422-Seiten starkes Standartwerk über den Alkohol
Die mächtigste und gefährlichste Droge der Welt
von Harald Frohnwieser
Wenn ein ausgebildeter Weinbauer ein dickes Buch über den Alkohol schreibt, dann könnte man meinen, dass es darin um die verschiedensten Weinsorten geht. Oder um Gegenden, in denen der Blaufränkische oder der Burgunder gedeihen. Oder um die besten und teuersten Champagnersorten der Welt. Weit gefehlt. Der gelernte Winzer, Journalist und Autor Wolfgang P. Schwelle befasst sich in seinem 422 starken Werk „Alkohol – Die mächtigste Droge der Welt, Band 1“ (Nachtschatten-Verlag) mit Themen wie „Die Geschichte des Alkoholkonsums“, „Alkohol und Religion“, „Alkohol und Gesellschaft“ oder „Berühmte Trinker“. Der 1963 in Wien geborene Autor betont freilich im „Alk-Info“-Gespräch, dass er selbst keine allzu große Affinität zum Alkohol habe. „Ich würde mich als einen Menschen bezeichnet, der einen ganz normalen Umgang mit ihm hat“, sagt er. Und meint augenzwinkernd: „Man muss ja auch nicht zwangsweise ein Terrorist sein, um über den Terrorismus zu schreiben.“
Wer weiß schon, dass die Russen deshalb das Christentum annahmen, weil diese Religion den Genuss von Alkohol erlaubt, der Islam hingegen nicht? Oder wer weiß, dass die Menschen im Mittelalter aufgrund der desinfizierenden Wirkung des Alkohols ein paar Jahre länger lebten? Oder dass Uganda das Land mit dem höchsten Alkoholverbrauch der Welt ist?
In jahrelangen Recherchen hat der gelernte Winzer, Journalist und Autor Wolfgang P. Schwelle enorm viel Wissen für sein umfassendes Werk gesammelt, das er in einer sehr jovialen Art und Weise seinen Lesern näher bringt. Wobei es Schwelle hervorragend versteht, sehr viel Wissenswertes und Anspruchsvolles in einer leicht lesbaren Art zu verpacken. Ein Buch, das man nicht in einem Stück lesen muss, man kann auch immer wieder in dem einen oder anderen Kapitel schmökern.
Begonnen hat alles vor mehr als zehn Jahren, als Wolfgang P. Schwelle mit einigen Freunden zu später Stunde eine Bar aufsuchte und man im Laufe des Gesprächs auf das Thema Alkohol kam. Dabei wurde dem Autor eines schnell klar: „Man kann stundenlang über den Rotwein reden, aber über die Droge Alkohol weiß man recht wenig.“ Als sich Schwelle informierte, ob und welche Bücher es darüber gibt, war er sehr erstaunt. „Über die Bedeutung des Alkohols in unserer und auch in anderen Kulturen gab es im Buchhandel praktisch nichts, das hat mich schon ziemlich überrascht, zumal unzählige Bücher über Rot- und Weißweine, über Whisky, Champagner oder Wodka auf dem Markt sind. Also machte ich mich an die Arbeit, um über dieses Thema zu recherchieren.“ Wobei nach Abschluss des mehr als 1500 Seiten umfassenden Recherchematerials eines fest stand: „Mich hat überrascht, welche Bedeutung die Droge im Verlauf der Menschheitsgeschichte hatte und auch immer noch hat.“
Die Geschichte des Alkohols
Wolfgang P. Schwelle, der nebenbei auch das „Let's CEE Filmfestival“ in Wien organisiert (www.letsceefilmfestival.com), verteufelt den Alkohol nicht und preist das Trinken desselben aber auch nicht an. „Das Wichtigste war mir, möglichst unvoreingenommen an das Werk heranzugehen.“ Das Buch beginnt nach dem Vorwort und einer amüsanten Einleitung mit der Geschichte des Alkohols. Man erfährt in diesem Kapitel beispielsweise, dass das Wort Alkohol aus dem Arabischen stammt, ursprünglich aber für „ein aus feinstem Pulver zubereitetes Mittel für die Augen“ stammt, und das der Begriff (al-)kuhl erst ab dem Jahr 700 nach Christus dokumentiert ist. Doch der Autor fand bei seiner Arbeit auch heraus, dass bereits vor 9000 Jahren im Norden von China ein berauschendes Gebräu mit einem zehnprozentigem Alkoholvolumen hergestellt wurde, indem Reis gekaut, im Mund eingspeichelt und schließlich in eine Maische aus anderen Zutaten gespuckt wurde. Eine nicht ganz unappetitliche Herstellung, die freilich auch heute noch in Teilen Chinas praktiziert wird.
Von Dionysos zu Bacchus
Die Kunst des Bierbrauens entstand, schreibt Schwelle weiter, irgendwann zwischen 10.000 und 4000 vor Christus im Vorderen Orient. Warum gerade dort? Ganz einfach, in dieser Gegend wuchsen verschiedene wilde Getreidearten. Irgendwann in diesem Zeitraum fiel den Menschen auf, dass feucht gewordenes Getreide zu keimen beginnt, süßlich schmeckt und dass der Brei, wenn man ihn ein paar Tage lang stehen lässt, zu gären beginnt. Und von dieser Erkenntnis bis zum Bierbrauen war es dann kein allzu langer Weg.
Weiters erfährt man viel über die Bedeutung des Alkohols in der Antike und über die vom Wein dominierten Kulturen der Griechen und Römer. „Von Dionysos zu Bacchus“ heißt das Kapitel und man liest, dass es die Menschen damals liebten, sich regelmäßig in billigen Spelunken und Gasthäusern zu berauschen, Männer wie Frauen. Schwelle: „Selbst bei den sittenstrengen Spartanern, bei denen der Konsum von Alkohol lange Zeit verpönt war, durften irgendwann einmal sogar die Mädchen mittrinken.“
Kollektives Besäufnis im Mittelalter
Ebenso ausführlich abgehandelt wird auch das exzessive Mittelalter, das laut Erkenntnissen des Autors das „mit Fug und Recht als das größte kollektive Besäufnis aller Zeiten bezeichnet werden darf“. Auch über Amerika in der Zeit des Wilden Westens konnte Wolfgang P. Schwelle einiges erfahren: „Die Indianerhäuptlinge wurden von den Weißen bei Verhandlungen jeder Art gezielt abgefüllt und danach gnadenlos über den Tisch gezogen.“ Mit zum Teil verheerenden Folgen, die bis in die Gegenwart reichen. Ein moderater Alkoholkonsum unter den Ureinwohnern Amerikas ist auch heute noch selten, obwohl es natürlich auch unter ihnen Menschen gibt, die keinen Tropfen Alkohol trinken.
Aber auch die Weißen selbst waren in Nordamerika im 18. und 19. Jahrhundert zum Teil sehr schwere Trinker. So dachte US-Präsident James Madison im Jahr 1809 nicht nur ernsthaft über eine staatliche Bierbrauerei nach, sondern auch über einen eigenen Bierminister. Doch weil der Kongress nicht mitzog, musste der Präsident seine Pläne wieder aufgeben.
Skurrile Trinkrituale
Ebenfalls sehr umfangreich schreibt Schwelle über die verschiedensten Religionen und ihre Beziehungen zum Alkohol. Man erfährt viel vom entspannten Verhältnis der Christen zu Bier, Wein und Co., man erfährt, wie im Islam das Alkoholverbot begründet wird oder dass Hinduisten der Konsum von Alkohol zwar nicht verboten, ihnen jedoch zu einem sehr vorsichtigen Genuss geraten wird.
Im Kapitel „Alkohol und Gesellschaft“ steht, welche Staaten den höchsten Alkoholverbrauch pro Kopf haben, oder dass die Amerikaner unter dem Begriff Alkoholiker etwas ganz anderes verstehen als die Russen. Der Autor klärt u.a. auch über die verschiedensten Trinksitten auf. Ein Beispiel: Bei den Tiriki – ein hauptsächlich in Kenia lebendes Volk – gibt es folgendes Ritual: Wenn ein junger Mann einer jungen Frau Bier anbietet und diese es dann nicht hinunterschluckt, sondern ein wenig davon in seinen Mund spuckt, dann heißt das, dass man ab sofort verlobt ist und bald heiraten werde.
In seinem 4. Kapitel schreibt Schwelle über „Berühmte Trinker“ und über „Die größten Säufer aller Zeiten“. Auch hier gibt es viel zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken.
Zu welcher Erkenntnis ist der Autor, der derzeit am 2. Band, indem es über die Sucht, die Wirkung und die gesundheitlichen Aspekte des Alkohols gehen wird, schreibt, gekommen? „Alkohol ist die sicher am häufigsten konsumierte und auch die mächtigste und gefährlichste Droge der Welt.“
Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
Foto: Privat (1)