Alkohol: Das Bekenntnis eines Paters
„Es ist eine große Freiheit geworden!“
von Harald Frohnwieser
Der Wein hat in der Bibel schon immer eine Rolle gespielt. Noah lag besoffen im Weinberg, Jesus hat Wasser in Wein verwandelt und beim letzten Abendmahl gab es den Rebensaft für die Apostel. Auch Pater Hermann*, der aus dem benachbarten Ausland vor Jahren nach Österreich kam und hier in einem Kloster lebt, hat vom Wein gekostet. Jahrelang und viel zu viel. Doch der Gottesmann ist nun trocken und besucht eine Selbsthilfegruppe, weil er seine Erfahrungen weiter geben will. Dass es sich dabei um das Blaue Kreuz handelt, das zur evangelischen Kirche gehört, stört den katholischen Pater nicht.
„Ich habe eigentlich sehr spät zu trinken angefangen, da war ich Ende 20“, sagt Pater Hermann, der anonym bleiben will, „und ich habe auch immer Pausen zwischen den Saufgelagen gemacht.“ Den Grund seines heftigen Alkoholkonsums kennt er heute: „Ich war damals Lehrer in einem Gymnasium und habe ein Internat geleitet, wo ich für alles verantwortlich war – von der Erziehung der mir anvertrauten Jugendlichen bis zu den finanziellen und personellen Belangen. Das war ganz einfach zu viel für mich, ich war überfordert.“ Der Weißwein, den er trank, machte ihn gelassener, ruhiger: „Das machte mich lebendig, weckte mich auf.“ Aus dem einen Glas zum Abschalten wurden bald zwei Gläser, dann drei und schließlich eine ganze Flasche. „Bemerkt hat das lange Zeit niemand. Und dann, als es meinen Mitbrüdern auffiel, hat sich keiner was zu sagen getraut, weil ich der Chef war.“ Dazu kam, dass er zwischendurch auch als Pfarrer tätig war. „Da habe ich auch Hausbesuche gemacht. Und wenn der Pfarrer kommt, dann steht halt immer der beste Wein auf dem Tisch. Dann wurde die Zunge gelockert und von Problemen erzählt.“
Glücklich mit seinem hohen Alkoholkonsum war Hermann, der in wenigen Jahren seinen Siebziger feiern wird, nicht: „Ich habe immer wieder dagegen angekämpft, insgesamt acht Jahre lang.“ Alle verzweifelten Versuche, von der Flasche loszukommen, halfen nichts: „Der Saufdruck kam immer wieder.“ Ein Autounfall sollte einen Wendepunkt in seinem Leben darstellen: „Mein Führerschein war weg. Ich habe mich aber nicht raus geredet, sondern die Karten offen auf den Tisch gelegt.“ Resultat des Unfalls, bei dem zum Glück niemand verletzt wurde: „Ich legte mich in ein Spital und machte danach eine Entziehungskur in einem privaten Therapiezentrum für Alkoholiker.“
Evangelische Therapie für katholischen Pater
Warum eine private und nicht eine staatliche Klinik? Pater Hermann: „Es gab hier sehr viel Beschäftigung den ganzen Tag über. Psychotherapie, Gruppengespräche, Schwimmen, Turnen, Zeichnen, Musik, das alles gibt es in einer staatlichen Klinik nicht, da sitzt man den ganzen Tag nur herum.“ Dass die Entzugsklinik zu einer Organisation der „Konkurrenz“ gehörte, störte ihn nicht: „Das Blaue Kreuz, das von evangelischen Priestern in der Schweiz gegründet wurde, ist in meiner Heimat sehr präsent“, sagt der katholische Gottesmann, der nach seinem Klinikaufenthalt die Selbsthilfegruppen vom Blauen Kreuz besuchte (siehe auch „Nüchtern zu sein ist Pflicht!“).
Drei Monate dauerte die Therapie, der freilich ein Rückfall folgte. „Das war 2007“, erzählt der weltoffene Pater, den neben seiner Spiritualität auch sein Humor auszeichnet, „also ging ich nochmals auf Kur, diesmal jedoch ein wenig kürzer. Seit damals bin ich trocken und der Alkohol geht mir überhaupt nicht ab. Im Gegenteil, es ist eine große Freiheit geworden. Ich muss nicht mehr trinken.“
Nicht selbst erlösen
Hat der Glaube eine Rolle in seinem Genesungsprozess gespielt? „Er hatte sowieso immer einen großen Stellenwert in meinem Leben“, erzählt der Pater, der schon als Kind wusste, dass er einmal Priester werden wird, „und so war es bei meiner Genesung sehr wichtig für mich zu wissen, dass ich zwar eine Schuld wegen des Alkohols auf mich geladen habe, aber dass ich einen Erlöser habe, der mir meine Schuld wieder nimmt. Gott als der barmherzige Vater – das hat mir schon sehr geholfen.“ Nachsatz: „Ich muss mich nicht selbst erlösen.“
Angst hatte er freilich, dass er von der Gesellschaft ausgeschlossen ist, wenn er nicht mehr trinkt. Und dass er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. „Aber es geht gut ohne dem Alkohol, sehr gut sogar“, ist seine Erkenntnis nach den Jahren ohne täglichen Spiritus, den er durch Spiritualität ersetzt hat. Und so kann er sich eine Genesung vom Alkohol ohne einer geistigen Suche gar nicht vorstellen: „Ich glaube nicht, dass das geht und wenn, dann stelle ich mir das sehr schwer vor.“
Deshalb geht er auch weiterhin in die Selbsthilfegruppe vom Blauen Kreuz: „Ich fühle mich zwar schon gefestigt, aber ich will meine Erfahrungen weiter geben, denn es geht ja nicht nur um mich.“ Und da es in jener Gruppe, die er besucht, sehr stark um Religion geht, fühlt er sich hier gut aufgehoben.
Apropos Religion: Alkohol hat in der Bibel einen beträchtlichen Stellenwert. „Es steht ja, dass der Wein das Herz des Menschen erfreut“, zitiert Pater Hermann einen Psalm aus dem „Buch der Bücher“. Und weiter: „Schon Noah war besoffen und schlief seinen Rausch in seinem Weinberg aus, wo er von seinem Sohn gefunden wurde. Der hat sich dann lustig über ihn gemacht.“ Auch dass es beim letzten Abendmahl Wein für die Apostel gab, steht geschrieben. „Das kommt in der Rockoper ,Jesus Christ Superstar' sehr gut hervor. Da singen die Apostel vom Wein und schlafen anschließend ihren Rausch aus“, lacht Pater Hermann.
Traubensaft statt Wein bei Messe
Aber auch im Neuen Testament kommt der Wein immer wieder vor: „Denken Sie nur an das Wunder von Kana, wo Jesus Wasser in Wein verwandelt hat. Und Jesus war so großzügig – als die Hochzeitsgäste schon besoffen waren, hat er ihnen noch Wein geschenkt, und zwar den besten. Im jüdischen Leben gehört der Wein zur Tradition und wir Katholiken brechen bei der Eucharistie ja das Brot und trinken den Wein dazu“, schmunzelt der Pater. Für ihn freilich kommt das nicht mehr in Frage: „Wenn ich die Messe feiere, dann gibt es für mich Traubensaft“, stellt er unmissverständlich klar.
Schuldgefühle wegen seiner Alkoholabhängigkeit gab es schon, aber: „Die Leute, die davon gewusst haben, haben mir verziehen.“ Wie sehr haben ihn seine Erfahrungen mit dem Alkohol zu seinen jetzigen Erkenntnissen geführt? „Ich glaube oder hoffe, dass ich spiritueller geworden bin als ich es früher war“, sagt er. Und: „Wer das alles durchgemacht hat, ist nachher reifer.“
Pater Hermann macht einen zufrieden Eindruck, lacht gerne. Das liegt wohl in seinem Resümee, das er aus seinem Leben zieht: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas entbehren muss. Im Gegenteil, ich habe sehr viel dazu bekommen. Viel mehr, als ich früher hatte, als ich noch trinken musste. Sehr, sehr viel mehr sogar…“
* Name von der Redaktion geändert
Foto: Thomas Frohnwieser (1)