Suchtkoordination in Niederösterreich:
„Prävention in den Alltag integrieren!“

von Harald Frohnwieser

Österreichs flächenmäßig größtes Bundesland, Niederösterreich, wird in vier Vierteln aufgeteilt. Im Norden befindet sich das Waldviertel, im Süden das Industrieviertel – und die beiden in der Mitte liegenden Vierteln sind nach Alkohol benannt: Wein- und Mostviertel. Ob in den letztgenannten Vierteln mehr Alkohol getrunken wird als in den beiden anderen ist freilich nicht bekannt. Bekannt hingegen ist, dass Niederösterreich in Bezug auf Alkoholtherapie und Prävention sehr gut aufgestellt ist. 28 Suchtberatungen und sechs Therapieeinrichtungen sprechen eine deutliche Sprache. Im großen „Alk-Info“-Gespräch erzählen die Suchtkoordinatorin des Landes Niederösterreich, Mag. Dr. Ursula Hörhan, und Manfred Jeitler, der früher Streetworker war und jetzt für Mag. Dr. Ursula Hörhan, Suchtkoordinatorin des Landes Niederösterreichdie Projektleitung Suchthilfe und Inklusion verantwortlich ist, unter anderem über die Motivation, dem Alkoholmissbrauch den Kampf anzusagen, über die oft unterschätzte Vorbildfunktion der Eltern, was das Trinken von Alkohol betrifft und über die Prävention, die in diesem Bundesland bereits im Kindergarten beginnt.

Alk-Info: In Niederösterreich tut sich wirklich sehr viel, was Therapie und Prävention betrifft. Was sind die Beweggründe dafür? Passiert in Niederösterreich in diesem Bereich mehr als in den anderen Bundesländern?
Mag. Dr. Ursula Hörhan: Als Niederösterreicherin sage ich natürlich JA! Man muss das schon ein bisschen differenziert betrachten, da die Bundesländer nicht wirklich vergleichbar sind. Niederösterreich ist ein sehr großes Bundesland, die Schwerpunkte sind daher sehr unterschiedlich. Ich bin seit 2006 Suchtkoordinatorin und es hat sich nichts daran geändert, dass Alkohol und Nikotin die am häufigsten konsumierten Suchtmittel sind. Aber man darf nicht darüber hinwegsehen, dass der Konsum von illegalen Substanzen sehr oft dramatische Folgen hat. Immerhin konsumieren etwa 30.000 Menschen in Österreich problematisch Opiate.
Manfred Jeitler: Das kann ich nur bestätigen! Auch in der niederschwelligen Jugend- und Suchtarbeit war und ist der Umgang mit der Substanz Alkohol ein großes Thema. Und auch bei der Gruppe der illegalisierten Substanzen ist häufig ein Beikonsum von Alkohol zu bemerken.

Ist die Versorgung in Niederösterreich ausreichend, gibt es genug Beratungsstellen und Therapieangebote?
Ursula Hörhan: Wir können derzeit allen, die bei uns anfragen, einen Therapieplatz zur Verfügung stellen. Wobei es natürlich auch zu einer gewissen Wartezeit kommen kann, aber das hat durchaus einen Sinn, weil man sich als Patient genügend auf die Therapie, die einen erwartet, vorbereiten kann. Wir haben auch ein gutes Netzwerk an ambulanten Beratungen, wobei es in jedem Bezirk eine solche gibt.

Kommt es zu Wartezeiten nach dem körperlichen Entzug?
Ursula Hörhan: Es ist oft nicht sinnvoll von heute auf morgen stationär in Therapie zu gehen. Das ist manchmal überfordernd und führt zu vorzeitigen Therapieabbrüchen. Deshalb sind Wartezeiten manchmal auch wichtig, sind Teil der Therapie und die Zeit dient der Vorbereitung. In der Vorbereitung wird ein Therapieplan erstellt, der auch ein fließender Übergang nach dem Entzug in eine Therapie regelt, egal ob stationär oder ambulant. In den Therapieplan fließt auch ein, in welcher Einrichtung das passende Therapieangebot für den Patienten angeboten wird.

Gibt es auch ein unterschiedliches Trinkverhalten beim Alkohol in Bezug auf Stadt und Land?
Ursula Hörhan: Das glaube ich nicht. Die Konsumhäufigkeit hängt auch von der Verfügbarkeit der Substanz ab und Alkohol ist überall verfügbar, egal ob in der Stadt oder am Land. Die Frage, die man sich stellen sollte ist, aus welchen Beweggründen trinkt man Alkohol? Hat man den Alkoholkonsum noch im Griff oder ist er bereits problematisch? Deshalb wollten wir mit der Kampagne „Wie viel ist zu viel?“Manfred Jeitler, Projektleitung Suchthilfe und Inklusion der Bevölkerung bewusst machen, wann Alkoholkonsum angebracht ist und wann nicht.
Manfred Jeitler: Die gesellschaftliche Akzeptanz spielt hier eine große Rolle. Wenn man sich entscheidet, eine illegalisierte Substanz zu konsumieren, dann ist das meist ein bewusster Vorgang. Alkohol dagegen wird oft „nebenbei“ getrunken, ist alltagstauglich und kulturell stark verankert. Manchmal wird der Konsum von Alkohol gesellschaftlich fast gefordert. Ich denke da an Sektempfang bei Hochzeiten oder Rundentrinken. Man sagt halt schnell, treffen wir uns auf ein Bier, ohne sich dabei etwas zu denken. Nein zu sagen ist dann oft gar nicht so einfach.
Ursula Hörhan: Bei Kokain oder Heroin ist das Abhängigkeitspotential sehr hoch und man braucht schneller eine höhere Dosis um die gleiche Wirkung zu erzielen. Das dauert beim Alkohol wesentlich länger und geht über Jahre. Die Hauptgruppe der Alkoholkranken ist über 40 Jahre alt. Bei den illegalen Substanzen sind die Abhängigen meist viel jünger.

Suchtexperten sagen aber, dass die Alkoholkranken immer jünger werden.
Ursula Hörhan: Persönlich glaube ich, dass man früher sehr oft weggeschaut hat. Studien zeigen, dass die Jugend heute weniger trinken als noch vor einigen Jahren. Natürlich gibt es Ausreißer, aber die hat es vor 30 Jahren auch schon gegeben, das wurde aber damals nicht thematisiert. Durch Sensibilisierung und Kampagnen ist das Bewusstsein in der Bevölkerung gestärkt worden und dadurch gibt es mehr Anfragen bei den Therapieeinrichtungen oder bei den Suchtberatungen.

Aber das Trinkverhalten der Jungen hat sich verändert. Wurde von ihnen früher hauptsächlich Bier und Wein getrunken, greift man jetzt gleich zu den harten Getränken.
Manfred Jeitler: Das ist eine Entwicklung, die auch von der Alkoholindustrie vorangetrieben worden ist. Hochprozentiger Alkohol, der Jugendlichen meist nicht schmeckt, wurde mit stark gezuckerten Säften versetzt. Diese Mix Getränke gab es auch schon früher, die mussten aber selbst gemischt werden und man wusste daher was man trinkt. Heute kriegt man diese Alkopops in hippen Flaschen in die Hand gedrückt und viele Jugendliche haben keine Ahnung, dass sie Schnaps konsumieren. Zusätzlich wird der Konsum durch Werbung entsprechend gepusht.
Hier ist auch die Suchtprävention gefordert. Wenn wir Jugendliche in den Workshops fragen, wie Alkohol schmeckt, dann sagen sie oft: süß. Wenn man sie dann fragt, ob sie schon einmal Schnaps gekostet haben, dann hören wir, dass der grauslich schmeckt. Es muss ihnen also bewusst werden, wenn sie die Alkopops trinken, dann trinken sie diesen hochprozentigen Alkohol.

Wie schaut Ihre Präventionsarbeit genau aus und wo findet diese statt?
Manfred Jeitler: Wir arbeiten intensiv mit Institutionen zusammen, welche mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt sind. Das beginnt schon im Kindergarten und geht dann über zu Volks- und Mittelschulen, Gymnasien und zu den berufsbildenden Schulen. Unsere Angebote sind speziell an der Zielgruppe orientiert. Mit BerufsschülerInnen arbeiten wir natürlich anders als mit VolksschülerInnen. Bei den Kleineren wird sehr viel in Form von Mitmachtheater gearbeitet, sie lernen dann, wie man mit Gefühlen, mit Frust umgeht oder wie man sich abgrenzen kann. Je mehr Konsumerfahrung die Jugendlichen mitbringen, desto spezifischer werden wir in unsren Angeboten.
Ursula Hörhan: In der Präventionsarbeit ist uns wichtig, dass wir nicht nur mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten, sondern dass wir auch das gesamte Netzwerk miteinbeziehen. Da können Kindergartenpädagogen einen ebenso großen Beitrag leisten wie Lehrer, HortpädagogInnen und natürlich die Eltern, die Großeltern und andere Angehörige. Wenn wir einen Workshop durchführen, dann bietenMag. Dr. Ursula Hörhan und Manfred Jeitler wir immer auch einen Elternabend und eine Lehrerfortbildung an. Wichtig ist, dass die Prävention nachhaltig ist, denn wir wollen nicht, dass unsere ReferentInnen kommen einen Workshop durchführen und dann passiert nichts mehr. Suchtprävention bringt nur etwas, wenn sie täglich gelebt und in den Alltag integriert wird.
Manfred Jeitler: Wenn wir die Lehrerinnen und die Lehrer gewinnen, dann verankern wir Suchtprävention in den Schulen. Es gibt Schulen in NÖ, die arbeiten schon seit vielen Jahren eng mit uns zusammen, diese sind in dieser Richtung sensibilisiert und bringen das Thema Sucht und Suchtprävention selbstständig in den Unterricht ein. Die LehrerInnen erhalten von uns ausreichende Unterlagen und haben jederzeit die Möglichkeit, bei uns anzurufen, wenn etwas unklar ist. Und wenn wir hören, dass sie bei einem bestimmten Punkt alleine nicht mehr weiterkommen, dann kommen wir in diese Schulen und arbeiten mit den SchülerInnen zu den angesprochenen Themen. Neben den LehrerInnen und den SchülerInnen werden auch die Eltern durch Infoabende eingebunden. Diese Elternabende verlaufen sehr gut und sind immer sehr interessant für die anwesenden Eltern.

Es gibt Studien die besagen, dass die Vorbildfunktion der Eltern wichtiger ist als bisher angenommen.
Ursula Hörhan: Die Kinder bekommen im Alltag mit, wie die Eltern mit dem Alkohol umgehen. Kinder sind sehr feinfühlig und merken schon sehr früh, wenn irgendetwas nicht stimmt. Wir thematisieren auch bei allen Elternabenden, wie ein genussvoller Umgang mit dem Alkohol ausschaut, und wie man das den Kindern vermitteln kann. Das betrifft übrigens auch das Rauchen.

Wie sollen Eltern reagieren, wenn ihr halbwüchsiges Kind mit einem Vollrausch nach Hause kommt?
Ursula Hörhan: Zuerst einmal ruhig bleiben und nicht in Panik verfallen. Auf keinen Fall sollte man mit dem erhobenen Zeigefinger reagieren, sondern das Kind erst einmal nüchtern werden lassen und dann ein vernünftiges Gespräch mit dem Sohn oder mit der Tochter führen. Fragen stellen wie „warum hast du so viel getrunken?“ oder „gibt es ein Problem, von dem du mir erzählen willst?“ Hilfreich ist auch, wenn man sich an den eigenen ersten Rausch erinnert. Wie alt war man damals? Wie haben die Eltern reagiert und war das für mich förderlich?

Reden Eltern zu wenig mit den Kindern?
Ursula Hörhan: Die Kommunikation hat sich stark in Richtung Neue Medien entwickelt, was für uns Erwachsene oft befremdend ist. Die Kinder kommunizieren heute hauptsächlich über WhatsApp und sind viel im Internet unterwegs. Gespräche, so wie wir sie noch kennen, müssen da von Elternseite eingefordert werden. Wichtig ist, dass man als Eltern klare Regeln im Umgang mit Neuen Medien aufstellt, womit sich manche Eltern oft sehr schwer tun. Hier bieten wir Unterstützung an in Form von Eltern Workshops an.

Ein kontrollierter Umgang ist immer gut, auch was den Alkohol betrifft. Wie stehen Sie zum Kontrollierten Trinken?
Ursula Hörhan: Kontrolliertes Trinken ist eine anerkannte Therapieform, die nicht für alle PatientInnen geeignet ist. Eine große Herausforderung beim Therapiekonzept KT ist die Arbeit mit den Angehörigen. Angehörige sind sehr oft verunsichert und haben große Angst, dass die betroffene Person wieder rückfällig wird. Das ist anfangs sicher für alle eine große Belastung und muss in der Therapie thematisiert werden. Die Angehörigenarbeit hat in Niederösterreich einen großen Stellenwert und hier wird auch vieles angeboten.
Manfred Jeitler: Man muss differenziert damit umgehen. Gäbe es nur ein Konzept, eine einzige zielführende Therapie, dann wäre es einfacher.
Ursula Hörhan: Kontrolliertes Trinken kann für manche ein Zugang zu einer späteren Abstinenz werden, weil sie sehen, wie es ihnen in den Zeiten der Abstinenz oder mit weniger Alkoholkonsum geht.

Wie stehen Sie zu Selbsthilfegruppen?
Ursula Hörhan: Die Selbsthilfegruppen leisten einen wesentlichen Beitrag und sind ein wertvoller Bestandteil in der Suchthilfe. Wir kooperieren mit ihnen, VertreterInnen sind regelmäßigen bei unseren Suchtmittel-Jour-fix-Treffen dabei und wir listen die Angebote auch auf unserer Homepage auf.
Manfred Jeitler: Wichtig ist auch, dass es auf diesem Gebiet etwas für Angehörige gibt, deshalb organisieren wir Angehörigengruppen in NÖ. Wenn eine Person suchtkrank wird, leidet auch das Umfeld darunter und deshalb ist die Arbeit mit Angehörigen von Suchterkrankten Menschen so wichtig. Da gilt es hinzuschauen, was kann ich tun und was nicht, gibt es eine Co-Abhängigkeit und wenn ja, wie komme ich aus dieser Spirale wieder heraus.

Fachleute sagen, dass der Mischkonsum von Alkohol, Medikamente und illegalen Substanzen zunimmt. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Ursula Hörhan: Die Haupttodesursachen bei den Todesfällen mit illegalen Substanzen ist der Mischkonsum. Der Mischkonsum der Substanzen macht uns die größte Sorge und ist kein spezifisches Problem der Jugend, das betrifft alle Alterskategorien. Bei den Jugendlichen gibt es in den letzten Jahren sogar einen Rückgang im Konsumverhalten mit Opiaten.

Gibt es Erwartungen, die Sie an die Politik haben?
Ursula Hörhan: In Niederösterreich sind wir sehr gut aufgestellt und bekommen große Unterstützung von Seiten des Landes NÖ. Wir erreichen pro Jahr über 34.000 Personen mit unseren Projekten in der Suchtvorbeugung und etwa 5000 Menschen holen sich Unterstützung in die Beratungsstellen. Diese Zahlen sind über Jahre hinweg konstant. Österreichweit könnte man im Kampagnen-Bereich mehr Schwerpunkte setzen und so verstärkt zur Bewusstseinsbildung beitragen.

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