Die ungewohnte Suchttherapie der „Zukunftsschmiede“
Spannende Reise in die Psyche
von Harald Frohnwieser
„Wir setzen auf die Eigenverantwortung unserer Patienten“, sagt Christian Voggeneder MSc, der die Therapiestation „Zukunftsschmiede“ gemeinsam mit seiner Frau Dr. Karin Voggeneder MSc, gegründet hat, im ausführlichen „Alk-Info“-Interview. „Wir sehen uns nicht als pädagogisches Modell. Unsere PatientInnen sagen uns, was sie in ihrem Leben ändern wollen. Wir mischen uns da nicht ein, wir helfen ihnen lediglich dabei, diesen Weg zu gehen“, so der Psychoanalytiker, der lieber im Hintergrund agiert und daher nicht abgebildet werden will. Die Voggeneders gehen einen völlig neuen Weg in der Suchttherapie: Wenn jemand vor hat, sich beim nächsten Ausgang volllaufen zu lassen oder Drogen zu nehmen, darf das ganz offen sagen.
Pressbaum in der Nähe der österreichischen Bundeshauptstadt Wien. Umgeben von sanften Hügeln und saftigen Wiesen befindet sich inmitten des Wienerwaldes die „Zukunftsschmiede“. Die schmucken Zweitbett-Zimmer sind auf mehrere Häuser aufgeteilt, es gibt einen Sportplatz, eine Kraftkammer, eine Sauna, ein Schwimmbecken und natürlich einen Aufenthaltsraum. Auffällig viele junge Leute (hauptsächlich Drogenabhängige) sind beim „Alk-Info“-Lokalaugenschein anwesend, aber auch ein paar Männer der Generation 50 plus versuchen hier, von ihrer Alkoholsucht loszukommen. Die Atmosphäre ist ungezwungen, es wird miteinander gespielt und gescherzt. Man spürt gleich, dass es sich bei der „Zukunftsschmiede“ um eine Therapiestation der anderen Art handelt. „Wir vergleichen uns gerne mit einer Drei-Stern-Familienpension“, sagt Christian Voggeneder, dem ein persönliches Ambiente sehr wichtig ist. „Denn nur wer sich wohlfühlt hat kein Bedürfnis mehr, sich mit Alkohol oder Drogen zu berauschen“, ist er überzeugt.
„Alk-Info“: Herr Voggeneder, seit wann gibt es die „Zukunftsschmiede“?
Christian Voggeneder: Uns gibt es seit 1993. Begonnen haben wir damals im Weinviertel in Niederösterreich. Da haben meine Frau und ich ein Haus in einer kleinen Ortschaft gemietet mit acht Plätzen. Das war eine private Initiative von uns und als psychotherapeutisches Projekt geplant. Meine Frau und ich sind ja beide Psychoanalytiker.
Jetzt befindet sich Ihre Therapiestation schon seit einigen Jahren im Wienerwald. Wie viele Betten und wie viele Mitarbeiter haben Sie jetzt?
Derzeit haben wir 94 Betten, alles Zweibettzimmer. Unsere Patienten kommen aus ganz Österreich. Beschäftigt sind derzeit 30 Mitarbeiter, die alle fix angestellt sind. Das sind TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und SportlehrerInnen.
Wie kann man sich den Tagesablauf bei Ihnen vorstellen?
Bis um sieben Uhr morgens wir aufgestanden, bis acht Uhr gibt es ein Frühstücksbuffet, um 7.30 Uhr gibt es eine Morgenbesprechung über die Organisation des Tages. Von 8.30 bis 12.30 Uhr gibt es die verschiedensten Therapieeinheiten. Psychotherapie, Sport mit SportlehrerInnen sowie ein Training, um körperlich und geistig wieder in Schwung zu kommen. Außerdem gibt es eine Stunde Aktivitätszeit, das heißt, der Patient hilft am Areal mit um sich damit zu identifizieren. Nach der Mittagspause gibt es die verschiedensten Möglichkeiten. Das reicht von Tai Chi über Yoga, kreatives Gestalten, Berufsorientierung, Selbstverteidigungskurs, Fußball und Reiten.
Wie lange beträgt die Wartezeit auf einen Therapieplatz?
In der Regel können wir jemanden, der zu uns will, sofort aufnehmen. Wir wollen nicht sagen: „Kommen Sie in zwei Monaten wieder“, weil dann ist der Wunsch, mit dem Trinken oder mit den Drogen aufzuhören, schon wieder vorbei. Wartezeiten machen keinen Sinn, weil wenn jemand Hilfe sucht, dann will er sie sofort und nicht erst in ein paar Wochen.
Wie funktioniert eine Aufnahme?
Die Leute rufen in der Regel bei uns an, weil wir von PatientInnen, die schon bei uns waren, empfohlen wurden. Dann braucht es nur noch eine gesundheitliche Untersuchung, weil man trocken oder clean sein muss, wenn man zu uns kommt. Dazu kommt eine Bestätigung der Kostenübernahme durch die jeweilige zuständige Sozialabteilung des Magistrats oder der Bezirkshauptmannschaft. Hat jemand aber keine Kostenübernahme zugesichert bekommen, nehmen wir ihn trotzdem auf, der oder die läuft dann halt so mit, das geht sich finanziell schon irgendwie aus.
Sie haben hier Alkoholiker, aber auch Drogen- und Medikamentensüchtige. Gibt es einen Unterschied in der Therapie?
Nein, wir machen keinen, weil wir davon ausgehen, dass alle eine Substanz nehmen, weil sie sich im nüchternen Zustand nicht wohl fühlen und daher versuchen, mit welchem Mittel auch immer, ihr Gefühlsleben zu dämpfen. Außerdem gibt es den reinen Alkoholiker fast nicht mehr, die sind jetzt meisten mehrfachsüchtig, vor allem die Jungen.
Was passiert bei der Therapie und wie lange dauert sie?
Wir kämpfen seit mehr als 20 Jahren um jeden einzelnen Menschen, damit wir ihn begeistern können für eine Reise in seine eigene Psyche. Gelingt es jemandem, seine eigene Kindheit und Jugendzeit anzuschauen und zu begreifen, was damals emotional nicht verarbeitet wurde, dann haben wir viel erreicht. Denn was damals nicht verdaut wurde, stört das Gefühlsempfinden später als Erwachsenen enorm. Irgendwann stellt man dann fest, wenn ich dieses oder jenes zu mir nehme, dann ist alles ein bisschen leichter. Was die Therapiedauer betrifft: die bestimmt der Patient selbst. Das kann von wenigen Wochen bis zu einem Jahr liegen oder, wenn er/sie es braucht, dann noch länger.
Ist die Vergangenheit wirklich so wichtig?
Wir schauen uns als Schwerpunkt die ganze Vergangenheit an, deshalb gibt es an vier verschiedenen Tagen in der Woche eine Psychotherapie. Das ist ein sehr intensives Setting, wo wir versuchen, dass die PatientInnen eine neue Kompetenz zu entwickeln. Die Frage ist immer, wie sich der Mensch im nüchternen Zustand emotional gut fühlt in seiner Haut. Fühlt sich jemand im nüchternen Zustand wohl, dann ergibt sich das Problem irgendeiner Zufuhr nicht mehr. Für unsere PatientInnen ist es eine Reise zurück, damit sie für die Gegenwart und die Zukunft gewappnet sind.
Wenn jemand bei einem Ausgang rückfällig wird, was passiert dann?
In der Therapie sind Alkohol und Drogen natürlich tabu, aber wenn jemand Ausgang hat, dann ist es seine Sache, was er oder sie dann macht, da gibt es von Seiten der Station keine Einschränkungen. Und man darf, wenn man zurück kommt, über alles reden, ohne dass es einen negativen Einfluss hat. Man kann zum Beispiel als Alkoholiker sagen, dass man sich beim nächsten Ausgang volllaufen lässt. Von uns gibt es nur die Einladung, sich das anzuschauen, was hinter dieser Freude steckt. Aber: Der Betroffene darf rückfällig werden, dieses Modell gibt es sonst nirgendwo. Als wir mit diesem Konzept begonnen haben, haben uns alle gesagt, dass wir verrückt sind, weil das nie im Leben funktionieren kann.
Wie viele lassen sich bei einem Ausgang tatsächlich volllaufen oder nehmen Drogen?
Der Prozentsatz derer, die sich bei einem Ausgang tatsächlich betrinken oder Drogen nehmen, ist fast bei Null. Weil wenn man rückfällig werden darf, dann ist es nicht mehr so interessant. Uns ist es sehr wichtig, dass die Eigenverantwortung vom ersten Tag an, an dem jemand bei uns ist, erlernt wird, weil er die ja braucht, wenn er wieder draußen ist. Es geht einfach darum, dass jemand vom ersten Tag an darüber nachdenkt, was er oder sie selber will, weil niemand von uns etwas von ihm oder ihr will. Ein Beispiel zur Eigenverantwortung. Die ersten zehn Jahre lang kochten unsere PatientInnen selbst. Sie haben das Essen auch eingekauft, und dafür bekamen immer zwei Leute, die gerade mit dem Einkauf dran waren, von uns damals 10.000 Schilling pro Woche in die Hand gedrückt, später waren es etwa 1000 Euro. Am Ende der Woche wurde abgerechnet, sonst gab es keine Kontrolle. Das Erstaunliche dabei ist, dass sich in all den Jahren niemand für das Geld Alkohol oder Drogen gekauft hat, es hat uns nie jemand übers Ohr gehauen.
Sie bieten auch Familientherapie an. Wie wichtig ist diese auf dem Weg zur Genesung?
Sie ist sehr wichtig. Denn wenn in einem Familienverband jemand kippt, so ist das nur ein Alarmsignal dafür, dass es eine Störung in der gesamten Familie gibt. Die Familienmitglieder versuchen oft, all die Konflikte, die sie mit sich selbst haben, auf den Schwächsten zu verlegen. Familiäre Störungen haben in den letzten Jahren enorm zugenommen. War es früher einmal einer von 100, der aus einem zerrütteten Elternhaus kam, so kommen jetzt 95 auf 100. Überhaupt sind die Anforderungen an die heutigen Jungen viel größer geworden.
Welche Anforderungen meinen Sie?
Vor 40 Jahren war es ja so, dass man in einer Firma bis zur Pension gearbeitet hat, diese stabile wirtschaftliche Sicherheit gibt es längst nicht mehr. Die Kinder sind oft sich selbst überlassen, weil beide Elternteile arbeiten gehen, das wird oft mit sehr viel Spielzeug kompensiert, doch die Folge davon ist, dass die Kinder nicht mehr damit spielen, weil sie zu viel davon haben. Ich war schon oft in Afrika. Da haben die Kinder nur ein kleines bescheidenes Spielzeug, mit dem sie spielen können, aber sie strahlen und sind glücklich dabei. Bei uns könnten sie aus dem Vollen schöpfen, aber sie sitzen lieber vor dem Fernseher oder dem Computer. Besonders glücklich sind sie jedenfalls nicht dabei. Dazu kommt, dass viele Jungen nicht mehr gelernt haben, mit einem Nein zu leben, weil ihnen nie Grenzen gesetzt wurden. Je mehr immer alles, was ein Nein betrifft, aus dem Weg geräumt wird, desto schwieriger wird es später einmal, mit Grenzen, die einen der Chef oder die Gesellschaft setzen, umzugehen. Wenn ich dann auf ein Nein stoße, werde ich mir überlegen, wie ich es geistig umfahren kann.
Glauben Sie, dass man eine Sucht vererben kann?
Ich glaube nicht an eine genetische Vererbung, aber es werden gewisse Verhaltensstörungen weiter gegeben. Oft schleppt jemand eine Angst mit sich herum, die nicht die seine oder die ihre ist. Sucht ist der Ausdruck dafür, dass man einen Gefühlszustand hat, der sich nicht gut anfühlt und man nicht gelernt hat, ihn im nüchternen Zustand zu verändern. Man fühlt sich diesem Zustand ohnmächtig ausgeliefert. Man soll aber in der modernen Zeit mithalten, man schafft das aber nicht ohne irgendeinem Mittel. Egal ob Alkohol, Drogen oder Medikamente.
Abschließend noch eine Frage – gibt es eine Erfolgsstatistik?
Es gab Aufzeichnungen während der ersten sieben Jahre. Wobei wir da alle, die jemals bei uns waren, in einen Topf geworfen haben, egal, ob sie nur ein paar Tage oder ein Jahr und noch länger hier waren. Dabei kam heraus, dass etwa 45 Prozent auch Jahre nach der Therapie völlig trocken oder clean waren. Weil diese Zahlen aber sehr konstant waren, haben wir dann damit aufgehört. Wir bekommen aber viele Rückmeldungen von Leuten, die einmal bei uns waren und uns besuchen kommen, daher ist anzunehmen, dass wir noch immer in diesem Bereich liegen.
Zukunftsschmiede Voggeneder GmbH – Stationäre Psychotherapie
3021 Pressbaum, Rauchengern 8
Tel.: +43 (0)664/440 77 45 und +43 (0)664/338 52 74
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Web-Adresse: www.zukunftsschmiede.com
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