Alkohol und Demenzerkrankung
Tanz und Musik als Therapie
von Dr. Martha Flaschka
Tanz und Musik sind untrennbar miteinander verbunden. Während die Musik eine emotionale Wirkung entwickelt und sich hauptsächlich im Zwischenhirn abspielt, und dort ein System aktiviert, das eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung der Gefühle spielt, stärkt Tanzen das Selbstbewusstsein durch das Lernen von Tanzschritten und kann verschüttete und verdrängte Erinnerungen und Gefühle hervorholen. Was besonders bei Patienten, die unter einer Alkoholdemenz leiden, von einer sehr großen Bedeutung ist.
In voller körperlicher und seelische Gesundheit in einer humanen Umwelt zu leben ist das wichtigste Anliegen eines jeden Menschen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Aufklärung und Information immer den Weg zu den Betroffenen finden. Nur wenn die Krankheit schon jahrelang existiert und gesundheitliche Schäden nach sich gezogen hat bzw. alle menschlichen Katastrophen wie Verlust des Partners, Arbeitsplatzes, Geld, Ansehen und Selbstwertes eingetreten sind, ist die Bereitschaft Hilfe anzunehmen, gegeben.
Einen Schritt weiter sind jene, die sich nach einer Entwöhnungsbehandlung, Selbsthilfegruppe und/oder Psychotherapie „in der Welt draußen“ wieder Fuß fassen. Manchmal mit größeren Defiziten und idealistischen Vorstellungen, an denen gemessen die Realität unzulänglich erlebt wird. Es sind Abstriche und Zugeständnisse erforderlich, es bedarf mit Kompromissen leben zu lernen und Durchzuhalten.
Gedächtnisstörungen, Depressionen, Entscheidungsschwäche und Konzentrationsmangel, kognitive Leistungseinbußen, fehlende Handlungs - und Lösungsstrategien, mangelnde Ausdauer, geringe Hoffnung auf Erfolg und Selbstvertrauen können auftreten. Ebenso schwerer wiegende Persönlichkeits- und Wesensveränderung und die Beeinträchtigung der zeitlichen und örtliche Orientierung, denn die Gefahr von Zellschädigungen des Frontalhirns sind ernst zunehmende Folgeerscheinungen exzessiven Alkoholkonsums.
Letztere sind – wie man heute weiß – nur als ausgeprägte Alkoholdemenz irreversibel. Der Körper hat eine starke Regenerationskraft. Neben Mangelernährung und fehlender Vitamine sind eben auch krankhaften Veränderungen im Nervensystem von Bedeutung. Die Abgrenzung einer alkoholassoziierten Demenz zu Morbus Alzheimer und einer vaskulären Demenz ist nicht immer eindeutig, sodass sich die kontroversen Fachdiskussionen über die Häufigkeit im Bereich von 2 bis 24 % bewegen.
Alkoholmissbrauch als Ursache für Demenz
Vorherrschend handelt es sich um Mischformen. Bewiesen ist allerdings, dass Alkoholmissbrauch samt Folgeerkrankungen zusätzlich die Entstehung einer Demenz mit anderer Ursache begünstigt. Vor allem im Alter spricht man von zerebraler Multimorbidität. Durch die Erkrankung kommt es zu einem gestörten Zusammenspiel bis zu einem völligen Erliegen der Nervenzellen. Die wahrnehmbaren geistigen und alltäglichen Defizite nehmen zu. Alkoholdemenzerkrankte in fortgeschrittenem Stadium leiden ebenso an Wesensveränderungen und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses wie Klienten anderer Demenzformen. Als Folge der demografischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung wird in Zukunft die Zahl der Demenzkranken stark ansteigen. Die Weltgesundheitsorganisation berichtet, dass ein Drittel der Todesfälle nach dem 64. Lebensjahr durch Demenzerkrankungen unterschiedlicher Genese verursacht sind. Nicht zuletzt deshalb weil der Anteil der österreichischen Bevölkerung über 60 Jahre im Jahr 2030 laut Statistischem Zentralamt 2,8 Millionen betragen wird. Davon werden voraussichtlich ca. 6 % an Demenz erkrankt sein.
Unterschiedliche Klassifikationssysteme sind in der ärztlichen und psychotherapeutischen Praxis in Anwendung, damit wird eine wahrscheinlich vorhandene Erkrankung festgestellt und die Form bestätigt. Politiker, Kommunen und Gesundheitsverantwortliche haben erkannt, in welche Richtung zukünftige Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Entwicklungschancen nach der Entwöhnung. Wen in jungen Jahren der Umgang mit der eigenen Gesundheit locker gesehen wurde, wird es im Alter schwerer zu akzeptieren sein dass es heißt die Grenzen anzuerkennen und mit Gelassenheit die verbleibenden Möglichkeiten zu erkennen.
Sport begünstigt positives Körpergefühl
In der Beratung, bei Gruppentreffen und in der Psychotherapie fehlen nicht die Hinweise, dass es für ein gutes Körpergefühl hilfreich ist, Sport zu betreiben und Entspannungsübungen zu erlernen. Je nach vorhandenen finanziellen Mitteln reicht der Tipp von Wandern, Walken, Schwimmen, Radfahren bis Fitnessclub, Segeln, Skifahren etc. Eine Lebensweisheit lautet ja „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. „In der Zeit danach ist es von Bedeutung sich bewusst zu machen, welche Gefühle für oder gegen eine Sportart auftreten, bzw. welche Entspannungsmethode passt. Die bewusste Anspannung und Entspannung einzelner Muskelgruppen wie bei der Progressiven Muskelentspannung, soll zunächst zu einer verbesserten Wahrnehmung von Zuständen muskulärer Anspannung und Entspannung führen.
Die Betonung liegt jeweils auf der Entspannung. Das Ziel ist durch häufiges üben eine Kurzentspannung zu erlernen, die z.B. auch in der U-Bahn oder in Stresssituationen angewendet werden kann. Ähnlich wirkt das Autogenes Training. Auch das chinesische Qi Gong morgens 20 Minuten angewendet, verhilft tagsüber zu einer ruhigen Gelassenheit. Eine spezielle Form des Gedächtnistrainings ist Tanzen. Positive soziale Aspekte kommen immer hinzu, denn wenn Menschen tanzen gehen, lernen sie andere Menschen kennen und verlassen ihre Isolation.
Anfangsschwierigkeiten überwinden
Wenn sie wissen, dass sie etwas Sinnvolles gerne tun, dann gibt es ihnen Kraft und Energie um auch die Anfangsschwierigkeiten zu überwinden und langwierige Phasen durchzustehen. Wenn sie sich als Versager erleben, sollten sie sich fragen, ob die Enttäuschung nicht deshalb so groß ist, weil sie besonders hohe Erwartungen an sich selbst gestellt haben, weil sie sich so unbedeutend und schwach gefühlt haben. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn sie besonders hohe Ansprüche haben, können diese auch aus großen Entbehrungen und Enttäuschungen herrühren. Man braucht dann ein übergroßes Maß an Sicherheit als Vorleistung. Oder: Sie haben große Erwartungen an andere, weil sie sich für besser halten, als die anderen, weil sie besser wissen, was richtig oder falsch ist.
Alkohol war in dieser Situation ein probates Mittel, denn die sedierende Komponente der Alkoholwirkung ist bekannt. Sie geht wahrscheinlich auf die Verstärkung bestimmter Bindungsstellen zurück, wo sie auch bei diversen Psychopharmaka eingreift. Die euphorisierende Nebenwirkung entsteht durch die Hemmung einer bestimmten Bindungsstelle im Gehirn mit einer verstärkten Aktivität des Opiatsystems. Diese Art von Beruhigung bzw. Anregung steht nach der Entwöhnung so nicht mehr zur Verfügung. Jetzt sind gesündere Alternativen gefragt. Eine Form der sportlichen Betätigung hat eine besondere Wirkung, auf die ich näher eingehen möchte.
Der Tanz als „Flow“
„Flow“ ist das Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit ,eine Konzentration, ohne erzwingen zu wollen. Dem Tanzen kommt eine besondere Bedeutung als Flow-Aktivität zu, da „Tanzen vermutlich die älteste und bedeutsamste ist, wohl aufgrund der weltweiten Anziehungskraft als auch wegen der potentiellen Komplexität, in diesem Zustand besteht völlige Harmonie zwischen dem System im Gehirn, dass die Emotionen steuert als auch jenem , dem der Sitz für Bewusstsein und Verstand zugeordnet wird“, so der emeritierte Prof. für Psychologie an der Universität von Chicago, Mihály Csikszentmihaly.
Dabei wird besonders viel Adrenalin und Serotonin freigesetzt. Informationen über Umwelt und das Geschehen werden schneller verarbeitet und ausgeführt. Außerdem bleibt ein Flow-Erlebnis immer in positiver Erinnerung.
Drei Punkte sind die Voraussetzung für ein Flow-Erlebnis:
1a) Die Aktivität hat deutliche Ziele
1b) Die Aktivität hat unmittelbare Rückmeldung
1c) Die Tätigkeit hat ihre Zielsetzung bei sich selbst
2.) Die Fähigkeit, sich auf unser Tun zu konzentrieren
3.) Anforderung und Fähigkeit stehen im ausgewogenen Verhältnis, so dass keine Langeweile oder Überforderung entsteht
Die nachfolgenden subjektiven Erlebnisse müssen nicht gemeinsam vorhanden sein, treten aber häufig auf:
1.) Das Gefühl von Kontrolle über unsere Aktivität
2a) Mühelosigkeit
2b) Unsere Sorgen um uns selbst verschwinden
3.) Das Gefühl für Zeitabläufe ist verändert
4.) Handlung und Bewusstsein verschmelzen
„Flow“ kann als Zustand beschrieben werden, in dem Aufmerksamkeit, Motivation und die Umgebung in einer Art produktiven Harmonie zusammentreffen. Musik und Tanz gehören untrennbar zusammen.
Die Musik als Medium
Jeder Mensch fühlt in der Musik nur das, was er fühlen kann und möchte, die Gefühle des Menschen werden individuell angesprochen. Musik wendet sich an den ganzen Menschen. Marschmusik fordert zum Gehen auf, Walzer zum Wiegen und Schaukeln, Stimmungslieder zum Schunkeln. Entsprechende Bewegungsmuster werden in Gang gesetzt. Lebhafte, fröhliche Musik hat anregenden Charakter. Ein klarer Rhythmus animiert zu Schritt-Stampf-Klatsch.
Jeder Mensch hat einen Empfänger für Volkslieder, Schlagermelodien, Schunkel- und Stimmungslieder, aber auch Marschmusik, Walzer und andere Tanzmusik. Entspannend wirken religiöse Lieder und Kirchenlieder. Musik kann beruhigen, zum Beispiel Heimatmusik. Da kennt man sich aus, das ist vertraut, man fühlt sich geborgen.
Musik hat eine unmittelbare Wirkung auf unsere Emotionen. Bedeutsame Erfahrungen und Ereignisse in unterschiedlichen Lebensphasen mit einer bestimmten Musik in Erinnerung zu bringen, ist Bestandteil der menschlichen Kommunikation. Sie vermittelt Geborgenheit als Ausdruck der Gemeinschaft. Der musikalische Geschmack wird gebildet aus Alter, Region, Bildung und sozialen Umständen.
Die emotionale Wirkung entwickelt Musik hauptsächlich im Zwischenhirn, dort aktiviert sie ein System, das eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung der Gefühle spielt. In diesem System werden auch die körperlichen Reaktionen durch Musik hervorgerufen bzw. ausgelöst. Die Musikverarbeitung bedient sich einer größeren Anzahl von Hirnarealen als die Sprache.
Das geistig seelische Erleben des Zweckfreien
Das Eingebunden sein gehört zu den grundlegenden menschlichen Bedürfnisse. Menschen erschließen sich ihre Umgebung durch Bewegung und orientieren sich damit. Der Tanz ist rhythmische Körperbewegung, die nicht unbedingt im Gehen, Schreiten und Drehen umgesetzt werden muss. Alle durch Rhythmus geordneten Körperbewegungen können Tanz werden, wenn zu Rhythmus und Bewegung noch ein drittes Element hinzu kommt:
„In der rechten Hirnhälfte, sitzt u. a. das räumliche Vorstellungsvermögen, die Phantasie und Intuition, das bildliche und ganzheitliche Denken, welches auf Details und Vollständigkeit verzichtet. Das beinhaltet Musikalisches Empfinden, tonales Gedächtnis, Emotionalität, nichtsprachliche Inhalte, die spontane und zielgerichtete Aktivität, die Imagination und die wichtigen Glücksgefühle, die für unser Verhalten auch anderen gegenüber wichtig sind. Sie kann sich schlecht mit Worten ausdrücken.“
Im Gegensatz zur „Logik des linken Hirns mit der musikalischen Wahrnehmung, dem rhythmischen Gedächtnis, der Kontrolle der Emotionalität, der Sprache und dem analytischen Denken.“ (WEIKL)
Warum bestimmte melodische Musik in der Psychotherapie mit Erfolgt angewendet wird, ist jedoch wegen der Komplexität in seinen biologischen Details noch nicht restlos geklärt.
Vorwärts - gehen – seit – ran, seit – ran. Vorwärts - gehen – seit – ran, seit – ran…
So könnte die Anleitung für einen Tanz in der Gruppe für „Tanzen ab der Lebensmitte“ lauten. Laut geht es zu, viel Gelächter ist im Raum.“ Wo ist links, wieso gehe ich jetzt nach rechts und überhaupt mit welchem Fuß? Auf dem ich gerade stehe?“
Eine Runde Erwachsener im Alter von 45 bis 90 treffen sich wöchentlich für 90 Minuten zum Tanzen. Mit oder ohne Partner, ohne Vorkenntnisse, ohne besondere Bekleidung ,um neue Tänze aus aller Welt zu erlernen. Im Kreis, als Paar, in der Reihe, im Block, im Sitzen.
Dem Gedächtnis eine Chance geben
Das gemeinsame Ziel: Tanzen in geselliger Runde, Neues lernen, Altes erinnern, spielerisch bewegen, Gedächtnistraining mit Tänzen aus Europa, Nord- und Südamerika, Afrika… Die Tanzleiterin achtet darauf, dass Aufmerksamkeit und Interesse hergestellt wird, die Beweglichkeit und der Ausdruck gefördert , die Wahrnehmung verstärkt und zum Schluss eine Entspannung eintritt.Manche TeilnehmerInnen haben anfangs Hemmungen mitzumachen, hier hilft mit Unterstützung und Begleitung, Neugier und Interesse zu wecken. Der Tanz kann verschüttete und verdrängte Erinnerungen und Gefühle hochholen. Die Antriebslosigkeit, die eine Depression begleitet, ist zumindest für die getanzte Zeit ausgeschaltet. Die körperliche Bewegung tut gut, senkt den Stresslevel, fördert Blickkontakt und Beziehungsnähe. Auch in der Psychotherapie steht in erster Linie die Begegnung zwischen KlientIn und TherapeutIn.
Alles fällt leichter mit Musik
Tanzen stärkt das Selbstbewusstsein durch das Lernen von Tanzschritten. Entspannung stärkt Herz- und Kreislauf, unterstützt die Beweglichkeit der Gelenke. Die Atmung vertieft sich, der Körper wird gedehnt und gekräftigt. Eine Schulung der Koordination findet statt, man kann tanzen auch als Ausdauertraining bezeichnen. Alles fällt leichter mich Musik, aber es fällt einem nichts in den Schoß. Doch die Belohnung ist dem Tänzer, der Tänzerin gewiss, denn wenn ein Tanz gelingt ist die Freude groß.
Therapeutischen Angebote wirken begrenzt. Eine persönliche Weiterentwicklung reicht über diese hinaus. Besonders bei nonverbalen Ausdrucksmitteln wie Musik und Tanz ist weniger der Inhalt von Bedeutung als die Tatsache, dass damit Dialog und Beziehung stattfindet.
Mit dem Tanz als ursprüngliche Lebensäußerung des Menschen im Zusammenspiel mit der Musik drückt er sein eigenes Bewegt-sein aus. Wer nicht im Rahmen einer therapeutischen Behandlung tanzt oder sich einer Tanzgruppe anschließen möchte, kann es auch zu Hause versuchen. Der Rhythmus von Tanz und Musik gibt neue Kraft. Schon ein einziger unbeschwert getanzter Moment kann neue Lust fürs Leben geben.
Dr. Martha Flaschka
Psychotherapeutin der Fachsektion Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel Psychologin
Diplom. Sozialarbeiterin
Sozial- und Lebensberatung
Tanzleiterin
Fotos: Tobis (3)
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