Dipl.-Psychologe Jörg Petersson setzt auf schnelle Hilfe
Wenn der Tiefpunkt künstlich organisiert wird
von Harald Frohnwieser
Was in den USA und in Kanada schon lange praktiziert wird, gibt es nun auch in Deutschland. Der Diplom-Psychologe Jörg Petersson verlegt auf Anfragen von Familienmitgliedern oder Firmenchefs mittels einer genau vorbereiteten Intervention den ganz persönlichen Tiefpunkt eines Alkoholkranken vor. Damit könne man, so Petersson, die Leidenszeit eines Alkoholkranken drastisch abkürzen. Peterssons unkonventionelle Methode in der Suchttherapie ist von offizieller Seite her zwar umstritten, hat aber Erfolg: etwa 80 Prozent der Betroffenen begeben sich in eine stationäre Therapie. „Alk-Info“ sprach mit ihm über seine Arbeit.
Die TV-Sendung „Auf Entzug – Zurück ins Leben“ berichtete darüber: Eddie ist Mitte 40 und lebt im Norden der USA. Der ehemalige Baseballspieler, der als sehr talentiert galt, hielt dem Erwartungsdruck seines Vaters nicht stand und begann in seiner Studienzeit mit dem Trinken. Als er aus dem Team flog, ging es mit dem früheren Sportler schnell bergab. Immer schneller drehte sich die Spirale aufgrund des Alkoholkonsums nach unten, was folgte waren Anzeigen wegen Trunkenheit am Steuer, Scheidung, Jobverlust und Obdachlosigkeit. In seiner Familie drehte sich indes alles um ihn, bei seinen Eltern gab es kein anderes Gesprächsthema mehr. Wann wird er im Gefängnis landen oder wann rast er betrunken mit dem Auto aus dem Leben?
Eines Tages wollten die Familienmitglieder nicht länger zusehen, wie sich Eddie selbst ruinierte und baten den Entzugshelfer Jeff Van Vonderen um Hilfe. „Wir sind nicht hier, um ihn schuldig zu sprechen oder zu verurteilen“, stellte er beim ersten Treffen, bei dem Eddie nicht dabei war, gleich einmal fest. Der Psychologe erklärte ihnen auch, was die Abhängigkeit vom Alkohol bewirkt: „Wenn Sie sich in einem stockdunklen Raum befinden und eklige Sachen machen würden, und ich würde das Licht einschalten, dann wäre die Helligkeit nicht das Problem. Sie werden aber versuchen, mir einzureden, dass das Licht das Problem sei oder auch ich. Wenn ich das akzeptiere, mache ich das Licht wieder aus und jeder macht das weiter, was er getan hat. Abhängige bringen ihre Familien so weit.“
Bald nach diesem Treffen wurde Eddie unter einem Vorwand ins Elternhaus gelockt, wo alle Familienmitglieder samt dem Entzugshelfer anwesend waren. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Jeder Einzelne sagte der Reihe nach, wie sehr er Eddie zwar liebe, doch wie sehr ihm/ihr sein Verhalten auch störe und wie groß die Angst um ihn sei. Eddies Bruder drohte mit dem Abbruch der Beziehungen, auch die Eltern sagten ihm, dass sie mit ihm nichts mehr zu tun haben wollen, wenn er sich nicht zu einer Therapie entschließt. Tränen flossen dabei zuhauf. Die konsequente Haltung der Familienmitglieder zeigte Wirkung: Eddie flog schon am nächsten Tag nach Florida, wo von Van Vonderen in einer Suchtklinik bereits ein Platz für ihn organisiert war. Eddie hat die Therapie erfolgreich absolviert und besucht regelmäßig die Treffen einer Selbsthilfegruppe.
Konfrontative Intervention auch in Deutschland
Der Diplom-Psychologe Jörg Petersson setzt seit 2012 ebenfalls auf diese, den europäischen Verhältnissen angepasste Methode und ist im deutschsprachigen Raum einer der Wenigen, der Familienmitglieder und Firmenangehörigen diese „konfrontative Intervention“, wie er sie nennt, anbietet. „Meine Kunden sind die Familien und die Firmen und nicht der Betroffene“, stellt Petersson im Gespräch mit „Alk-Info“ klar. Auch er erklärt in der ersten Sitzung, in der der Betroffene noch nicht dabei ist, was Alkoholismus ist und dass sein Ziel die Erreichung einer klaren Abstinenz ist. In einer zweiten Sitzung, immer noch ohne dem Alkoholkranken, wird die Rollenverteilung klar definiert. Mit jedem der Anwesenden wird durchgegangen, was er an den Süchtigen für Forderungen stellt. „Das übe ich auch mit ihnen, damit es überzeugend rüber kommt“, erzählt Petersson.
Dann, in der dritten Sitzung, kommt es zur Konfrontation mit dem Alkoholiker, dem im Vorfeld erzählt wird, dass es ein Familientreffen oder ein Personalgespräch in der Firma gibt. „Dabei kann es auch vorkommen“, so Petersson, „dass der Betroffene so geschockt ist, dass er am liebsten flüchten will.“ Doch das kommt selten vor und in der Regel hören sich die Alkoholkranken an, was die Familie oder die Arbeitskollegen zu sagen haben. „Wichtig ist für mich herauszufinden, was dem Betroffenen wertvoller ist als das Trinken“, beschreibt der Experte, der 40 Jahre mit Alkoholikern gearbeitet hat, sein Konzept.
Schnelle Hilfe
Zu dem auch gehört, dass dem Alkoholkranken rasch geholfen wird, wenn er sich zu einer Therapie entschließt, was immerhin 80 Prozent tun. „Ich biete ihm zunächst eine Entgiftung an, die vier bis sieben Tage dauert und die bereits für den folgenden Tag terminisiert ist“, berichtet der diplomierte Psychologe. Diese geht über in eine 14-tägige stationäre Motivationstherapie in einer Einrichtung und von dort ohne Verzug in die stationäre Therapie, die mehrere Wochen dauert. „Ich bespreche mit den Angehörigen auch die Möglichkeit eines Rückfalls, aber nicht in Anwesenheit des Betroffenen. Ich sage ihnen, dass der Alkoholiker vielleicht noch nicht ganz glauben kann, dass er mit dem Alkohol nicht mehr normal umgehen kann“, erzählt Petersson, der sagt, dass Leute, die zu den Anonymen Alkoholikern gingen, ihm am Anfang seiner Karriere vor 40 Jahren beibrachten, was Alkoholismus wirklich bedeutet. Das Honorar wird in drei erfolgsabhängigen Schritten bezahlt: ein Drittel am Ende der Entgiftungsbehandlung, eines nach der Motivationsphase und eines drei Monate danach, sofern die Therapie erfolgreich war.
Warum setzt Jörg Petersson auf diese Intervention, die er von den Städten Köln und Osnabrück aus anbietet? „Ich helfe einfach nur nach und führe einen Tiefpunkt, einen Schock, lediglich früher herbei als er ohnehin gekommen wäre. Also bevor Scheidung und Jobverlust bereits eingetreten sind. Und auch nicht im unvermeidlichen Chaos, sondern unter kontrollierten Bedingungen. Ich verkürze nur den Zeitpunkt.“ So kann er, wie Petersson betont, den Leidensweg des Süchtigen und den der Angehörigen, der gekennzeichnet ist mit Heimlichtuerei und Schuldgefühlen, drastisch abkürzen.
„Erreiche viele unwillige Alkoholiker“
So manche Suchtexperten teilen Peterssons Ansicht nicht.„Das Risiko ist groß, dass die Person zumacht“, sagt Christa Merfert-Diete, Sprecherin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, in einem Interview mit dem „Kölner-Stadtanzeiger“. Harald Seeger, Leiter der Suchtfachstelle vom Blauen Kreuz in Köln, meint, es sei besser, dass ein Zögernder aus freien Stücken eine Beratungsstelle aufsuchen soll. Jörg Peterssons Konter: „Die traditionelle Suchthilfe setzt die Motivation des Betroffenen voraus, bevor sie aktiv wird. Dass ein Alkoholiker von selber mit dem Trinken aufhören will, halte ich jedoch für reine Propaganda. Ich erreiche zumeist völlig unmotivierte Suchtkranke, die sich dann dennoch zu einer Therapie entschließen.“ Zu diesem Thema postet Petersson auf seiner Website www.inside-sucht.de auch einen Witz: „Wie viele Suchtberater braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Einen, aber die Glühbirne muss auch wirklich wollen!“
Die Ablehnung der offiziellen Seiten der konfrontativen Intervention gegenüber wird sich nicht so schnell legen. „Dazu ist das Thema Alkoholismus für diese sich selbst erhaltenen Systeme ein zu großes Geschäft“, ist Petersson überzeugt. Doch nicht alles, was aus den USA kommt, muss von vornherein abgelehnt werden. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg waren es US-Soldaten, die die Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker nach Deutschland und Österreich brachten…
Psychologische Fachpraxis für Suchtfragen
Web-Adresse: www.deutsche-suchthilfe.de
Fotos: Jörg Petersson (1) Grafiken: Thomas Frohnwieser (2)