John Lennon und der Alkohol
„Eine explosive Mischung…“
von Harald Frohnwieser
Als Beatle schrieb er einen Welthit nach dem anderen: „All You Need Is Love“, „Revolution“, „Strawberry Fields Forever“ oder „Help“ sind längst Klassiker geworden, zu denen sein kongenialer Partner Paul McCartney keine einzige Textzeile oder Note beitrug. Nach dem Ende der Fab Four startete er im Alleingang nochmals durch: „Give Peace A Chance“, „Mother“, „Instant Karma“, „Imagine“ oder „Woman“ zeugen Jahrzehnte nach ihrer Entstehung immer noch von seiner Genialität: John Lennon war ein begnadeter Songschreiber, aber auch ein höchst komplizierter Mensch, der schwer einzuordnen war. Vom harten Rocker bis hin zum fröhlich wirkenden Mädchenschwarm, vom Friedensapostel, Revoluzzer, politischen Aktivisten und Hausmann, der sich um sein Baby kümmerte und selbst das Brot buk, reicht der Bogen seiner Persönlichkeit. Wobei Alkohol und Drogen schon früh eine Rolle in seinem Leben spielten. Keine positive, versteht sich…
Keine Frage, der Teenager in der Lederkluft war ein zorniger junger Mann. Vom trunksüchtigen Vater, ein Seemann, schon früh im Stich gelassen, und von seiner lebenslustigen Mutter Julia zur strengen Tante Mimi abgeschoben, wusste der am 9. Oktober 1940 im englischen Liverpool geborene John Lennon schon früh, was Schmerz bedeutet. Ein Schmerz, der sich ins Unermessliche steigerte, als er mit 17 seine Mutter, zu der er seit zwei, drei Jahren wieder einen engeren Kontakt hatte, auch schon wieder verlor. Diesmal für immer – ein betrunkener Polizist führte Julia über den Haufen, sie war sofort tot.
Der 17-jährige Lennon reagierte auf seine Weise - und befand sich fast zwei Jahre lang im Dauerrausch. Kein Wunder, hatte er doch seine Mutter ein zweites Mal verloren. Im Juni 1957, wenige Monate nach Julias Tod, besuchte Paul McCartney, damals gerade mal 15 Jahre alt, zusammen mit einem Freund ein Kirchenfest im Liverpooler Stadtteil Woolton, wo John Lennons Band „The Querrymen“ spielte. Paul McCartney, der in einer Pause der Band auf seiner Gitarre vorspielte, erinnerte sich später: „Da war dieser nach Bier stinkende Typ. Während ich spielte, kam er mit seiner Fahne immer näher. ,Was will dieser alte Säufer?', dachte ich.“ Der „alte Säufer“ war John Lennon…
Aufputschmittel und viel Alkohol
Paul stieg bei den „Querrymen“ ein, bald stieß Pauls Freund George Harrison dazu. Gemeinsam mit Johns Freund Stuart Sutcliffe und dem Schlagzeuger Pete Best, der 1962 durch Ringo Starr ersetzt wurde, kam die Gruppe, die sich jetzt „The Beatles“ nannte, 1960 erstmals nach Hamburg. Um sich für die mehreren Stunden dauernden Auftritte wach zu halten, schluckten die Jungs haufenweise Aufputschmittel (Preludin) und tranken reichlich Alkohol. Der Schriftsteller Albert Goldman schrieb in seiner Biografie „John Lennon – Ein Leben“: „In Hamburg soff er (John, Anm.) wochenlang, ohne je nüchtern zu werden.“ Im betrunkenen Zustand verübte Lennon, wie er später dem Musiker und Saufkumpan Jesse Ed Davies gestand, damals einen Raubüberfall auf einen betrunkenen Matrosen. „Gott weiß, ob der je wieder aufgestanden ist“, fürchtete Lennon 14 Jahre später.
Auch am Tod seines Kumpels Stuart Sutcliffe, der aus der Gruppe ausstieg um in Hamburg zu bleiben und 1962 an den Folgen eines Hirntumors starb, gab sich Lennon zeit seines Lebens die Schuld. Die beiden Freunde waren in einen Streit geraten, Lennon drosch in blinder Wut und sehr betrunken angeblich mehrmals auf Stuart ein und verletzte ihn erheblich am Kopf. Doch ob diese Version stimmt, ist nicht bewiesen. Lennon war damals sehr betrunken und hatte selbst nur sehr verschwommene Erinnerungen an diesen Vorfall. Eine andere Version gilt daher als wahrscheinlicher: Sutcliffe war eines Tages mit einem betrunkenen Matrosen in eine böse Schlägerei geraten, wobei er schwere Kopfverletzungen erlitt.
Doch schon vor seiner beginnenden Karriere als Beatle sprach Lennon erheblich dem Alkohol zu. „Wenn Sie sich auf der Kunstschule in Liverpool nach mir erkundigen, werden Sie hören, dass ich meistens betrunken war“, bekannte er freimütig in seinem letzten großen Interview, das er kurz vor seiner Ermordung 1980 einem Journalisten der Zeitschrift Playboy, David Sheff, gab, der das sehr offene und ehrliche Gespräch auch als Buchform herausbrachte („Die Ballade von John und Yoko“, Hannibal-Verlag).
Cold Turkey
In den Sechzigern, als die Beatles die Welt eroberten, eroberten die Drogen John Lennon. Zunächst war es Marihuana, später waren es LSD, Kokain und Heroin. Um von Letzterem wegzukommen ließ sich der Rockmusiker, der inzwischen von seiner ersten Frau Cynthia geschieden war und in der japanischen Avantgarde-Künstlerin Yoko Ono einen neuen Lebensmenschen gefunden hatte, tagelang in einem Zimmer einsperren. Seine dabei erlittenen Entzugsschmerzen beschrieb er eindrucksvoll in seinem 1969 erschienen Song „Cold Turkey“.
1972 - zwei Jahre nach dem Bruch mit den Beatles - zogen John und Yoko nach New York, wo sie sich schon bald einer Gruppe von Friedensaktivisten anschlossen, die gegen den Vietnamkrieg der USA protestierten. Als dennoch US-Präsident Richard Nixon 1973 haushoch wiedergewählt wurde, ergoss Lennon seinen Frust in Alkohol, schnappte sich im Haus eines Bekannten, wo man das enttäuschende Wahlergebnis im Fernsehen verfolgte, eine junge Frau und vergnügte sich mit ihr so lautstark im Bett, dass Yoko Ono alles mitbekam. Obwohl er sich am nächsten Tag kleinlaut bei ihr dafür entschuldigte, kannte die um sieben Jahre ältere Ehefrau kein Pardon und warf ihn bald hinaus. Damit begann ein „verlorenes Wochenende“, wie Lennon später diese Zeit in Anspielung auf Billy Wilder Alkoholiker-Drama „Das verlorene Wochenende“ nannte. Es sollte ganze 18 Monate lang dauern. Eineinhalb Jahre, in denen Lennon nicht mehr nüchtern wurde.
„…dann eben zurück zur Flasche!“
Yoko Ono schien gewusst zu haben, dass ihrem Mann der Untergang drohte, deshalb gab sie ihm ihre Sekretärin May Pang als Geliebte mit auf dem Weg nach Los Angeles. Lennon zog in seinem Playboy-Interview kurz vor seinem gewaltsamen Tod über diese Zeit eine ehrliche Bilanz: „Zuerst dachte ich juchhu! Ein Leben als Junggeselle! Doch dann dachte ich, dass ich nach Hause will. Also rief ich Yoko an und sagte ihr: ,Ich hab's nicht mehr im Griff. Ich trinke. Ich stecke in Schwierigkeiten und würde gerne nachhause kommen'. Aber sie sagte: ,Du bist noch nicht so weit'. Naja okay, dann eben zurück zur Flasche.“
Ein befreundeter Fotograf erinnerte sich an diese Zeit in einem TV-Interview: „Er hatte viel Spaß mit dem Musiker Harry Nielsson, mit dem Schlagzeuger Keith Moon und mit seinem alten Beatles-Kumpel Ringo Starr, aber ich glaube nicht, dass er glücklich war. Man betrinkt sich nicht jeden Tag, wenn man glücklich ist.“ Und ein befreundeter Plattenproduzent ergänzte: „Alkohol und John war immer schon eine explosive Mischung. Denn wenn er betrunken war, machte er jede Menge Ärger.“
Ärger am laufenden Band
Ärger mit dem betrunkenen Lennon gab es genug. Mal kam er in einer Bar aus der Damentoilette gewankt mit einem auf der Stirn aufgeklebten Tampon, ein anderes Mal störte er lautstark ein Konzert der Smothers Brothers und wieder ein anderes Mal schrie er in einem noblen Lokal obszöne Worte, worauf man den Weltstar kurzerhand raus schmiss. Die Medien berichteten genüsslich von den Skandalen, eine US-Zeitung titelte „John Lennon's Hard Day's Night“. Der Journalist Robert Hillburn war öfter bei den Saufgelagen des Musikers dabei. „Er trank jeden Tag eine Flasche Scotch. Ich fragte mich immer, wie er das nur überleben konnte.“ Mit dem mittlerweile wegen Mordes im Gefängnis sitzenden Produzent Phil Spector nahm John 1974 in Los Angeles das „Rock'n'Roll“-Album auf. Ein Augenzeuge: „Am Anfang waren alle im Studio nüchtern, aber schon bald fing John an, ziemlich viel zu trinken und Phil und die Musiker zogen mit. Am Ende waren alle besoffen.“ Bei einer der Sessions soll Spector sogar mit einer Pistole herumgeballert haben. Trotz allem: Das Album hat einen guten Sound und Lennon stellte einmal mehr unter Beweis, dass er ein hervorragender Rocksänger war. Auch wenn er selbst nie daran glauben wollte.
Zurück zu seinem „verlorenen Wochenende“. John im O-Ton: „Ich trank zu viel, hatte keine Kontrolle mehr und niemand kümmerte sich um mich. Ich brauchte Liebe, aber da war niemand, der mich unterstützte. Ich brach zusammen. Es war die Trennung von Yoko. Ich erkannte, dass ich unbedingt bei ihr sein musste und dass ich ohne sie nicht überleben würde. Aber ich erkannte es zu spät als ich fast zerbrochen war.“ In seiner tiefen Verletzung, von der Frau getrennt zu sein von der er so abhängig war, riss er Telefonleitungen aus den Wänden und zertrümmerte seine Goldenen Schallplatten. Wenn er so leiden musste, was zählten da schon seine früheren Erfolge?
Weg von der Flasche
Die Liebe, die er von May Pang bekam, reichte nicht aus, die quälende Leere in seinem Leben auszufüllen. Doch gerade sie war es, die in dieser Zeit zu ihm stand, ihn nicht verließ, obwohl sie die Wutattacken des Rockmusikers mehr als einmal hautnah mitbekam. Mehrmals wurde sie von ihm im Vollsuff gewürgt, und jedes mal, wenn Lennon am nächsten Tag mitbekam, was er ihr in der Nacht davor angetan hatte, brach er in Tränen aus und bat sie um Verzeihung. Die Geliebte erlebte ein ständiges Wechselbad zwischen einer enormen Brutalität und einer liebevollen Zärtlichkeit. „Wir alle sind Christus und wir alle sind Hitler. Aber wir wollen, dass Christus gewinnt“, hat er einmal gesagt. Doch wenn Lennon zum Alkohol griff, gewann das Böse in ihm, dann siegte sein ganz persönlicher Hitler.
Irgendwann im Jahr 1974 kam Lennon dennoch zur Besinnung. Eine innere Eingebung sagte ihm, dass er nach New York zurückkehren musste, um vom Alkohol loszukommen. „Ich wachte eines Morgens auf und dachte: ,Was soll das alles? Ich will nach Hause'. Also hörte ich mit dem Trinken auf. Ich kehrte nach New York zurück, weil ich zu Yoko wollte. Raus aus Los Angeles und weg von der Flasche“, sagte er später zu einem TV-Reporter. Ob er sehr unter dem Entzug litt, ist nicht bekannt. Doch Lennon war in dieser Hinsicht einiges gewohnt, ärger als sein Entzug vom Heroin kann der vom Alkohol kaum gewesen sein.
Zurück zu „Mutter“
Lennon hatte es schließlich geschafft, „Mutter“, wie er Yoko nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Sean nannte, nahm ihm wieder zu Hause, sprich ins berühmte Dakota Building beim Central Park, auf. Alkohol trank er kaum mehr, Marihuana und Haschisch rauchte er weiterhin, ob er andere Drogen konsumierte, kann nur gemutmaßt werden. Aber falls er sie nahm, dann nicht allzu viel davon. Nach einer Auszeit von mehr als vier Jahren, in denen er seine riesige Wohnung nur selten verließ und sich als brotbackender Hausmann um das Kind kümmerte, während Yoko den Geschäften nachging, begann er wieder, Songs zu schreiben. Im Herbst 1980 erschien das Album „Double Fantasy“ mit Songs wie „Starting Over“, „Woman“, „Beautiful Boy“ oder „Watching The Wheels“. Der begnadete Songschreiber dachte gar an eine Welttournee, als am Abend des 8. Dezember 1980 ein Geistesgestörter alle Pläne zunichte machte. Mark David Chapman war einst Lennons größter Fan, später aber von ihm als Mensch enttäuscht, weil er als Mulitmillionär nicht so lebte wie er es seinem Song „Imagine“ nach hätte tun sollen: „Stell dir vor es gibt keinen Besitz?“ Also richtete Chapman vor dem Dakota Building die Pistole auf den aus einem Plattenstudio heimkehrenden gerade 40 Jahre alt gewordenen Ex-Beatle und drückte mehrmals ab. John Lennon starb noch auf der Fahrt ins Krankenhaus, der Traum von Millionen Beatles-Fans in aller Welt, dass es doch noch zu einer Wiedervereinigung kommen würde, war mit einem Schlag ausgeträumt. Auch heute noch muss man sich die Frage stellen, wie viele wunderbare Songs John Lennon noch hätte schreiben können. Doch seine Musik wird wohl noch viele Generationen berühren.
Lennons Mörder sitzt nach wie vor im Gefängnis.
Foto: Parlophone/EMI (1)
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