Viele Ärzte fühlen sich ausgebrannt und am Ende:
Wenn Helfer nicht mehr helfen können
von Harald Frohnwieser
Das Phänomen der Burnout-Erkrankung zieht sich quer durch alle Berufsschichten. Egal ob Putzfrau, Bauarbeiter oder Manager, betroffen kann jeder davon werden. Und gerade die, die den Erkrankten helfen sollen, sind selbst hochgradig gefährdet: Jeder dritte Krankenhausbedienstete – egal ob Krankenschwester, Pfleger oder Arzt – kann den Arbeitsalltag nicht mehr bewältigen. Fühlt sich ausgebrannt und am Ende seiner Kräfte. Der Allgemeinmediziner Dr. Johannes Capek, der seine Praxis in Wien-Währing hat, gibt im Interview mit „Alk-Info“ tiefe Einblicke in die Arbeitswelt der Mediziner und ihren psychischen und seelischen Herausforderungen.
„Alk-Info“: Herr Dr. Capek, laut einer neuesten Studie fühlen sich immer mehr Ärzte körperlich und psychisch ausgebrannt. Hat die Arbeit so stark zugenommen?
Dr. Johannes Capek: Es ist nicht das Arbeitsaufkommen, sondern es hat damit zu tun, dass das, was sich ein Arzt zumutet und das, was er tatsächlich leistet, stark auseinander geht. Das ist wie bei einem Berg, den man besteigen will, der aber immer vor einen davon rennt.
Gibt es Aufklärungsarbeit für Ärzte auf diesem Gebiet?
Es gibt immer wieder Kongresse. Ich war vor zwei Jahren bei einem solchen, der in Grado in Italien stattfand. Ein Test hat dabei ergeben, dass von den rund 50 Kollegen, die daran teilgenommen haben, 80 Prozent an Burnout erkrankt waren. Da waren alle Sparten darunter, praktische Ärzte, Chirurgen, Internisten. Da waren manche darunter, die haben eine Praxis schon nach zwei Jahren wieder aufgeben müssen, weil sie es psychisch nicht mehr geschafft haben.
Warum sind Menschen, die Hilfe leisten, so stark gefährdet?
Weil hier vor allem eines gilt: Ich muss für meine Mitmenschen perfekt da sein. Und wie gut ich bin erkenne ich daran, wie fertig ich bin. Denn Burnout hat immer etwas mit einer Opferrolle zu tun. Deshalb sage ich den jungen Kollegen, die ich in meiner Praxis ausbilde, immer: Wenn du wirklich helfen willst, dann musst du auch einen Vorteil davon haben.
Was raten Sie ihren jungen Kollegen noch?
Ich sage ihnen immer wieder, dass Eigeninitiative sehr wichtig ist. Und dass sie sich weiter bilden sollen. Denn Inkompetenz erzeugt Stress, daher ist eine regelmäßige Fortbildung, über den Tellerrand hinaus schauen ist sehr wichtig. Ebenso ein funktionierendes Privatleben.
Welche Herausforderungen gibt es noch?
Was sehr stark zugenommen hat, sind die Vorschriften, die immer enger werden. Der Papierkram, den ein Arzt heutzutage bewältigen muss, ist enorm. Wir rennen den Juristen nach, wir geben denen eine Macht, die ihnen nicht zusteht. Ich war vor Kurzem bei einem Fortbildungskurs für Gynäkologie, und der Großteil davon war nur das Rechtswesen auf diesem Gebiet, das ist doch krank.
Hat man als niedergelassener Arzt auch Existenzängste?
Die Angst, dass eines Tages die Patienten weg bleiben, hat man immer wieder. Weil der Job auch sehr schlecht bezahlt wird. Ich als Praktiker bekomme zum Beispiel nur 17 Euro pro Patient und Quartal, egal, wie oft er in dieser Zeit zu mir in die Ordination kommt. Das ist schon sehr wenig. Früher hat es geheißen, dass noch kein Praktiker in Konkurs gegangen ist, aber das stimmt nicht mehr. Ich kenne einige Kollegen, die pleite gegangen sind.
Ist daran nur die niedrige Bezahlung schuld?
Nein, natürlich nicht. Es liegt auch daran, dass manche Kollegen krampfhaft an einem Image festhalten. Dass zum Beispiel ein Arzt unbedingt einen Mercedes fahren muss, obwohl er sich dafür nicht einmal das Benzin leisten kann. Es muss auch nicht jeder Arzt ein Wochenendhaus haben.
Ist Alkohol in der Praxis ein Thema?
Alkohol war früher bei Ärzten ein Riesenproblem, da haben viele die Cognacflasche unter dem Schreibtisch stehen gehabt. Aber das ist jetzt, so glaube ich weniger geworden. Wie es allerdings bei Medikamenten-missbrauch von Ärzten aussieht, kann ich schwer beurteilen, darüber wird nicht geredet. Und ein Arzt hat es ja leicht, an Tabletten zu kommen. Man ruft ganz einfach den Vertreter einer Pharmafirma an und sagt, dass man wieder etwas braucht.
Ein Arzt ist ja meistens mit dem Leiden seiner Mitmenschen konfrontiert. Kann man sich überhaupt abgrenzen?
Doch, das geht ganz gut. Wenn mir jemand zum Beispiel erzählt, dass sein Kind gestorben ist, so empfinde ich zwar Mitleid, aber ich nehme es nicht mit nach Hause. Das sage ich auch immer meinen jungen Kollegen, die ich ausbilde: Du nimmst nichts mit. Wenn dich etwas belastet, so sprich mit mir darüber, aber nimm nichts mit, sonst gehst du drauf. Außerdem lernen die Jungen schon in der Ausbildung, wie sie sich abgrenzen können.
Wissen Sie, wie es im Spitalsbereich zugeht?
Ich habe als junger Mediziner ja auch im Spital gearbeitet. Da hat sich viel geändert, der Druck hat stark zugenommen. Früher wurde ja auch viel gearbeitet in einem Krankenhaus, aber es gab mehr Pausen dazwischen und man ist mit den Kollegen abends manchmal ausgegangen oder man hat gemeinsam einen Ausflug gemacht. Der Gemeinschaftsgeist ist jetzt völlig weg. Heute heißt es nur noch: Ich will diesen oder jenen Job, und der Kollege neben mir ist mein Konkurrent. Es gibt Abteilungen, in denen junge Kollegen jahrelang miteinander per Sie sind, das ist doch absurd! Das Klima hier ist ein Nährboden für einen Burnout.
Was passiert, wenn Burnout nicht behandelt wird?
Der Körper wird krank. Dazu zählen Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Schädigung der Schilddrüse und Diabetes sind die häufigsten Auswirkungen.
Wie schützen Sie sich persönlich vor einem Burnout?
Ich treffe mich regelmäßig mit meinen Kollegen, das ist enorm wichtig. Da sprechen wir in gemütlicher Runde die unterschiedlichsten Sachen, zum Beispiel wie die Hausbesuche ablaufen oder was jeder in seiner Ärztetasche drin hat oder was bei Bluthochdruck unternommen werden sollte. Da hilft allein das Erkennen, dass ein Anderer die gleichen Probleme hat wie ich sie habe, sehr viel. Oder dass man manche Sachen gar nicht so schlecht macht. Wichtig ist auch, dass bei diesen Treffen viel gelacht wird. Der Humor öffnet eine zweite Ebene. Lachen schließt einen Burnout aus.
Haben Sie Hobbys?
Ich tauche sehr gerne. Das kann auch Stress sein, aber ich mache es nicht dafür. Ich muss keine persönlichen Rekorde aufstellen, noch tiefer, noch länger unter Wasser, noch gefährlicher oder so. Man muss auch die Freude haben, etwas zu genießen, sich Zeit zu nehmen. Denn an Burnout-Erkrankte sind getriebene, die wiederum andere antreiben.
Gibt es noch weitere Hilfen, wie man sich – nicht nur als Arzt – vor einem Burnout schützen kann?
Ich kann das nur von mir sagen, aber für mich ist Spiritualität sehr wichtig. Denn ich bin nicht nur das Produkt von dem, was ich einnehme und von dem, was ich ausgebe. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass man mehr ist als das, was man leistet. Die Spiritualität kann auch eine atheistische sein, aber man soll sich damit, dass es noch etwas gibt, auseinander setzen.
Foto: Thomas Frohnwieser (1)
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