Pille fürs kontrollierte Trinken
Einfache Lösung für komplizierte Erkrankung?
von Harald Frohnwieser
Olivier Ameisen, ein Arzt aus Frankreich, ist überzeugt davon, dass er seine Alkoholsucht mit einer Pille, die er täglich einnimmt, im Griff hat und er wieder kontrolliert trinken kann. Doch Alkoholismus ist eine hochkomplexe Erkrankung, für die es keine einfache Lösung gibt, warnen der ärztliche Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Kalksburg, Prof. Michael Musalek, und viele seiner Kollegen vor einer allzu großen Euphorie.
Die Nachricht, dass es bald eine Pille gibt, die es Alkoholikern ermöglicht, wieder kontrolliert zu trinken, geistert mit Regelmäßigkeit durch die Medien. Auch jetzt soll es bald so weit sein. Forscher setzen darauf, dass eine dementsprechende Pille bald auf dem Markt sein wird. Sie soll das Verlangen auf Alkohol reduzieren, da sie auf das Belohnungszentrum des Gehirns einwirken. In einem Interview mit dem Kurier sagte die Sozialpsychiaterin der MedUni Wien, Univ.-Prof. Henriette Walter im Herbst 2011: „Wir wissen heute, dass viele Alkoholabhängige ihr Trinken mit der richtigen Begleitung in den Griff bekommen können.“ Und weiter: „In den deutschsprachigen Ländern und in den USA liegt es offenbar in der Kultur, dass völlige Abstinenz noch immer oberstes Ziel ist.“
Der Präsident der Gesellschaft für Suchtmedizin, Univ-Prof. Otto Lesch, warnt davor, dass nach einem Entzug rückfällig gewordene Alkoholiker oft mehr als zuvor trinken. Auch er ist für eine Therapie mit einem Medikament, das kontrolliertes Trinken wieder ermöglicht. Denn dann gibt es keine Abstinenz – und somit auch keinen Rückfall.
Wie steht der ärztliche Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Kalksburg, Wien, Prof. Michael Musalek, zu dieser Therapieform? „Das kann für manche vielleicht ein erster Motivationsschub sein, ihre Dosis herunter zu schrauben, und sind dann vielleicht bereit für eine Therapie“, sagt er im Interview mit „Alk-Info“. Aber: „Bei Menschen, die bereits eine körperliche Abhängigkeit erreicht haben, halte ich es für völlig unwahrscheinlich, dass ein Medikament sinnvoll eingesetzt werden kann. Da bleibt eine Abstinenz die einzige Wahl.“ Und: „Die Therapie für die Kerngruppe, die tatsächlich erkrankt ist, kann durch eine Pille nicht ersetzt werden.“
Ende einer Sucht?
Anders sieht das der französische Arzt Olivier Ameisen, 59,, der sagt, dass er seine Alkoholsucht nun mit dem Medikament Baclofen völlig im Griff hat. In seinem Buch „Das Ende meiner Sucht“ schreibt der in New York und Paris lebende Mediziner, dass er jederzeit ein Glas Wein trinken könne, ohne danach ein weiteres trinken zu müssen. „Meine Abstinenz war eine Folter“, so Ameisen, „heute nehme ich täglich eine Tablette und bin dem Alkohol gegenüber völlig gleichgültig.“
Baclofen ist ein Mittel, das eigentlich in der Neurologie zur Muskelentspannung eingesetzt wird. Und soll in einer höheren Dosierung das Verlangen nach Alkohol unterdrücken. Süchtig macht das Medikament angeblich zwar nicht, aber es kann schläfrig machen und Schwindelanfälle auslösen. Olivier Ameisen nimmt das Medikament seit nunmehr zehn Jahren, zuvor war er wegen seiner Alkoholabhängigkeit erfolglos in mehreren Kliniken zur Therapie, hatte sich nacheinander im Suff die Hand und die Schulter gebrochen und war nach einem Blackout mit mehreren gebrochenen Rippen erwacht, die sich durch seine Lunge bohrten. „Ich war längst tot“, bringt der Mediziner seinen damaligen Gesundheitszustand auf den Punkt. Ameisen will seine Erfahrungen mit Baclofen weiter geben und verschreibt Alkoholikern, die ihn konsultieren, das Medikament. „Die Resultate sind einfach überwältigend“, ist Ameisen begeistert.
Keine einfache Lösung
Eine Begeisterung, die sich bei den meisten seiner Kollegen freilich in Grenzen hält. „Sucht ist keine einfache Erkrankung“, so Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit im deutschen Mannheim. Kiefer kann sich zwar vorstellen, dass Baclofen einigen Menschen vielleicht helfen kann, aber ob es wirklich effektiv hilft – davon ist er nicht überzeugt.
Sein österreichischer Kollege Michael Musalek stößt in das selbe Horn: „Eine Suchterkrankung ist ein hochkomplexes Geschehen, wo psychische, körperliche und soziale Faktoren ineinander übergreifen. Daher kann es keine einfache Lösung geben.“
Auch eine Userin, die sich in einem Alkoholikerforum zu zu diesem Thema zu Wort meldet, schreibt: „Eine Pille, die den Saufdruck verhindert, würde an den Symptomen „herumdoktern“ und nicht an den Ursachen.
Das ist nicht nur bei der Alkoholabhängigkeit, sondern bei vielen Krankheiten so. Ich sehe die Thematik deshalb so ähnlich wie Karsten. Wer trocken werden oder nicht mehr Co-abhängig leben will, kann das. Aber er muss dafür arbeiten. Eine Pille wäre nur wieder ein Weg, diese Arbeit zu umgehen und auf Dauer daher meines Erachtens nur ein andere Krücke, mit dem Leben klar zu kommen.“
Keine Langzeitstudien
Baclofen ist freilich nicht das einzige Medikament, das als Pille gegen das Saufen angepriesen wird. Aber ob ein Medikament wirklich helfen kann, damit ein Alkoholiker wieder kontrolliert trinken kann, ist mehr als fraglich. Noch dazu, wo es diesbezüglich keine Langzeitstudien gibt. Es wäre schön, wenn es für alles eine einfache Lösung geben könnte, aber das Leben ist vielfältig und bietet bei Problemen selten einfache Wege an, die nur geradeaus führen. In den 1960er Jahren galt Antabus als ultimativer Durchbruch bei der Bekämpfung gegen die Alkoholsucht. Wer morgens eine Pille einnahm wusste, dass er nun den restlichen Tag keinen Schluck Alkohol su sich nehmen durfte, da es ihm sonst speiübel wurde. Auch heftiges Herzrasen war eine Folge der Kombination von Pille und Bier, Wein oder Schnaps. Nachdem es aber einige Todesfälle gab – nicht immer hielten sich die Patienten an das absolute Alkoholverbot nach einer Einnahme von Antabus – wird das einst so hochgepriesene Mittel längst nicht mehr verschrieben. Es wird die Erfahrung mit Baclofen oder anderen Pillen, die Alkoholiker angeblich wieder ein kontrolliertes Trinken ermöglichen sollen, zeigen, ob eine gar so einfache Lösung für eine höchst komplizierte Erkrankung möglich ist.
Foto: Thomas Frohnwieser (1)
Zum Thema: „Ich kann jeden verstehen, der lieber abstinent lebt!“