ALKOHOLTHERAPIE: BITTE WARTEN…
Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Sie krümmen sich eines Tages aufgrund quälender Magenschmerzen zusammen, der stechende Schmerz, den Sie empfinden, fühlt sich an, als würde jemand ein Messer in Ihren Bauch rammen und dann damit darin herum wühlen. Sie haben nur noch Eines im Kopf: Ich brauche Hilfe, und zwar jetzt. Mit letzter Kraft wählen Sie den Rettungsnotruf, die Sanitäter sind wenige Minuten später zur Stelle, verfrachten Sie in den Rettungswagen und es geht ab in die Klinik. Hier werden Sie von einem Arzt oder einer Ärztin untersucht. Die Diagnose wird Ihnen unmittelbar danach mitgeteilt: Sie haben ein aufgeplatztes Magengeschwür. Und wenn das nicht sofort behandelt wird, kann es für Sie lebensbedrohlich werden.
Doch dann die unvorstellbare Mitteilung, die Sie wie ein Hammer trifft: Zur Zeit ist kein Platz für Sie im Krankenhaus frei. Kommen Sie in drei Monaten wieder!
Oder Sie unternehmen eine Wanderung, stürzen dabei und brechen sich das Bein. Der Rettungshubschrauber fliegt Sie ins nächste Unfallkrankenhaus – und dort hören Sie, dass Sie in acht bis zehn Wochen wieder vorbeihumpeln sollen, weil beim Gips ein Engpass herrscht.
Unvorstellbar, sagen Sie? Wenn Sie damit eine ganz „normale“ Erkrankung wie ein gebrochenes Bein, eine Blindarmentzündung oder einen Magendurchbruch meinen, haben Sie natürlich recht. Wenn Sie aber an Alkoholismus erkrankt sind, dann ticken die Uhren in unserem Gesundheitssystem leider anders – sie werden auf eine Warteliste gesetzt und haben Glück, wenn in zwei Monaten ein Bett für Sie in einer Entzugsklinik frei wird. Wenn Sie Pech haben warten Sie drei Monate und noch länger darauf, dass endlich ein freies Bett für Sie zur Verfügung steht. Hier wird ganz offensichtlich am falschen Platz gespart, wenn man bedenkt, wie hoch die Folgekosten durch Arbeitsun- und ausfälle, durch Behandlungen von Leberzirrhose etc. oder von alkoholbedingten Autounfällen sind.
Politik steckt den Kopf in den Sand
Das ist nicht nur ein Skandal, sondern auch eine unvorstellbare Quälerei für den an Alkoholismus Erkrankten, aber auch für dessen Familie, die hofft, dass der Vater, die Mutter, der Bruder oder die Schwester möglichst bald von ihrer Sucht befreit sind. Und es ist eine Ignoranz der zuständigen Stellen. Während in Österreich mehr als 1,1 Millionen Menschen einen ebenso chronischen wie äußerst gefährlichen Umgang mit dem Alkohol pflegen, steckt die Politik den Kopf in den Sand – und das schon seit Jahren. Unternommen wird nichts. Nach dem Motto: Wenn wir das Problem nicht ansprechen, dann existiert es nicht. So einfach, und so falsch.
Schon im Jahr 1998 alarmierte eine im Bundesland Oberösterreich durchgeführte Umfrage unter Kindern, wonach jeder elfte Elfjährige zumindest ein Mal wöchentlich Alkohol konsumiert. Die Reaktion der staatlichen Stellen war gleich Null. Es ist halt ebenso, da kann man nichts machen.
Mittlerweile schaffen es die Koma-Kids, die sich bewusstlos saufen, nicht Mal mehr in die Schlagzeilen, zu „normal“ sind diese Meldungen schon geworden. Und wie lange Nachrichten von Alko-Lenkern, die mit zwei, drei oder mehr Promille hinter dem Lenkrad erwischt werden, noch den Medien ein paar Zeilen wert sind, ist nur noch eine Frage der Zeit.
Optimale Therapie gefordert
Es wird höchste Zeit, dass die Politik aufwacht und endlich mehr Plätze für dementsprechende Therapien schafft. Mit geschulten Ärzten und Therapeuten, die die Alkoholkranken nicht nur für ein paar Wochen trocken legen, sondern ihnen ab dem Zeitpunkt, zu dem Sie dazu bereit sind, eine optimale Therapie bieten und sie auch dazu animieren, nach ihrer Entlassung längst bewährte Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker oder das Blaue Kreuz aufzusuchen (siehe auch „Nüchtern zu sein ist Pflicht!“ oder „Mein Name ist…“). Denn noch immer gibt es in so manchen Therapieeinrichtungen Ärzte, die keine Ahnung davon haben, wer diese Selbsthilfegruppen sind und wie sie arbeiten. Auch das ist ein Skandal. Es gibt tatsächlich Ärzte und Therapeuten, die zum Beispiel die Anonymen Alkoholiker – eine seit mehr als 75 Jahren weltweit erfolgreiche Selbsthilfegruppe – nur dem Namen nach kennen aber von deren Programm keine Ahnung haben. Jeder Kleinst-Unternehmer weiß, was die Konkurrenz so bietet. Interessiert er sich dafür nicht, wird sein Geschäft bald den Bach runter gehen.
Auch was die Prävention betrifft, geschieht leider viel zu wenig. Hier muss schon im frühen Kindesalter angesetzt werden. In Sachen Aufklärung über die Gefahren des Alkohols ebenso wie in der Stärkung des Selbstvertrauens. Denn Kinder, die über ein gesundes Ego verfügen, werden als Jugendliche kaum zur Flasche greifen, um sich ins Koma zu befördern.
Doch daran will sich kein Politiker die Finger verbrennen. Saufen ist gesellschaftsfähig, und wer irgendwann aus dem Rahmen fällt, ist selber schuld. Und kann lange warten, bis ihm Hilfe angeboten wird. Wenn er es überhaupt erlebt.
Ihr Harald Frohnwieser