EINMAL SÄUFER,
IMMER SÄUFER!
Dr. Thomas Legl, therapeutischer Leiter vom „Therapiesalon Peterhof“, brachte es im „Alk-Info“-Interview auf den Punkt: „Bei manchen Familien ist der Patient schon seit Jahren das schwarze Schaf, auf den alles Schlechte abgewälzt wird. Wenn der sich dann positiv entwickelt, dann fehlt etwas, und dann entsteht oft eine negative Dynamik, den Problemangehörigen wieder dorthin zu bringen, wo er Jahre lang war. Man will ihn nicht aus seiner Schublade lassen.“ (siehe auch „Wo der Genuss ganz im Vordergrund steht“).
Ein wahres Wort. Ein schwarzes Schaf wird immer gebraucht, sei es im Büro, in der Fabrik oder im Familienkreis. Und wer bietet sich dafür besser an als ein – wenn auch trockener – Alkoholiker? Der früher gesoffen hat, unzuverlässig war und seine Familie oder die Kollegen mit seiner Krankheit belastete. Über den kann man sich auch Jahre nach seiner Genesung noch erheben, kann ihm sein damaliges Verhalten immer wieder vorwerfen, kann ihn bei Beförderungen übergehen, kann ihn zur Zielscheibe von Mobbingattacken erklären. Ganz nach dem Motto: „Dir kann man nicht vertrauen.“ Was man meistens so nicht sagen muss. Es reicht, dass man ihn das spüren lässt. Dass man ihm keine Verantwortung überlässt oder dass man ihn hinter seinen Rücken ausrichtet. Worte wie „Der hat ja früher so gesoffen“ kommen eben immer gut an. Und drücken den Betroffenen in eine Schublade, aus der er schwer wieder raus kommt.
„Wir haben es ja gewusst…“
Dagegen wehren kann sich ein trockener Alkoholiker selten. Was soll er auch sagen? Immer wieder betonen, seht her, ich bin jetzt trocken, zeigen ihm selbst nur, wo er einmal war und führen ihn sein Fehlverhalten von einst immer wieder vor Augen. Obwohl er nie wieder dorthin will, wo er einst stand, lässt ihn die Vergangenheit nicht los. So lange, bis er einen Rückfall hat. Und dann heißt es, wir haben es ja immer gewusst, dem kann man nicht vertrauen, der ist unverbesserlich.
Freilich will ein trocken gewordener Alkoholiker selten, dass man ihm immer wieder auf die Schulter klopft und ihm sagt, wie super er sei, weil er jetzt keinen Tropfen mehr anrührt. Auch das würde ihn zu einem Kleinkind degradieren, das man immer loben muss. Ich kann mich noch gut an einen Freund erinnern, der schon zwei Jahre lang trocken war, aber seine Mutter mehrmals am Tag anrufen musste. Nur damit sie hört, dass seine Stimme nicht besoffen klingt. Und da gab es den Ehemann, der sich von seiner Frau immer wieder anhauchen ließ, nur um sicher zu sein, dass sie nichts getrunken hatte. Und das nach mehreren Jahren absoluter Trockenheit.
Alkoholiker, die ihr Leben radikal verändert haben und jedes Glas stehen lassen, wollen vielmehr ernst genommen werden, wollen wie jeder Mensch Anerkennung für das, was sie leisten – sei es im Beruf, für die Familie oder für ihr soziales Engagement. Sie wollen Respekt, zumindest ein Mindestmaß davon. Und sie wollen ganz sicher nicht immer wieder mit ihrer Vergangenheit auf Lebenszeit konfrontiert werden. Jemand, der mir persönlich wirklich sehr gut vertraut ist und der sich vor Jahren in den Abgrund soff, aber seit vielen Jahren trocken ist, durfte sich nicht einmal um seine kleinen Verwandten kümmern. So einem kann man ja kein Kind anvertrauen! Da bleibt als letzter Schutz vor einem Rückfall oft nur noch ein radikaler Bruch mit jenen Menschen, die man einst geliebt hat. Leider.
Amerikaner viel offener
Mein Kollege Werner Schneider hat eine hervorragende Reportage mit dem Titel „Wann vergeht Vergangenheit?“ geschrieben. Darin erzählt ein Mann wie schwer es für ihn war, als trocken gewordener Alkoholiker in seinem Beruf wieder Fuß zu fassen. In den USA ist das anders. Wer bei einem Vorstellungsgespräch sagt, dass er trockener Alkoholiker ist und in eine Selbsthilfegruppe geht, zum Beispiel zu den Anonymen Alkoholikern, hat die besten Chancen auf den Job. Die Amerikaner gehen damit viel offener um und die meisten, vor allem Chefs, erkennen, dass jemand, der ganz tief unten war, es aber wieder geschafft hat, sich hochzurappeln, über besonders viel Stärke verfügt. So einem kann man vertrauen, der kann Probleme lösen, das hat er ja bei sich selber am besten bewiesen. Und so einem kann man auch einen verantwortungsvollen Posten anvertrauen!
Aber bei uns muss man sich als Alkoholiker immer noch verstecken, auch wenn man sein Leben wieder neu aufstellen konnte. Damit Verwandte oder Kollegen nicht blöd über einen reden. Das Traurige dabei ist, das sie es trotzdem tun. Und so dem Betroffenen keine Chance lassen, ein normales Leben zu führen. Ist ja auch recht praktisch, jemanden zu haben, über den man lästern kann. Das wendet von einem selbst, von den eigenen Unzulänglichkeiten ab. Weil es angenehmer ist, auf die Fehler – wenn auch längst vergangene – des anderen hinzudeuten als auf die eigenen. Getreu dem Motto „Einmal Säufer, immer Säufer“ wurde der perfekte Sündenbock geboren. Und der soll gefälligst da bleiben, wo man ihn hingestellt hat.
Ihr Harald Frohnwieser