Alkoholindustrie spielt Krebsrisiko bewusst herunter
Verzerrt, geleugnet und interveniert

von Harald Frohnwieser

Nur schweres Trinken verursache Krebs, ein mäßiger Alkoholkonsum hingegen schütze sogar davor und sei deshalb zu empfehlen! Meldungen wie diese werden in regelmäßigen Abständen immer wieder verbreitet und geben all jenen, die gerne ein Glas Bier oder Wein trinken, sogar das Gefühl, etwas für ihre Gesundheit getan zu haben. Aber Vorsicht: Hinter diesen Botschaften stecken die Alkohol-Hersteller selbst, die die Gefahr, aufgrund des Alkoholkonsums an Krebs zu erkranken, bewusst herunterspielen. Nun hat sich ein Forscherteam aus Großbritannien an die Öffentlichkeit gewandt, um vor den Tricks der Alkoholindustrie zu warnen. Denn für sie gilt: schon ein geringer Konsum kann in Bezug auf Krebs riskant sein. Bestätigung dafür kommt von vielen Studienleiter Prof. Mark PetticrewFachleuten, u.a. auch vom Deutschen Krebsforschungszentrum.

Das Team um Prof. Dr. Mark Petticrew von der London School of Hygiene and Tropical Medicine hat krebsbezogene Informationen von insgesamt 26 Webseiten von Alkohol-Herstellern genau unter die Lupe genommen und ist zu dem Schluss gekommen, dass die meisten davon einen völlig falschen Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebs herstellen. „Es ist häufig angenommen worden, dass die Alkoholindustrie im Großen und Ganzen und im Gegensatz zur Tabakindustrie dazu neigt, die Schäden des Alkohols nicht zu leugnen“, so Mark Petticrew in einer Stellungnahme. Der Wissenschaftler musste jedoch zu einer völlig entgegengesetzten Erkenntnis kommen: „Unsere Analyse zeigt aber, dass die Alkoholindustrie weltweit derzeit aktiv Fehlinformationen über Alkohol und das Krebsrisiko verbreitet, insbesondere über Brustkrebs.“ Und weiter: „Der volle Umfang und die Art dieser Aktivitäten erfordern eine dringende Untersuchung.“
Sogar Schulkinder zählen zum Zielpublikum
Was Mark Petticrew und sein Team besonders aufregt ist die Tatsache, dass die Alkoholproduzenten in vielen Staaten an der Alkoholpolitik beteiligt sind und diese auch gehörig beeinflussen. So werden Gesundheitsinformationen, die ganz nach dem Geschmack der Hersteller verfasst wurden, in der Öffentlichkeit verbreitet, sogar Schulkinder gehören zum Zielpublikum. Dazu Mark Petticrew: „Wissenschaftler, Gesundheitspolitiker und Ärzte sollen prüfe, ob ihre Beziehungen zu diesen Gremien von Alkoholherstellern wirklich angemessen ist.“
Alkohol-Hersteller verbreiten Falschmeldungen
Während ihrer Arbeit fanden die Forscher heraus, dass fünf Organisationen der Alkoholindustrie den Zusammenhang zwischen mindestens einer Krebsart und dem Konsum von Alkohol leugneten. Die „International Alliance of Responsibele Drinking“ (IARD) etwa teilt in ihrem Informationen mit, dass jüngste Untersuchungen ergeben hätten, „dass ein leichter bis mäßiger Alkoholkonsum weder bei Männern noch bei Frauen signifikant mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden ist.“ Dazu muss man wissen, dass IARD laut ihrer Homepage (www.iard.org) von ihren Mitgliedsunternehmen aus allen Bereichen der Alkoholindustrie – Bier, Wein und Spirituosen – unterstützt wird, um „Teil der Lösung für den schädlichen Gebrauch von Alkohol zu sein“, wie es hier heißt.
Gefahr für Krebserkrankungen werden heruntergespielt
In dieselbe Kerbe schlägt auch die kanadische Webseite Éduc'alcool (educalcool.qc.ca), die ebenfalls von diversen Alkohol-Produzenten unterstützt wird. „Einige Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Alkohol und Brustkrebs sowohl bei Frauen vor und nach der Menopause. Es konnte jedoch kein ursächlicher Zusammenhang zwischen mäßigem Alkoholkonsum und Brustkrebs nachgewiesen werden“, steht hier zu lesen. Und zwölf von 20 Organisationen, die mit Alkohol-Herstellern im Zusammenhang stehen, behaupten, dass häufige Krebserkrankungen nur mit schwerem Alkoholmissbrauch in Verbindung gebracht werden können: „Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass ein leichter bis mäßiger Alkoholkonsum weder bei Männern noch bei Frauen signifikant mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden ist“, schreibt etwa die „International Alliance of Responsibele Drinking“.
Alkoholindustrie behauptet, Alkohol schütze vor Krebs
Auch die australische und von Alkohol-Herstellern gesponserte Organisation DrinkWise versichert auf ihrer Webseite (drinkwise.org.au) ihren Lesern, dass „eine Krebsgefahr in Verbindung mit Alkoholkonsum besonders mit schwerem Trinken über ausgedehnte Zeitabschnitte zusammenhängt“. Besonders dreist gibt sich die Webseite von SABMiller (www.ab-inbev.com), ein Konzern, der mit seinen Bierbrauereien in mehr als 80 Ländern vertreten ist: Hier wird gar die Behauptung aufgestellt, „dass sich bei langfristigen Rauchern gezeigt hat, dass Alkoholkonsum vor kolorektalen Adenomen (Darmkrebs, Anm.) schützt“.
Doch solche Meldungen, die völlig irreführend sind, sind nicht nur auf den Webseiten der Alkohollobby zu lesen, sie werden auch via sozialen Medien wie Twitter oder Facebook verbreitet und landen dann bei diversen Zeitungsredaktionen. Daher fordern Petticrew und seine Kollegen, dass auch Social-Media-Kanäle und andere Materialien der Branche untersucht werden müssen, „um die Art und das Ausmaß der Prof. Dr. Tim StockwellVerzerrung von Beweismitteln zu bewerten, und ob sie sich auch auf andere Gesundheitsinformationen wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausdehnen.“
Alkoholindustrie an Alkoholpolitik oft beteiligt
Unterstützung bekommen die Forscher vom angesehenen US-Psychologen und Universitätsprofessor Dr. Tim Stockwell: „Ich wiederhole die Anmerkungen der Autoren, dass sie wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs bezüglich des Einflusses der Alkoholindustrie auf öffentliche Informationen über Alkohol und Gesundheit untersucht haben“, sagte er zu einer Fachzeitschrift. Und er kritisiert auch die Machenschaften mancher Staaten: „Die Alkoholindustrie ist in vielen Ländern an der Alkoholpolitik beteiligt.“ Für Stockwell ist längst bewiesen, dass auch ein geringer Alkoholkonsum Krebs auslösen kann, aber: „Innerhalb der Ärzteschaft gibt es Tendenzen, die gesundheitlichen Auswirkungen von Alkohol zu unterschätzen.“ Dabei wären laut Stockwell Warnungen der Mediziner enorm wichtig: „Es gibt Hinweise, dass Patienten am ehesten Ratschläge über ihr Trinkverhalten annehmen, wenn diese von einem Arzt oder von anderen medizinischen Fachleuten kämen.“
Auch geringe Mengen können Krebs auslösen
Dass auch geringe Mengen von Alkohol bereits Krebs auslösen können ist für das Deutsche Krebsforschungszentrum (dkfz) längst bewiesen: „Wissenschaftler weisen darauf hin, dass es – genau genommen – keine Menge an Alkohol gibt, die bedenkenlos konsumiert werden kann“, steht auf der Homepage www.krebsinformationsdienst.de. Und weiter: „Wer regelmäßig ein bisschen trinkt, kommt alles in allem nicht besser weg als jemand, der gelegentlich zu viel Alkohol konsumiert.“ Und in welcher Form man Alkohol zu sich nimmt – als Bier, Wein oder Schnaps – spielt nach neuesten Untersuchungen überhaupt keine Rolle
Doch es muss bezweifelt werden, dass sich diese Erkenntnisse ebenso rasch verbreiten werden wie die Ammenmärchen der Alkoholindustrie, die ihren Kunden vehement einhämmern, dass Alkohol sogar gut für die Gesundheit sei. Stark übertreiben sollte man den Konsum halt nicht…

Studie von Prof. Mark Petticrew: onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/dar.12596/epdf

Stellungnahme des Studienteams nach Beschwerden der Alkoholindustrie, die die Vorwürfe nochmals belegt und aufrecht erhält: onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/dar.12677/full

Fotos: Prof. Mark Petticrew (1), Prof. Dr. Tim Stockwell (1)

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