patienten wurden halt von Arzt zu Arzt geschickt, und jeder hat ein anderes Symptom wie zum Beispiel Schlafstörung oder Depression behandelt, aber keiner hat den Zusammenhang gesehen. Deshalb haben wir im Stresscenter gesagt, dass wir das ganzheitlich behandeln müssen. Unsere Ärzte und Psychologen schauen sich mit verschiedenen Messmethoden die aktuelle Situation genau an und erstellen dann mit dem Patienten gemeinsam einen Therapieplan.
Kann Burnout jeden treffen oder erkrankt nur ein bestimmter Typ daran?
Grundsätzlich kann jeder an Burnout erkranken. Aber es gibt in der Persönlichkeitsstruktur gewisse Auffälligkeiten. Der Hochleistungsmotivierte, der Workaholic, wie wir ihn nennen, ist schon sehr stark gefährdet, denn er hat ja Spaß an dem, was er tut, sonst würde er es ja nicht so exzessiv tun. Und damit geht er aber leichter über Grenzen ohne es zu merken. Dann gibt es noch jene, die in Helfersituationen sind. Das sind zum Beispiel LehrerInnen, Pflegekräfte oder Ärzte. Diese Personen haben ein sehr hohe soziale Kompetenz und wollen immer für andere etwas machen, vernachlässigen dadurch sich selbst, bekommen häufig eine Depression und merken erst sehr spät, dass sie etwas für sich selbst tun müssen.
Gibt es noch andere Kriterien?
Es gibt einen Punkt, der lange nicht beachtet wurde: wenn nämlich die eigenen Werte nicht mit jenen des Unternehmens, in dem man arbeitet, überein stimmen. Wenn etwa eine Krankenschwester viel mehr Zeit für ihre Patienten haben möchte, diese aber aufgrund von Personalmangel nicht hat, so befindet sie sich in einer permanenten Anspannung.
Wenn Sie merken, dass jemand an Burnout erkrankt ist, wie behandeln Sie ihn?
In der Praxis gibt es verschiedene Varianten. Wir müssen den Erschöpfungszustand des Patienten therapieren, sein Suchtverhalten und meistens auch seine Depression, weil diese Patienten auch keine Freude mehr im Leben verspüren. Je nach Schweregrad sind unterschiedliche Therapeuten eingebunden. Mein Bereich ist nicht so sehr das Suchtverhalten, ich habe immer bei der Persönlichkeit angefangen. Ich habe auch sehr viele Messdaten mit Biofeedback gemacht.
Was passiert bei Feedback?
Da lernen die Patienten Techniken wie sie sich optimal entspannen können und stellen dabei fest, dass sie dem Burnout nicht hilflos ausgeliefert sind. Ziel ist, die Menschen wieder widerstandsfähiger zu machen, damit sie, wenn sie wieder unter Stress kommen, besser damit umgehen können. Aber wenn jemand bereits ein sehr großes Suchtproblem hat, dann braucht er eine Fachklinik und muss stationär aufgenommen werden.
Wie groß ist der Heilungsprozess bei Burnout?
Bei Patienten im Endstadium sieht es damit sehr gut aus, da ist die Rückfallquote sehr gering, weil die Betroffenen sagen, dass sie nie wieder dort hin wollen, wo sie waren. Aber eines muss man auch sagen: Ich bin seit nunmehr 30 Jahren auf diesem Gebiet tätig und viele Jahre war es so, dass die Unternehmen den Standpunkt vertraten, dass jemand, der einen beruflichen Stress hat, selbst etwas zu seiner Entspannung beitragen muss. Das ist jetzt nicht mehr so. Viele Firmen versuchen jetzt aktiv zu vermeiden, dass ihre Mitarbeiter an Burnout erkranken. Das hat auch damit zu tun, dass das Thema jetzt immer wieder in den Medien vorkommt.
Sollte nicht auch die Politik hier mehr unternehmen, was die Aufklärung und Prävention betrifft?
Da sprechen Sie mir aus der Seele. Wir vom Therapiezentrum haben immer versucht, mit den unterschiedlichsten Behörden und Institutionen zusammenzuarbeiten, weil die Überlastung oft schon bei den Kindern im Volksschulalter beginnt. Da ist nicht nur die Wirtschaft gefordert, sondern auch die Politik. Wir fordern ja schon länger, dass die Eltern entwicklungspsychologisch geschult werden und das im Mutter-Kind-Pass eingetragen wird.
Sind Burnout-Patienten ähnlich stigmatisiert wie Alkoholabhängige?
Nein, denn sie sehen sich mehr in der Opferrolle. Und außerdem: Wer ausgebrannt ist, hat auch einmal gebrannt.
Fotos: Thomas Frohnwieser (3)