Präventionsmaßnahmen haben sich bewährt
Schweizer trinken immer weniger Alkohol
von Harald Frohnwieser
Dass Alkoholprävention nicht ins Leere läuft, hat wieder einmal die Schweiz unter Beweis gestellt. Die Eidgenossen haben im Jahr 2014 8,1 Liter reinen Alkohol getrunken, ein Jahr zuvor waren es noch 8,3 Liter. Überhaupt ist der Alkoholkonsum innerhalb von zehn Jahren stark gesunken, tranken die Schweizer doch 2004 noch 9,4 Liter reinen Alkohol. Den Grund des Rückgangs sehen Wissenschaftler darin, dass es neben den herkömmlichen Aufklärungskampagnen in Form von Plakaten oder Broschüren handfeste Gesetze in den einzelnen Kantonen gibt, die die Werbung für Alkohol verbieten, den Verkauf von Alkohol während der Nachtstunden untersagen und maßgeschneiderte Interventionen anbieten.
Den Winzern und den Weinhändlern in der Schweiz ist nicht zum Lachen zumute, ging doch der Verkauf des Rebensaftes im Jahr 2014 um fast fünf Millionen Liter zurück. Auch die Spirituosenhersteller müssen sich Sorgen machen: Insgesamt trank jeder Schweizer im Jahr 2014 um fünf Flaschen weniger Schnaps als noch im Jahr zuvor. Bierbrauer hingegen sind mit einem blauen Auge davongekommen: Der Bierkonsum blieb mit 55,8 Liter pro Kopf ziemlich stabil.
Herbert Leherr, Vorstandsmitglied vom „Forum Suchtmedizin Ostschweiz“ und ärztlicher Leiter der Alkoholikerstation in Münsterlingen am Bodensee, erzählte schon 2012 in einem „Alk-Info“-Interview (siehe auch „Hier gehen die Uhren anders“), dass Prävention in der Schweiz selbstverständlich ist. In Schulen, Jugendzentren und auf Sportstätten wird nicht nur vereinzelt, sondern regelmäßig auf die Gefahren des Alkohols hingewiesen. Schon den Kleinsten wird in den Kindergarten beigebracht, wie sie selbstbewusst nein sagen lernen. „Das hat eine lange Tradition, dass wir gewisse Dinge einfach anders machen. Es gibt bei uns einen pragmatischen Umgang mit dem Thema Sucht. Die Schweiz war eines der ersten Länder, die gesagt haben, es wäre ganz toll, wenn es keine Sucht gebe. Aber das spielt es halt leider nicht“, erzählte der Suchtexperte damals. Und zu den Komasäufern meinte Leherr, dass es die auch gibt, aber weniger bei den Jungen sondern eher bei den 30- bis 40-jährigen Männern. Leherr: „Natürlich gibt es mal einen Zehnjährigen, der mit einer Alkoholvergiftung im Spital landet, aber dass sind absolute Ausnahmen.“
Acht gesetzliche Maßnahmen
Vor allem bei jungen Männern zeigen die Präventionsmaßnahmen Wirkung. Mit Prävention meinen die Fachleute jedoch weniger Plakate und Broschüren, die auf die Gefahren des Alkohols hinweisen, sondern handfeste Gesetze, wobei man sich an das Bundesamt für Gesundheit orientiert. Dieses Amt vergleicht die Kantone hinsichtlich ihrer Alkoholprävention miteinander, indem es untersucht, wie viele von den acht gesetzlichen Maßnahmen durchgeführt wurden. Eine Umfrage unter 5.700 jungen Männern mit einem Altersdurchschnitt von 20 Jahren hat ergeben, dass sie mit dem Alkohol bewusster und verantwortungsvoller umgehen, je mehr gesetzliche Regelungen von dem jeweiligen Kanton eingeführt wurden. Die acht Maßnahmen sind: örtliche Einschränkungen, zeitliche Einschränkungen, Werbeeinschränkungen, Sirupartikel (die Verkäufer sind verprflichtet, günstigere nicht-alkoholische Getränke anzubieten), Testkäufe, Weitergabeverbot, Jugendschutz, Sondergewerbesteuer.
Nicht jeder wird erreicht
Doch es gibt auch hier Ausnahmen, denn die Prävention greift freilich nicht bei allen. All jene, die auf der Suche nach einem Kick sind und Risiken nicht wahrhaben wollen, werden ebenso wenig erreicht wie jene 16 Prozent der jungen Männer, die eine Tendenz zu antisozialem Verhalten aufweisen. Solche Männer sind nicht nur immun gegen jeglicher Prävention, für sie gelten die Gesetze in Bezug auf Alkohol als Herausforderung, diese zu umgehen. Diese Zielgruppe trinkt in jenen Kantonen, in denen es strenge gesetzliche Maßnahmen gibt, sogar noch mehr. Die Wissenschaftler sind sich einig, dass es hier zusätzliche Bemühungen wie etwa maßgeschneiderte Interventionen geben muss, um auch diese jungen Männer zu erreichen. Dazu der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich, Simon Foster: „Offenbar können mit den bestehenden Präventionsmaßnahmen die Männer mit dem höchsten Risiko nur schwer erreicht werden.“ Und weiter: „Für diese Untergruppe braucht es spezielle Präventionsmaßnahmen, welche auf die Früherkennung zielen und auf die Persönlichkeitsprofile der betroffenen Männern zugeschnitten sind.“
Gesetzlicher Mindestpreis gefordert
Auch die Suchtexperten des Kantons Zürich ist gefordert. Zwar geschieht auch hier im internationalen Vergleich sehr viel auf dem Gebiet der Prävention – fünf der acht gesetzlichen Maßnahmen werden bereits umgesetzt - aber dennoch schneidet Zürich im Vergleich mit den anderen Kantonen eher schlecht ab. „Mir sind keine Maßnahmen bekannt, die sich ausschließlich und aktiv an den Risikogruppen richtet. Dass Alkohol bei uns so günstig ist, ist für Jugendliche und junge Erwachsene besonders verheerend, denn die erreicht man übers Portemonnaie am ehesten“, stellt der Leiter der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Alkoholmissbrauchs, Domenic Schnoz, unmissverständlich fest. Der Fachmann will aber keine Steuererhöhung sondern einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestpreis. „Es darf nicht sein, dass man eine Wodkaflasche unter zehn Franken (9.30 Euro, Anm.) bekommt“, fordert Schnoz, der auf eine aktuelle Studie aus Kanada verweist, wo Gewaltakte nach einer zehnprozentigen Preiserhöhung auf Alkohol deutlich zurückgingen. „Schade, dass Wissenschaft und Politik manchmal so verschiedene Wege gehen“, bedauert Schnoz. Vor allem die Zürcher Stadtpolitiker nimmt Schnoz in die Pflicht. Von 34 Zürcher Nationalräten haben sich nur vier für ein Nachtverkaufsverbot ausgesprochen. „Ein solches Verbot für die Detailhändler würde viel bewirken“, ist der Präventionsexperte überzeugt.
Alkoholprävention per SMS
Eine neue Idee, wie man Jugendliche gezielt erreichen kann, wird in der Schweiz ab September 2015 umgesetzt. Mittels SMS sollen junge Menschen dazu gebracht werden, weniger Alkohol zu trinken. „Vorerst einmal werden 1.000 Schüler von rund 90 Berufs- und Mittelschüler mitmachen“, sagt Severin Haug, Forschungsleiter am Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung ISGF. Ein Internetfragebogen, den die Schüler und Lehrlinge ausfüllen, gibt Aufschluss darüber, zu welcher Uhrzeit und in welcher Situation der jeweilige Jugendliche am meisten Alkohol trinkt. „Dank des Handys können wir den Jugendlichen orts- und zeitunabhängig individualisierte Tipps schicken, wie sie weniger trinken können“, erklärt Haug das Projekt „Alk-Check“, das weltweit einzigartig ist und bereits 2014 drei Monate lang getestet wurde. Der Erfolg war vielversprechend, denn bei den teilnehmenden Jugendlichen zeigte sich eine deutliche Verbesserung, was den Umgang mit Alkohol betrifft. Severin Haug jedenfalls jedenfalls ist optimistisch, dass „Alk-Check“ ein Erfolg wird. Ob zu Recht, wird sich wohl frühestens erst in einem Jahr zeigen.
Grafik: Thomas Frohnwieser (1)